von Michael Sankari
Vor einigen Jahren noch hätten wir uns in Deutschland mit so grundsätzlichen Angriffen auf die Lebensbedingungen in unserem sprachlich so nahen Nachbarland Österreich beschäftigt. Zu groß wäre die Befürchtung gewesen, dass dies Teil einer größeren Entwicklung ist, die über kurz oder lang auch uns treffen kann.
So greifbar uns heute eine weitere Rechtsverschiebung des Parlamentarischen erscheint und wir diesen durch die Radikalisierung der Mitte miterleben, so wenig Zeit, Kraft und Kapazitäten scheinen wir darin zu investieren, uns mit den Sofortmaßnahmen einer rechtspopulistischen Regierung im deutschsprachigen Raum zu beschäftigen – vielleicht auch weil wir ahnen, dass dies sehr hässlich werden kann.
Seit dem 1.September «dürfen» Kolleginnen und Kollegen in Österreich, natürlich ganz freiwillig, 12 Stunden am Tag arbeiten – bei einem nicht so ausdrücklich wie in Deutschland verankerten individuellen Kündigungsschutz wird «dürfen» schnell zum Muss. Dies wird zusätzlich gefördert, wenn zukünftig abhängig Beschäftigte, ähnlich wie in der BRD, schon nach einem Jahr in die «Mindestsicherung» fallen. Die wiederum bekommen aber nicht mehr alle im bisherigen Umfang von 863 Euro im Monat. Ähnlich wie in Deutschland geistern Behauptungen führender Politikern durch die Medien, wonach mit 150 Euro im Monat durchaus auszukommen sei…
Rassistische Drangsalierung durch soziale Absicherungssysteme kennt die ganz industrialisierte Welt zur Genüge – die österreichische Regierung kann es sich aber leisten, das auch ganz offen zur Schau zu tragen: Wer nicht gut genug Deutsch oder Englisch kann, oder den Pflichtschulabschluss nicht geschafft hat, wird künftig mit 563 Euro auskommen müssen. Diese Maßnahme wird zwar vor allem Geflüchtete treffen, auf die sie wohl vorrangig abzielt, aber auch Tausende Österreicher, die sich in dem schulischen System nicht durchsetzen konnten.
Vieles erinnert an die Einführung der Hartz-Gesetze in Deutschland: weite Anfahrtswege müssen in Kauf genommen werden, um einen Job anzunehmen, das Arbeitslosengeld wird neu geregelt. Einiges geht auch darüber hinaus: Kranke sollen kein Arbeitslosengeld mehr beziehen, wenn sie nicht stationär behandelt werden müssen, Flüchtlinge ohne «subsidiären Schutz», also ohne vom Staat definierter, «humanitärer» Sicherung von Schutz, bekommen keine 863 Euro Mindestsicherung, sondern eine «Grundsicherung», womit ganze Familienverbände absehbar in die Alltagskriminalität getrieben werden. Aber gar kein Problem, dafür wird die Grenze ja schließlich ordentlich bewacht und nach innen kann man auch noch eine Schippe drauflegen.
Was braucht es noch, um rechte Regierungspolitik abzurunden? Richtig: ein Ende dieser elenden Gleichmacherei von Frau und Mann, bzw. der eingeschränkten Unterstützung von Frauenprojekten, die schon in den letzten Jahren unter zunehmend prekären Bedingungen gesellschaftlich notwendige Arbeit leisteten.
Und natürlich dürfen diverse Geschenke an die Wohlhabenden und Besitzenden nicht fehlen, wie die Senkung der Körperschaftsteuer, begünstigende Ausnahmen für Immobilieninvestoren, Geschenke für Hoteliers usw.
Manche argumentieren, dass diese Maßnahmen die soziale Situation in Österreich mehr oder minder auf das Niveau der europäischen Partner drücke – galt das österreichische Renten- und Sozialsystem doch jahrelang als besser und die Kollektivrechte der Lohnabhängigen als stabiler als anderswo. Aber das verharmlost die rassistischen Angriffen und den rechtskonservativen Roll-Back gegen die Frauenbewegung als Teil einer rechtspopulistischen Regierungsstrategie.
Was besonders beeindruckt: diejenigen, die behaupten, mehr Druck auf die unteren Schichten der Gesellschaft, mehr Angst und Elend führten zu mehr Widerstand und Gegenmacht werden, wie schon so oft in der Geschichte, eines Schlechteren belehrt werden. Es gelingt nur mühsam und partiell, sich gegen die breit angelegten Angriffe auf die Bedürfnisse der vielen zu wehren, kein Generalstreik, keine großen Mobilisierungen sind in Sicht, die zu erfolgreicher Gegenwehr führen könnten. Die immer offenere Absage an die jahrzehntelange Kultur der «Sozialpartnerschaft» wird mit mehr Appellen der Bürokraten beantwortet, doch wieder zu echten Verhandlungen zurückzukehren – statt, was angemessen wäre, angesichts der dreisten Selbstsicherheit der Regierung, diese nun als unzeitgemäße Hoffnung beiseite zu legen.
Wenn von links neue Impulse kommen sollen, dann gilt es dicke Bretter zu bohren. Was das Fehlen einer stabilen Linken in der parlamentarisch-politischen Öffentlichkeit für Folgen in der Polarisierung der Lager hat, werden wir in Österreich in den nächsten Jahren erleben und beobachten.
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