von Cornelia Möhring*
Der §219a StGB, der Ärztinnen verbietet, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, könnte längst Geschichte sein. Es gibt eine Mehrheit im Bundestag, die ihn abschaffen will. Eigentlich. Aber die SPD hat einen Tag, bevor sie Frau Dr. Merkel zur Kanzlerin wählte, ihren Gesetzesvorschlag auf Streichung zurückgezogen.
Volker Kauder hatte darum gebeten und Kanzlerin Merkel hatte ein Versprechen für eine gemeinsame Lösung abgegeben. Übrig blieben die Anträge von Linken, Grünen und FDP. Und zahlreiche enttäuschte Frauen und Ärztinnen, die zu Recht gehofft hatten, dass dieser Unrechtszustand endlich beendet wird.
Während die Versorgungslage in Deutschland immer schlechter wird, es in ganzen Landstrichen und Städten keine Ärztinnen mehr gibt, die Abbrüche durchführen, Frauen sogar das Bundesland wechseln müssen, um eine medizinische Beratung zu bekommen, durchgeknallte Abtreibungsgegner ihrem «Hobby» frönen, Ärztinnen und nun auch Journalisten anzuzeigen, wartet die SPD auf die Einlösung eines Versprechens von Unions-Ex-Fraktionschef Kauder und der Kanzlerin.
Mich erinnert das an Becketts Theaterstück Warten auf Godot. Dabei könnte der §219a der Schicksalsparagraf für die SPD werden: Der Eiertanz, der auf die Panik folgt, die Groko könne platzen, verschärft die Glaubwürdigkeitskrise der SPD und auch ihren inneren Führungskonflikt.
Das zeigte sich auch in der jüngsten parlamentarischen Debatte am 18.Oktober. Einerseits forderten die beiden Rednerinnen der SPD erneut die ersatzlose Streichung des 219a, andererseits wollen sie weiterhin gemeinsam mit der CDU/CSU eine Gesetzesvorlage einbringen.
Die zuständigen Ministerinnen der Groko könnten kaum gegensätzlichere Haltungen zum Thema haben: Während die Justizministerin Katharina Barley sehr deutliche Worte für die Abschaffung findet, sieht Gesundheitsminister Jens Spahn keinerlei Reformbedarf, und die Familien- und Frauenministerin Franziska Giffey kann sich mit einer Reform, mit der die Information straffrei wird, anfreunden.
Der Union ist das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, die Informationsfreiheit und das Recht der Ärztinnen, ihren Beruf frei ausüben zu können, gelinde gesagt egal. Sie fabuliert über den Schutz des ungeborenen Lebens und übersieht dabei komplett, dass es im §219a nicht um die Grundsatzentscheidung, Abbruch ja oder nein, geht.
Das Argument, dass der aus der Nazizeit übergebliebene Paragraf verfassungswidrig ist, erreicht ihren (Denk-)Horizont nicht. Ignoriert wird zudem die Tatsache, dass es in den Ländern mit den liberalsten Gesetzen, mit einer vollständigen Entkrimininalisierung und Informationsfreiheit über den Schwangerschaftsabbruch die niedrigsten Abbruchquoten gibt, denn keine Frau macht sich diese Entscheidung leicht.
Doch in der Vorstellung der Konservativen und der Rechten sind Frauen alleine nicht handlungsfähig, sie müssen zwangsberaten werden. Das Recht auf sexuelle, körperliche und reproduktive Selbstbestimmung und Gesundheit ist weniger wert als «das werdende Leben». Oder wie der AfD-Abgeordnete Maier in der Debatte sagte: «‹Mein Bauch gehört mir› darf nicht gelten.»
Im Kern geht es um den Einfluss des Staates (und der Kirche) auf den weiblichen Körper. Die Sozialdemokraten machen sich mit den rückständigen Positionen gemein, solange sie auf die Union und den Einfluss von Frau Merkel hoffen und ihren eigenen Gesetzentwurf zurückhalten. Würden sie aber zeigen, dass ihr die eigene Beschlusslage – immerhin getragen von Fraktion, Parteitag und Parteivorstand – wichtiger ist, als ein an einen (nicht mehr amtierenden) Unionsfraktionsvorsitzenden abgegebenes Versprechen, könnte dies auch von Wählerinnen und Wählern als ein erster Schritt zurück zur Glaubwürdigkeit honoriert werden. Es wäre ein Beleg für noch vorhandenes Rückgrat.
Der §219a könnte für die SPD zum Schicksalsparagrafen werden. Dummerweise sitzt sie immer noch vor der Tür, auf der steht: «Komme gleich wieder! Godot.»
* Cornelia Möhring ist frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
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