von Cemal Bilgin
In den Beziehungen zwischen der Türkei und den USA, beides Mitglieder der NATO, gibt es seit einigen Wochen eine tiefe Krise. Sie hat verschiedene, nicht nur konjunkturelle Ursachen.
Zuletzt konnten sich die beiden Länder nicht über die Freilassung des in der Türkei inhaftierten amerikanischen Pastors Andrew Brunson einigen. Brunson war zwar aus der Haft entlassen worden, stand aber unter Hausarrest. Die USA erwarteten, dass er freigelassen wird und nach Amerika zurückreisen darf. Als sich herausstellte, dass die Türkei diese Erwartung nicht erfüllt, war der US-Präsident verärgert und erklärte per Twitter: «Wir fordern die Freilassung von Pastor Brunsen und werden dafür keine Gegenleistung erbringen.» Später hieß es, er habe Sanktionen gegen zwei türkische Minister verhängt, die für die Inhaftierung des Pastors verantwortlich seien. Danach folgten Strafzölle auf türkische Stahl- und Aluminiumprodukte. Zusätzlich dazu stuften zwei Rankinginstitute die Kreditwürdigkeit der Türkei herunter.
Erdogan hatte wohl für die Freilassung des Pastors von den USA zusätzliche Zugeständnisse in Sachen Halk-Bank gefordert. Der staatlichen türkischen Halk-Bank war vorgeworfen worden, sie würde die US-Sanktionen gegen den Iran umgehen und sei an Geldwäscheaktionen beteiligt. Gegen den früheren Direktor der Bank, Hakan Atilla, lief in den USA ein Prozess, er wurde im Mai dieses Jahres zu 32 Monaten Haft verurteilt. In diesem Prozess war einer der Haupangeklagten zum Kronzeugen geworden und hat gestanden, mehrere hohe Funktionäre, u.a. vier türkische Minister, bestochen zu haben.
Wie sich herausstellte, haben die USA mit Erdogan über die Freilassung von Brunson verhandelt. Dabei wollte die US-Regierung der Türkei zunächst entgegenkommen und bot an, dass Hakan Atilla seine restliche Freiheitsstrafe in der Türkei absitzen darf. Erdogan wiederum bat Trump darum, sich für die Freilassung einer in Israel inhaftierten türkischen Frau einzusetzen. Trump tat dies auch. Nach all diesen «Gegenleistungen» ging er davon aus, dass der Pastor freigelassen würde. Dem war aber nicht so.
Ein amerikanischer Regierungsbeamter erklärte gegenüber dem Wall Street Journal, die Verhandlungen seien deswegen gescheitert, weil Erdogan zusätzlich verlangt habe, die USA sollten von der Geldstrafe gegen die Halk-Bank absehen und alle Vorwürfe gegen sie fallen lassen. Das sei Trump zuviel gewesen, er habe das persönlich genommen und darauf mit großer Enttäuschung reagiert. So sieht also der vordergründige Hintergrund der Krise aus.
Geopolitische Zwickmühle
Viele Beobachter sind aber der Meinung, dass die Krise in den türkisch-amerikanischen Beziehungen weiterreichende Ursachen hat. Sie fügt sich in die internationale Konfliktsituation ein, die durch die aggressive imperialistische Politik der USA entstanden ist und an der mehrere Länder beteiligt sind: u.a. Russland, China und der Iran.
Der Schachzug der USA gegen die Türkei überlappt sich mit Trumps Kampf gegen Russland und den Iran, seinem Versuch, die venezolanische Regierung zu stürzen, und den Sanktionen gegen Nordkorea. Aus dieser Sicht ist die Krise in den Beziehungen zur Türkei also eine Folge der US-Politik, die sich gegen solche Länder wendet, die einen eigenen, mit der US-Politik nicht unbedingt konformen Weg einschlagen oder die die USA als Konkurrenten einstufen.
In bezug auf die Türkei gibt es noch weitere Probleme, die ungeklärt sind. Eins davon ist das Verhältnis zur Gülen-Bewegung. Erdogan macht sie für den Putschversuch vor zwei Jahren verantwortlich.
Allerdings ist die Frage noch offen, ob er nicht selber diesen Putschversuch provoziert und ermutigt hat, um seine politischen Gegner zu eliminieren und die eigene Macht zu konsolidieren. Gleichzeitig stellte sich aber auch die Frage, ob die CIA darin involviert war, zumal Gülen in den USA lebt. Die USA haben den Putschversuch nicht verurteilt, und Gülen wird nicht ausgeliefert.
Das zweite Problem ist, dass die USA die syrischen Kurden zu ihren Verbündeten gemacht und aufgerüstet haben. Die Kurden haben auch mit der Assad-Regierung wieder Kontakt aufgenommen. So steht zu erwarten, dass sie mindestens eine weitgehende Autonomie erhalten, wenn ganz Syrien von radikal-islamistischen Truppen gesäubert ist.
Die türkische Regierung ist strikt dagegen und will alles unternehmen, um dies zu verhindern. Als sie feststellen musste, dass sie in der Syrienfrage von den USA nicht berücksichtigt wird, wechselte sie quasi die Seite und näherte sich Russland an, um zumindest auf diesem Weg ein Mitspracherecht in der Neuordnung des Nahen Ostens zu erringen.
So versucht Erdogan, die beiden Großmächte in der Region gegeneinander auszuspielen und liebäugelt mit der einen Großmacht, um für die andere wieder attraktiver zu werden. Das Spielchen sorgt für Spannungen und hat zu einem halboffenen Tauziehen mit den USA geführt.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Türkei Ende letzten Jahres mit Russland einen Vertrag über den Kauf des russischen S400-Raketensystems unterzeichnet hat. Die Türkei wird insgesamt zwei Systeme kaufen, von denen das erste 2020 geliefert werden wird. Die USA haben erklärt, sie sei besorgt über diese Pläne.
Beobachter wiederum sind der Meinung, dass Trump von der türkischen Regierung im Vergleich zu früheren US-Regierungen in vielen Fragen mehr «Gehorsam (Gefolgschaft)» verlangt. Ein Beispiel ist die Beziehung zum Iran. Da wollte Trump, dass die Türkei «transparent» ist.
Für Erdogan, der die Regierung Obama weitgehend unterstützt hatte, gingen bestimmte Erwartungen der neuen US-Regierung zu weit. Vor allem hat es Trump nicht gefallen, dass die Türkei ihre Beziehungen zum Iran, zu Russland und zu China ausbaut und gegebenenfalls in vielen Fragen selbständig handelt. Von diesem Ross kann Erdogan nicht wieder herunter, dann würde er innenpolitisch an Prestige verlieren.
So versucht Erdogan, aus dieser Krise Nutzen zu ziehen und sein Gesicht zu wahren als ein Führer, der nur den türkischen Interessen verpflichtet ist und selbständig agiert.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.