von Angela Klein
In SoZ 10/2018 hat Ute Abraham einen Artikel über den §219a geschrieben. Dieser Paragraf ist ein Relikt aus der Nazizeit. Er beinhaltet, dass Ärztinnen und Ärzte nicht öffentlich darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen durchführen. Er wurde der Ärztin Kristina Hänel zum Verhängnis, die deshalb im November 2017 wegen unerlaubter Werbung angeklagt wurde (siehe SoZ 1/2018, 5/2018 und 10/2018). Frau Hänel wurde seinerzeit von Klaus Günter Annen aus Baden-Württemberg verklagt, dem Betreiber der Webseite «babykaust.de», einem der bekanntesten «Lebensschützer», der sich rühmt, Hunderte Anzeigen erstattet zu haben. «Annen hat auf seiner Homepage aufgelistet, wen er alles angezeigt hat, und dass er das seit 17 Jahren tut», sagt die Ärztin Nora Szász hierzu in einem Interview mit Annabelle Seubert von der Böll-Stiftung.¹
Zwei selbsternannte Lebensschützer jagen seit Jahren Ärztinnen und Ärzte wegen vermeintlicher «Werbung für Abtreibung», Herr Annen ist einer von ihnen. Der zweite ist ein Mathematikstudent aus Kleve, der unter dem Pseudonym Markus Krause auftritt. Er hat es sich zum «Hobby» gemacht, im Internet aufzuspüren, wo Ärztinnen darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und zeigt sie dann an. Anders als Annen gibt er aber Interviews, z.B. dem Deutschlandfunk am 9.April. In einem Beitrag von Gaby Mayr wird er dort zitiert: «Ich mach das Ganze jetzt seit gut drei Jahren. Ich habe, so würde ich mal schätzen, 60, 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby.» Er meldet die Betroffenen auch den Landesärztekammern, denn er möchte erreichen, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Seine Motivation erklärt er folgendermaßen: «Also ich versuche, das Leben zu schützen im Rahmen dessen, was der Gesetzgeber vorgesehen hat. Ich finde, der Gesetzgeber hat hier mit dem §219, als er ihn erlassen hat, ein durchaus sinnvolles, logisches begründbares Verbot erlassen, und ich möchte eben, dass das, eine Straftat, dann natürlich auch in allen ihren Konsequenzen verfolgt wird.»
Das alles macht er allerdings heimlich, damit seine Karriere keinen Schaden nimmt. Auch dem Deutschlandfunk hat er das Interview anonym gegeben. Er würde nämlich, «wenn es geht, gerne an der Uni (Duisburg-Essen) bleiben, dort übernommen werden als Dozent, als Fachkraft, das würde mir sehr gut gefallen».
Klartext hingegen redet Nora Szász im erwähnten Interview für die Böll-Stiftung. Die Frauenärztin, die in Kassel eine Gemeinschaftspraxis mit Natascha Nicklaus führt, hat gleich zwei Anzeigen bekommen, «eine von Yannic Hendricks, einem Mathematikstudenten aus Kleve, der hobbymäßig Online-Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte erstattet, die Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Website aufführen. Und Anfang Oktober kam eine Anzeige von Klaus Günter Annen…»
Es gibt auch noch andere Internetseiten, die die Identität von Markus Krause enthüllen und noch so einiges mehr über das Milieu, in dem er sich aufhält. Unsere Autorin hat also keinen Geheimnisverrat begangen, als sie schrieb, «einer davon ist Yannic Hendricks, der in Interviews lieber unter dem Pseudonym ‹Markus Krause› auftritt».
Dennoch hat der Verein für solidarische Perspektiven, Herausgeber der SoZ, von der Kanzlei Höcker in Köln eine Abmahnung bekommen. Die Kanzlei fordert, dass wir eine «strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung» abgeben und dafür an die Kanzlei 1564 Euro zahlen. Widrigenfalls droht sie mit einer Klage und legt den Streitwert vorsorglich auf 30000 Euro fest.
Die Kanzlei argumentiert, der Mathematikstudent sei der Öffentlichkeit unbekannt, das Pseudonym, unter dem er Interviews gibt, dürfe deshalb nicht enthüllt werden. Wir hätten gegen Europäisches Datenschutzrecht verstoßen.
Nun widerspricht jedoch allein die Tatsache, dass Hendricks nicht in seinem Studierstübchen geblieben ist, sondern in Interviews das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat, der Darstellung, er habe ein rein privates Anliegen verfolgt, mit dem er kein öffentliches Interesse verbinde.
