von Manfred Dietenberger
Die Gründung einer Vereinigung «Juden in der AfD» hat von verschiedener Seite Kopfschütteln provoziert. Nachstehend ein hervorstechendes Beispiel geistiger Verwirrung.
Das bis vor kurzem in Europa bedeutendstes Stoffdruck-Unternehmen, die KBC Fashion GmbH & Co. KG in Lörrach, mit seiner über 260jährigen Geschichte war eines der ältesten Unternehmen in Europa. Der Ursprung der KBC reicht zurück in das Jahr 1753, als Markgraf Carl Friedrich von Baden dem aus Bern stammenden Johann Friedrich Küpfer das Privileg zur Errichtung einer Indienne-Fabrik erteilte. Sie stellte bedruckte Baumwollstoffe her.
Vor etwa zwei Jahren wurde KBC aber an den italienischen Investor Wise verkauft, der immer und immer wieder beteuerte, alle Marken am Leben zu erhalten. So lange eben, bis diese Lüge nicht mehr länger aufrecht zu erhalten war. Seit kurzem ist es offiziell, KBC Lörrach wird zerfleddert, Hunderte Arbeitsplätze gehen in Lörrach verloren: Verlagert werden die Rotation, die Färberei und die Vorbereitung. Sie wandern ins italienische Como, dort hat der KBC-Mutterkonzern Wise ein digitales Produktionszentrum aufgebaut. In Lörrach bleiben nur noch die Bereiche Kreation, Inkjet-Druck, Segeltuchproduktion und ein Lager.
Ende September 2018 verkündete der Betriebsratsvorsitzende (und Abteilungsleiter) Wolfgang Fuhl nach einem zwölfstündigen Verhandlungsmarathon: «Die in den letzten Tagen durchgeführten Aktionen der Belegschaft, mit großer Unterstützung durch die IG Metall … und Sekretär Thomas Bittner, hatten genügend Druck aufgebaut, um einen einvernehmlichen finanziellen Ausgleich für die Betroffenen zu erreichen. Der Betriebsrat wertet das Gesamtergebnis als gut.» Betriebsrat, Thomas Bittner von der IG Metall und die Geschäftsleitung KBC Fashion haben sich auf den Sozialplan für die von Entlassung betroffenen Mitarbeiter geeinigt. Für die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen konnte eine Standortgarantie bis zum 31.Dezember 2022 vereinbart werden. Der Sozialplan läuft ebenfalls bis zum 31.Dezember 2022.
Es «schwinge für ihn gleichwohl eine gehörige Portion Traurigkeit mit», so Fuhl. 40 Jahre ist er nun bei der KBC beschäftigt. Er erlebte Blütezeiten und Krisen, Übergänge und Neuanfänge und unterschrieb und verteidigte «Standortsicherungsverträge» genannte Verzichtsverträge. Dennoch trauten die Beschäftigen ihm am ehesten zu, ihre Arbeitsplätze zu erhalten, und wählten Fuhl bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 mit den meisten Stimmen in den Betriebsrat und den bis dahin amtierenden Betriebsratsvorsitzenden aus dem Gremium. Wochenlang stand der Name Wolfgang Fuhl in der Lokalpresse als Synonym für den Kampf der Beschäftigen bei KBC- Lörrach um «ihren» Betrieb.
Sein Name ist aber auch durch seine aktive Teilnahme an der Vorbereitung der Gründung der neuen AfD-Vereinigung, «Juden in der AfD», in allen bundesdeutschen Medien präsent. Diese Vereinigung, zu deren Gründern Fuhl gehört, erfuhr von Anfang an Kritik von allen Seiten, so auch vom noch AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon, aus Rielasingen-Worblingen im Landkreis Konstanz. Der sitzt als Fraktionsloser für den Wahlkreis Singen im baden-württembergischen Landtag. Seine antisemitischen Äußerungen sind selbst AfD-Chef Meuthen zu rufschädigend, und jetzt fordert auch die Chefin der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel: «Nach Gedeons neuerlichen Ausfällen ist es an der Zeit, dass er endlich aus der Partei fliegt.» Am 15.11.2018 beschloss der AfD-Bundesvorstand ein Parteiausschlussverfahren.
Aktueller Anlass sind Gedeons Ausfälle gegen die kurz zuvor gegründeten neuen Vereinigung «Juden in der AfD». Wörtlich sagte Gedeon: «Im günstigsten Fall ist diese Gründung überflüssig wie ein Kropf, im ungünstigsten Fall handelt es sich um eine zionistische Lobbyorganisation, die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwider läuft.» Die AfD habe «zu Recht eine positive Haltung zum wahren christlichen Selbstverständnis des europäischen Kontinents eingenommen».
