Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2018
Kann Wagenknecht bewegen?
von Tim Fürup

Am 4.9.2018 war es nach langer Ankündigung soweit: Sahra Wagenknecht präsentierte auf der Bundespressekonferenz ihre neue Sammlungsbewegung mit dem Namen «Aufstehen». Zuvor hatten sich laut Wagenknecht über 100000 Menschen auf der gleichnamigen Internetplattform angemeldet. Eine gewisse Spannung lang in der Luft, bei der Vorstellung selbst aber war so etwas wie Aufbruchstimmung nicht zu spüren.

Unmittelbar vor der Pressekonferenz wurde der Aufruf den anwesenden Journalisten ausgeteilt und im Internet veröffentlicht. Er sei noch kein Programm, das solle in der nächsten Zeit erarbeitet werden. Die im Aufruf zu lesenden Forderungen sind relativ zurückhaltend und ziemlich allgemein gehalten: «Abrüstung, Entspannung … fördern», «Sichere Jobs, gute Löhne, gerechte Steuern» oder «Exzellente Bildung für alle» – alles keine falschen Losungen, aber von einem Angriff auf die kapitalistische Sachzwanglogik kann hier keine Rede sein. Während der Pressekonferenz gab sich Wagenknecht staatstragend und vermittelte den Eindruck, Rot-Rot-Grün würde besser regieren, wenn die Parteien aus ihren Wahlergebnissen nur die richtigen Schlussfolgerungen ziehen würden.
Da steht Wagenknecht ihren Kritikern aus dem Reformerlager innerhalb der LINKEN sehr nahe: Sie sind sich einig, dass sich DIE LINKE an Regierungen mit SPD und Grünen beteiligen sollte, einzig die Konkurrenz um die Regierungssessel scheint das Problem zu sein.
In migrationspolitischen Fragen spricht Wagenknecht – auf inakzeptable Weise – das an («Wir können nicht alle aufnehmen»), was in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Thüringen zur linken Regierungspraxis gehört: nämlich brutale Abschiebungen durchzusetzen.
Da sie aber nach eigener Auskunft keine Oppositionsreden mehr halten will, ist ihr Projekt unglaubwürdig. Es bedeutet eben immer auch ein Zugeständnis an bürgerliche Parteien, wenn ein Aufruf so handzahm daherkommt wie dieser.

Gleichzeitig offenbarte ein weiterer Protagonist die Schwierigkeiten des Regierens im Parlamentarismus. Ludger Volmer, selbsternannter Noch-Grüner, rechtfertigte sein Agieren als Staatsminister im Auswärtigen Amt in der Regierung Schröder/Fischer mit dem Hinweis, man könne nicht alles umsetzen und müsse zu Kompromissen bereit sein. Volmer hatte 1999 die Grünen zusammen mit Joschka Fischer auf Kriegskurs gebracht: Wegen Auschwitz müsse die Bundeswehr in den Kosovo – und später auch in Afghanistan – einmarschieren. Er habe aus Koalitionstreue für die Kriegseinsätze innerhalb der Grünen geworben. An «Aufstehen» will er sich beteiligen, weil die Grünen ihre Positionen zu sozialer Gerechtigkeit und Frieden aufgegeben hätten – obwohl er daran doch selber einen großen Anteil hatte.
Volmer war auf der Pressekonferenz derjenige, der am stärksten Frieden in der Außenpolitik einforderte. Glaubwürdiger erschien da Simone Lange mit deutlich antirassistischer Positionierung. Die Bürgermeisterin von Flensburg und Gegenkandidatin von Andrea Nahles als SPD-Vorsitzende, war allerdings wohl nur die zweite Wahl, da Kevin Kühnert von den Jusos abgesagt hatte.

Richtig ist: Wir brauchen außerparlamentarischen Druck, um die unsozialen Verhältnisse zu überwinden. Leider scheint das Projekt «Aufstehen» aber nur auf sozialdemokratische Verwaltung des Kapitalismus zu setzen. Sollte es «Aufstehen» wider Erwarten gelingen, für eine soziale Offensive zu sorgen und Menschen auf die Straße zu bringen, die ein antikapitalistisches Wirtschaften einfordern und die Herrschafts- und Machtverhältnissen beseitigen wollen, hätte ich mich extrem getäuscht.

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