von Tim Fürup*
In einem parlamentarischen Sommerloch können schon so manch seltsame Gedanken entstehen. Während die unerträgliche Hitze und die täglichen Nachrichten von Waldbränden und Ernteausfällen die Skeptiker des Klimawandels Lügen strafen, scheinen sich die Grünen in einer kleinen Anfrage für ein nationales Thema zu interessieren: Was ist eigentlich Heimat? Das wollten sie vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) wissen.
Jetzt haben wir die Antwort (Drucksachennummern 19/1578, alle Zitate beziehen sich hierauf). Auf eine frühere Anfrage hatte die Regierung nicht antworten wollen, da sich das Ministerium noch im Aufbau befunden habe. Nun aber ist klar: «Die Bundesregierung legt der Namensgebung und den Aufgaben des BMI ein modernes Verständnis des Heimatbegriffs zugrunde.»
Schwer nachvollziehbar, dass das Seehofer-Ministerium von irgendetwas ein modernes Verständnis hat. Es ist aber auch klar, dass die Grünen, die in vielen Äußerungen einzelner Abgeordneter den Unionsparteien in Deutschtümelei teilweise nicht nachstehen, sich eine reaktionäre bis deutschnationale Antwort erhofft hatten. Das BMI tat den Grünen diesen Gefallen selbstverständlich nicht. Es antwortete verschwobelt und skurril. Schauen wir uns das genauer an:
«Heimat ist dort, wo sich Menschen wohl, akzeptiert und geborgen fühlen. Heimat hat nichts mit Enge zu tun, sondern gibt Orientierung und vermittelt einen festen Halt, die Herausforderungen des Lebens zu bestehen und nach vorne zu blicken.» Möglicherweise sind das schlechte Nachrichten für alle Berlinerinnen. Wegen der Enge in der Hauptstadt werden auf einen Schlag 3,5 Millionen Menschen heimatlos. Und entgegen den Versprechungen entpuppt sich dieser Heimatbegriff als unmodern und unsozial, da ausländische Mitmenschen immer mit Nazi-Angriffen oder anderen Ausgrenzungen zu rechnen haben – sie sind da wohl nicht mitgemeint, denn Geborgenheit und Akzeptanz wird ihnen nicht regelmäßig zuteil.
Welchen festen Halt sollen zudem Hartz-IV-Beziehende haben, bei aller sozialen Stigmatisierung, die sie im Alltag erfahren? Welche Herausforderungen des Lebens sollen Kranke und Alte noch meistern, um in dieser Heimat Fuß zu fassen? Das Feld der Heimatbesitzenden wird immer kleiner. Der Eindruck, dass es sich bei den Heimatberechtigten nur um wenige Deutsche handelt, die aalglatt und angepasst durchs Leben huschen, drängt sich hier auf. Mir scheint die Frage «Wer gehört nicht zur Heimat?» richtiger gestellt.
Der letzte Teil der Antwort wird zwar auch nicht deutlicher, weist aber in eine ungefähre Richtung: «Aber Heimat heißt auch Zukunft und Verständnis, gesellschaftliche Veränderungen anzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Denn Heimat war und ist immer auch ein Raum sozialer Beziehungen, Ausgleich und Einbindung – Integration. So verstanden ist Heimat Lebensmöglichkeit und nicht nur Herkunftsnachweis.» Diese Definition des BMI verharrt im Zustand der Beschränktheit, weil sie den Gegensatz von arm und reich, besitzend und ausgebeutet, Latte Macchiatto und Hansa-Pils verschleiert. Kurzum die soziale Frage bleibt hier unberücksichtigt, da sind sich Seehofer und AfD dann doch ganz nah.
* Der Autor arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro von MdB Hubertus Zdebel. Er ist Bundessprecher und Geschäftsführer der Antikapitalistischen Linken (AKL).
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