Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2018
Die Kohlekommission verfehlt mit dem anvisierten Kohleausstieg bis 2038 das Ziel
von Kai Hasse

Die Klimapolitik der Bundesregierung steht politisch unter Druck. Der Hitzesommer und die extreme Trockenheit in diesem Jahr haben vielen Menschen verdeutlicht, dass die Klimaänderungen zu einem Katastrophenszenario führen werden, wenn nicht endlich deutliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Die deutsche Regierung trägt hier eine große Verantwortung. Weltweit schauen viele Millionen Menschen auf das viertgröße Industrieland der Erde, das früher mal als Vorreiter in Sachen Klimapolitik galt. Würde Deutschland entschlossene Maßnahmen ergreifen, wäre dies ein internationales Vorbild und würde die Abkehr von der Verbrennung fossiler Energieträger beschleunigen. Doch die Bundesregierung glänzt durch Nichtstun und betätigt sich in der EU sogar als Bremser gegen Klimaschutzmaßnahmen. Die gesetzten deutschen Klimaziele für 2020 drohen gerissen zu werden.
Dabei hatte sich die deutsche Regierung das Klimaziel für 2020 sogar so zurechtgeschneidert, dass Erfolge eigentlich leicht fallen sollten. Ein wichtiger Trick dabei war die Festlegung des Bezugsjahrs auf 1990. Denn nach 1990 wurde das braunkohlebasierte Industrie- und Heizsystem der DDR mit seinen hohen CO2-Emissionen vom Westen platt gemacht. Die neuen Ersatztechnologien aus dem Westen bauten auf Öl und Gas auf und waren wesentlich emissionsärmer. Allein durch diesen Mitnahmeeffekt wurden die deutschen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2000 um 17 Prozent verringert. Danach konnten noch einmal einfache technische Effizienzmaßnahmen genutzt werden.
Bis 2014 wurden die CO2-Emissionen so um 28 Prozent gegenüber 1990 reduziert. In dieser Zeit ließ sich Angela Merkel auf internationalen Konferenzen und von der Bild-Zeitung als «Klimakanzlerin» feiern. Seitdem ist allerdings nichts mehr passiert. Die unmittelbar erreichbaren Effizienzmöglichkeiten sind ausgereizt und die deutschen CO2-Emissionen dümpeln unverändert bei rund 900 Millionen Tonnen pro Jahr. Im Verkehrsbereich ist die Menge der Treibhausgase zuletzt sogar spürbar gestiegen.

Deutsche Klimaaktivi­tä­ten: Nur an der Papierfront
Alle Beobachter gehen davon aus, dass die Bundesregierung das deutsche Klimaziel 2020 massiv verfehlen wird. Insbesondere zeigt sie sich unfähig, aus der Braunkohle auszusteigen. Auch an allen anderen Fronten der Klimapolitik gibt es nur noch vollkommenes Versagen: im Verkehrssektor, in der Industrie, bei der Wärmesanierung und in der Landwirtschaft. Für weitere Treibhausgassenkungen müsste tief in bestehende Strukturen eingegriffen werden. Es bräuchte eine Verkehrswende zugunsten des ÖPNV, eine Abkehr von der Wegwerfproduktion und von der industriellen Landwirtschaft. Aber dafür müsste sich die deutsche Regierung mit ihren Freunden in den Konzernspitzen anlegen. Und das will sie nicht.
Trotz der zu erwartenden Blamage bei den Klimazielen für 2020 war die Bundesregierung an der Papierfront erstaunlicherweise weiter aktiv. In einem Kabinettsbeschluss vom November 2016 hat sie unter der Überschrift «Klimaschutzplan 2050» eine weitere Absenkung der deutschen Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 beschlossen. Bis 2040 sollen die CO2-Emissionen sogar um mindestens 70 Prozent verringert werden. Und 2050 soll Deutschland klimapolitisch neutral sein.
Man reibt sich die Augen. Die Regierung steht kurz vor dem völligen Versagen ihrer Klimaziele für 2020 und sattelt trotzdem noch drauf. Auf der persönlichen Ebene gibt es dafür nur eine Erklärung: Die führenden Leute in der Regierungsriege sind bereits über 60. Planungen, die zwanzig Jahre in die Zukunft reichen, dürften ihnen schlicht egal sein. Und die jüngeren Politiker sind im selben Geiste erzogen. Wir haben es in der politischen Führung offensichtlich mit einer Truppe von Zynikern zu tun, für die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung ein Fremdwort ist.
Es bleibt daher festzuhalten: Wenn es keine erhebliche Zunahme des politischen Drucks der Ökologiebewegung gibt, ist zu erwarten, dass auch zukünftige Versprechen gebrochen und deutsche Klimapläne gerissen werden.

