von Hermann Dierkes
Arn Strohmeyer: Ein klassischer Fall von Geschichtsfälschung. Eine Gegendokumentation. Herne: Gabriele Schäfer Verlag, 2018. 157 S., € 14,90
2008 jährte sich zum 60.Mal die Nakba, die Katastrophe mit Vertreibung, Massakern, Flucht, Zerstörung und Enteignung, mit der das palästinensische Volk die Staatsgründung Israels bezahlen musste – und bis heute bezahlt.
Damals hat der Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V. eine sehr verdienstvolle Wanderausstellung auf den Weg gebracht, die die Nakba wissenschaftlich dokumentiert und den historischen Wahrheiten Gerechtigkeit widerfahren lässt. Die Ausstellung wurde gefördert vom Evangelischen Entwicklungsdienst sowie der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg und von über 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterstützt. Bis heute wurde sie an rund 100 Orten gezeigt, u.a. 2014 im EU-Parlament in Straßburg und am Sitz der UNO in Genf. Sie wurde von Zehntausenden besucht, trotz massiver Anfeindungen einer zweifelhaften Israel-Lobby, deren Zensur- und Verbotsforderungen sich hier und da leider auch Kommunalpolitik und Kirchengemeinden gebeugt haben, wie jüngst wieder in Köln.
Der Erfolg der Ausstellung hat offensichtlich eine weitere Maßnahme der Israel-Lobby (in Wahrheit Agenten der rechtsextremen Regierung Netanyahu) hervorgerufen. Diesmal ist eine der Regierungspolitik nahestende Organisation namens DEIN e.V. – Verein für Demokratie und Information mit einer Wanderausstellung «1948. Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels» auf den Plan getreten. Arn Strohmeyer hat die mit 32 Tafeln und einem 70seitigen Beiheft versehene Ausstellung untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich um einen «klassischen Fall von Geschichtsfälschung» handelt.
In einer Broschüre von gut 150 Seiten nimmt er die zentralen Aussagen der Ausstellung auseinander, sie sind vollkommen deckungsgleich mit den offiziellen Mythen der israelischen Staatsgründung. Strohmeyer stützt sich dabei v.a. auf die neueren Forschungsergebnisse israelischer Geschichtswissenschaft, die auf Basis von Material aus den geöffneten Staats- und Militärarchiven, Regierungsprotokollen, Aufzeichungen handelnder Personen und Zeitzeugenaussagen zu ganz anderen Einschätzungen kommen. Doch die Arbeiten kritischer Historiker wie Simcha Flapan, Ilan Pappe, Shlomo Sand, Tom Segev und Moshe Zuckermann werden von der Ausstellung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
Strohmeyer zeigt auch, dass die Ausstellung keineswegs eine israelische Position wiedergibt. Es gebe eben auch das «andere» Israel. Dabei versichern die Organisatoren, sie wollten die Vergangenheit «korrekt» und «nicht verzerrt» präsentieren, und «Halbwissen, Vermutungen, Desinformation und Hassinformationen» entgegenzutreten. Strohmeyer dazu: «Das klingt gut, ist aber selbst reine Propaganda, denn die Ausstellung wird den von ihr gesetzten Kriterien in keiner Weise gerecht.»
Weggelassen, vertuscht und manipuliert wird schon hinsichtlich der Vorgeschichte der Staatsgründung. Die Entstehung und Entwicklung der kolonialistischen – auf Vertreibung der ansässigen Palästinenser ausgerichteten – zionistischen Bewegung seit Ende des 19.Jahrhunderts fehlt vollständig. Die Gegenwehr der Palästinenser in den 30er Jahren – noch unter britischer Mandatszeit – wird als Ausdruck von Fanatismus, Machtstreben und Antisemitismus hingestellt. Die jüdischen Einwanderer hätten nur friedlich aufbauen wollen, die Palästinenser seien auch nicht vertrieben worden, die meisten seien freiwillig gegangen. Eine von den zionistischen Terrormilizen und der entstehenden israelischen Armee betriebene ethnische Säuberung, die bereits unmittelbar nach dem UN-Teilungsbeschluss vom November 1947 einsetzte, die UN-Teilungspläne missachtete und lange vor dem schwächlichen und unkoordinierten arabischen Angriff nach der Ausrufung des Staates Israel am 15.Mai 1948 Fakten schuf, habe es nicht gegeben. Die Verfasser des Ausstellungskatalogs bestreiten überhaupt die Tatsache, dass es seit Jahrhunderten ein palästinensisches Volk gab. Doch entgegen allen Beteuerungen fand der Zionismus Ende des 19.Jahrhunderts keine menschenleere Wüste vor, die er angeblich zum Blühen brachte, sondern drang in ein Land ein, in dem Hunderttausende Palästinenser seit langem ansässig waren.
Strohmeyer resümiert: «Weil die zionistische Ideologie nicht zugeben kann, dass der palästinensische Widerstand die Antwort auf die Unterdrückung der nationalen Rechte dieses Volkes ist … muss die zionistische Sicht auf die Geschichte und die aktuelle politische Situation mythisch, legendenhaft und deswegen ahistorisch sein … Das gilt auch für die hier kritisierte Exposition 1948. Die Ausstellung, die sich ganz der zionistischen Weltanschauung unterordnet.» Sie erinnert an die alte Volksweisheit: Die Wahrheit ist ein selten Kraut, noch seltener, wer es gut verdaut…
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