Doch selbst wenn dieses Ausschlussverfahren abermals im Sande verlaufen sollte, wird Wolfgang Fuhl weiter in Treue fest zur AfD stehen. Daran änderte sich ja auch nichts, als Meuthen sich nach Höckes Rede zum Holocaust-Mahnmal in Berlin («Denkmal der Schande») hinter diesen stellte und im baden-württembergischen Landtag den Antrag einbrachte, die Fördergelder für die Gedenkstätte in Gurs (am Fuße der Pyrenäen) zu streichen. Vertreter jüdischer Gemeinden in Deutschland schütteln darüber besorgt den Kopf. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, äußerte in der Bild Unverständnis dafür, «wie jüdische Menschen ihre Mitgliedschaft in einer solchen Partei vor sich selbst rechtfertigen können». «Die AfD ist und bleibt eine Partei, in der Antisemiten sich pudelwohl fühlen können», so Knobloch.
Doch das ficht den AfD-Recken Fuhl nicht an, er ist schon lange überzeugt: «Die offiziellen Kirchenvertreter und jüdischen Vertreter sind längst vom Merkel-Regime instrumentalisiert und singen das Hohelied des Mammongebers. Es wird unsere Aufgabe sein, christlich-jüdische Ethik mit dem Erhalt eines christlich-jüdischen Europas der Freiheit politisch in Einklang zu bringen und für dieses Ziel um politische Mehrheiten zu werben.»
Wolfgang Fuhl hat seine eigene verquere Sicht auf die Welt und fühlt sich damit im Einklang mit der Denkweise vieler in der AfD. Gefragt, welche Probleme und Sorgen jüdische Bürger in Deutschland besonders umtreiben, antwortet Fuhl:»Die größte Sorge ist zur Zeit der von Merkel importierte Antisemitismus. Alle ermordeten Juden in Europa in diesem Jahrtausend wurden von Muslimen ermordet, dies ist eine prägende, negative Erfahrung, die sich in das kollektive jüdische Gedächtnis genauso einbrennt wie der Holocaust.»
Probleme der Israelitischen Gemeinde
Am 30.April 2011 war Fuhl noch mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet worden, der Ministerpräsident hieß damals Mappus. Der betonte: «Die (damit) ausgezeichneten Mitbürgerinnen und Mitbürger haben sich durch besondere Leistungen hervorgetan: Leistungen in den Bereichen Religion und Soziales, Kunst und Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, Politik und Verwaltung oder durch vorbildliches Verhalten in Alltag und Beruf. Mit ihrem Wirken, ihrem Einsatz und ihrer Selbstlosigkeit sind die Geehrten anderen Menschen zu Vorbildern geworden.»
In der Begründung für die Verleihung des Verdienstordens an ihn steht noch folgendes: «Wolfgang Fuhl wurde zum Mitglied der Großen Tarifkommission und in den Aufsichtsrat seiner Firma bestellt. Er hatte maßgeblichen Anteil an einem Standortsicherungsvertrag, mit dem 1997 über 600 Arbeitsplätze im Lörracher Stammwerk gesichert werden konnten. 2005 wurde Wolfgang Fuhl in den Vorstand der Israelitischen Gemeinde in Lörrach, 2007 zum Vorsitzenden des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden gewählt. Auch dem Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland gehört er seit 2008 an. Wolfgang Fuhl ist mitverantwortlich, dass das Land und die Israelitischen Religionsgemeinschaften einen Staatsvertrag abschließen konnten, der das jüdische Leben in unserem Land stärkt und schützt. Genau 200 Jahre nach der ersten Anerkennung einer jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland durch den badischen Großherzog wurde damit in Baden-Württemberg die höchste Form der staatlichen Anerkennung für eine Religionsgemeinschaft erreicht. Sinnbildlich für das Wiederaufblühen jüdischen Lebens in unserem Land steht der Bau einer neuen Synagoge in Lörrach, die am 9.November 2008 eingeweiht wurde. Auch dazu hat Wolfgang Fuhl beigetragen.»
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn er erfährt, dass der einst wegen Verharmlosung der NS-Zeit in seiner Trauerrede für Hans Filbinger öffentlich kritisierte und in Verruf geratene Ministerpräsidenten Günther Oettinger wenige Wochen vor seinem Wechsel in die EU-Kommission der erste Preisträger der Verdienstmedaille der IRG Baden wird. Begründung: Oettinger habe zusammen mit dem Vorsitzenden der IRG Baden, Wolfgang Fuhl, in Israel eine neue Thorarolle in Empfang genommen und diese im Flugzeug der Delegation nach Baden-Württemberg gebracht. Darüber hinaus sei durch Oettingers Engagement der Staatsvertrag zwischen Baden-Württemberg und den jüdischen Einwohnern des Landes zustande gekommen.
Wolfgang Fuhl leitete bis 2012 die Jüdische Gemeinde Lörrach, saß im Landesverband der Badener Juden und im Direktorium des Zentralrats. Nach seinem Rückzug von diesen Ämtern wurde er 2013 Mitglied der AfD, für die er auch bei der Bundestagswahl im gleichen Jahr – erfolglos – kandidierte. Die Leitung seiner jüdischen Gemeinde ist über Fuhls AfD-Aktivitäten alles andere als erfreut und fürchtet um ihr Ansehen. Nach der Wahl gefragt, ob er glaube, auch jüdische Stimmen erhalten zu haben, meint er: «Ich weiß es nicht. Aber viele russische Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sagten mir vor der Wahl, sie würden mich ganz sicher wählen, wären sie hier stimmberechtigt.»
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