Kohlekommission schief ausgewählt
In dieses Bild der umfassenden Verantwortungslosigkeit passt auch die Einberufung der Kohlekommission im September 2018, die einen Plan für den Kohleausstieg beschließen soll. Merkel und Nahles wollen damit einerseits Verantwortung wegdelegieren. Gleichzeitig haben sie mit einer völlig schiefen Auswahl der 28 Kommissionsmitglieder dafür gesorgt, dass wieder mal kapitalistische Interessen mehr wiegen als ökologische Vernunft.
Das beginnt bei der vierköpfigen Leitung des Gremiums. Hier sitzen zwei abgehalfterte ehemalige Ministerpräsidenten¹, die sich in der Vergangenheit immer als ausgesprochene Braunkohlefreunde präsentiert haben. Dazu Ronald Pofalla, CDU-Mann und enger Vertrauter von Angela Merkel. In der Kommission selbst sitzen die vier Vorsitzenden der großen deutschen Industrieverbände² und dazu noch ein Vorstandsmitglied der Telekom. Von diesen knallharten Kapitalvertretern ist definitiv keine Klimapolitik zu erwarten. Zu den Köpfen der Kohlekommission zählen weiterhin zwei Arbeitsmarkt- und Sozialforscher und drei Mitglieder aus Gewerkschaftsvorständen, darunter der Chef der IG BCE, Michael Vassilidis, ein unerbittlicher Braunkohleanhänger³.
Obwohl es eigentlich um Klimapolitik geht, hat mit Joachim Schellenhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung nur ein einziger Klimawissenschaftler einen Platz im Gremium erhalten. Dazu zwei Energiewissenschaftler, die sich für erneuerbare Energien einsetzen, zwei Betroffene des Braunkohlebergbaus4 und drei Vertreter von Umweltverbänden5. Rechnet man alles zusammen, so sitzen in der Kommission nur acht Personen, die eindeutig als Kohlegegner identifizierbar sind. Dagegen stehen vier Berufspolitiker aus den Reihen der Großen Koalition, mindestens sechs Kapitalvertreter sowie Michael Vassiliadis von der IG BCE, den man auch zu dieser Gruppe zählen darf. Der Rest ist nicht so klar einschätzbar, dürfte aber im Zweifel eher für lange Kohlelaufzeiten votieren.

Tricks hinter den Kulissen
Was von der Kommission zu erwarten ist, hat der Merkel-Vertraute Pofalla bereits im September 2018 in dubiosen Einzelgesprächen hinter den Kulissen deutlich gemacht. Seine «Ergebnisse», die sicher mit Merkel abgesprochen waren, wurden dann hinter dem Rücken der eigentlichen Kommission verkündet. Danach soll die Kohleverbrennung noch bis 2038 fortgesetzt werden. Das soll versüßt werden durch einen einmaligen Kohlekraftwerksrückbau im Umfang von 5 bis 7 Gigawatt bis 2020. Das wäre lediglich eine Reduktion der Kohlekraftwerke um 15 Prozent oder sogar nur 11 Prozent.
Das Kommissionsmitglied Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, wies dieses Ansinnen richtigerweise zurück. Er sagte, dass es nicht um vordergründige Zieldaten, sondern im Sinne des Klimaschutzes um das noch maximal zur Verfügung stehende CO2-Budget geht. Ein Gedankengang, der Leuten wie Pofalla offensichtlich völlig fremd ist.

Zeit für Kohlekompro­mis­se abgelaufen
Tatsächlich ist es sinnlos, über ein irgendwie geartetes Ausstiegsdatum aus der Kohleverbrennung zu schwadronieren, wenn man sich nicht auf das verbleibende CO2-Budget bezieht. Was ist darunter zu verstehen? Um das auch von der Bundesregierung anerkannte 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht zu überschreiten, dürfen ab 2015 weltweit nur noch 890 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt werden. Das ist das zulässig Maximum, damit die Klimaschäden noch in Grenzen gehalten werden können.
Bei einem Anteil der deutschen Bevölkerung an der Weltbevölkerung von etwa 1,1 Prozent ergibt sich auf der Basis einer fairen Pro-Kopf-Verteilung des noch vorhandenen CO2-Budgets eine deutsche Emissionsmenge von nur noch 9,9 Mrd. Tonnen CO2 bis 2050. Bei den momentanen CO2-Emissionen von jährlich rund 900 Millionen Tonnen in Deutschland bedeutet dies, dass das deutsche Budget eigentlich nur noch bis 2026 reicht. Profalla und auch Merkel wollen aber die Kohle in den Kraftwerken fast ungebremst bis 2038 verbrennen lassen. Das ist kein Kompromiss, sondern ein ungerührtes «Weiter so».
Auch eine andere Perpektive macht das deutlich. Bereits auf der Klimakonferenz von Rio 1992, an der auch Vertreter der deutschen Regierung teilgenommen haben, wurde festgelegt, dass es eine Reduktion der Treibhausgase geben müsse. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte bereits im Vorfeld für die deutsche Regierung: «Die 20 Prozent der Menschheit in den Industrieländern verursachen ca. 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. An diesen Zahlen wird deutlich, wer die Hauptlast und wer die Hauptverantwortung bei der Verminderung der CO2-Emissionen tragen muss.»
Doch in den fast dreißig Jahren, die seitdem verstrichen sind, haben alle Regierungen die deutsche Klimaverantwortung nur vor sich hergeschoben. Das gilt gleichermaßen für Kohl, Schröder und Merkel. Substanziell wurde nichts unternommen, um aus den fossilen Energieträgern auszusteigen. Und während mittlerweile die Auswirkungen des Klimawandels auch Deutschland treffen, verlangen Merkel & Co. noch einmal zwanzig Jahre Aufschub für die Kohleverbrennung! Das wird dann als Kompromiss präsentiert. Dreister und verantwortungsloser geht es nicht mehr.

¹Aus Brandenburg und aus Sachsen.
²Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
³Sowie Ver.di und DGB.
4Antje Grothus von den «Buirern für Buir» und Michael Kreuzberg vom Landkreis Rhein-Erft.
5BUND, Deutscher Naturschutzring und Greenpeace.

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