Der Verein für solidarische Perspektiven ist deshalb zur Auffassung gelangt, dass die Öffentlichkeit durchaus das Recht hat zu erfahren, wer das ist, der da Dutzende von Arztpraxen mit Anzeigen überzieht, einen Haufen Staatsanwaltschaften beschäftigt und überdies dazu beigetragen hat, eine öffentliche Debatte über den §219a loszutreten, die sogar das Kabinett beschäftigt. Zumal das «Hobby» dieses Studenten als Teil der Kampagne eingestuft werden muss, mit der Lebensschützer seit Jahren versuchen, Abtreibungen wieder zu kriminalisieren und selbst die geringen Möglichkeiten von Frauen im Rahmen des geltenden §218 einzuschränken.
Der fanatische «Lebensschützer», der das Leben der Ärztinnen, Ärzte und Schwangeren unter dem Schutz der Anonymität erschwert, hat in der Kanzlei Höcker aus Köln jemanden gefunden, der zu ihm passt. Die auf Marken- und Medienrecht spezialisierte Kanzlei hat eine durchaus engagierte Auffassung von ihrer Tätigkeit. Auf ihrer Webseite legt sie ihre Philosophie dar: «Nein, wir gehören nicht zur ‹Hamburger Schule›. Wir warten nicht ab, bis über Sie geschrieben wird und bemühen erst anschließend die Gerichte: Als kommunikationsfreudige Rheinländer … intervenieren [wir] frühzeitig. Mit ‹Zuckerbrot und Peitsche› vermeiden wir negative Berichterstattung schon im Vorfeld.» Denn: «Wenn jeder frei ist, ist es keiner, denn die Freiheit des einen endet, wo die des anderen beginnt. Wir kennen die Schranken der Freiheit und setzen sie durch: Im Marken-, Medien- und Wettbewerbsrecht… Die Privat- und Intimsphäre von Menschen wird von der Presse immer wieder hemmungslos verletzt. Das gefällt uns nicht.» Aus dieser Sicht ist es logisch, dass die Kanzlei jemanden wie Hendricks vertritt.
Die Stiftung Warentest, die ihrerseits die Kanzlei bereits unter die Lupe genommen hat, kommentiert dieses Selbstverständnis wie folgt: «Wer als Journalist vor dubiosen Anbietern warnen möchte, muss Namen nennen. Die Kanzlei Höcker aus Köln will das verbieten. Sie versucht Journalisten einzuschüchtern, indem sie bereits vor einer Veröffentlichung mit rechtlichen Schritten gegen die Berichterstattung droht. Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.» Warentest bekam selber mit der Kanzlei zu tun, etwa als sie der Firma Tree Value Forestry GmbH kritische Nachfragen wegen irreführender Werbung für ein Bauminvestment stellte. Anstelle der Firma habe die Kanzlei geantwortet, so steht es auf der Webseite von Warentest, mit dem Inhalt, es dürfe zwar kritisch über die Branche berichtet werden, sollte die Firma allerdings aus der Masse der Anbieter herausgegriffen und namentlich genannt werden, werde die Kanzlei ihr presserechtliche Schritte empfehlen. Warentest reagierte mit dem Satz: «Wir berichten trotzdem.» Denn ohne die Nennung von Namen sei Aufklärung nicht möglich, könnten z.B. Falschinformationen nicht nachvollziehbar widerlegt werden.
Die Kanzlei vertritt so honorige Leute wie Erdogan gegen Böhmermann, auch AfDler.² Vor allem aber Firmen, die sich das Recht herausnehmen, mit ihren Geschäftspraktiken andere zu schädigen, selber aber unerkannt dabei wegkommen wollen.
Kersten Artus ist Vorsitzende von pro familia Hamburg. Auf ihrem Blog hat auch sie mit Klarnamen über Hendricks berichtet – und ebenfalls eine Klage an den Hals bekommen. Ihr Gerichtstermin ist im Februar. Die Anzeige gegen die SoZ ist mithin Teil der umfassenden Kampagne der sog. Lebensschützer – ein reaktionärer Backlash, der sich gegen die Errungenschaften der Frauenbewegung richtet. Leidtragende sind Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und vor allem Frauen, denen ein Informationsrecht verweigert und ein Abbruch erschwert wird. Die Redaktion hat deshalb mit dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Kontakt aufgenommen und wird mit ihm kooperieren.
¹www.boell.de/de/2018/06/29/es-soll-wieder-heimlich-passieren, Zugriff: 12.10.2018.
²www.deutschlandfunk.de/der-medienanwalt-ralf-hoecker-rechtssuche-wo-rechts-ist.862.de.html?dram:article_id=395903, Zugriff: 23.10.2018.
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