Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2018
Gelbe Karte für regierende PiS
von Norbert Kollenda

Die Kommunalwahlen, die in zwei Wahlgängen am 21.10. und 4.11. durchgeführt wurden, hatten Bedeutung als Stimmungsbarometer für die Regierenden und könnten Tendenzen für die kommenden Wahlen aufzeigen: die EU-Wahlen 2019 und die Wahlen zum Sejm 2020. Auf der Zielgeraden hat die PiS geradezu panisch reagiert und sich mit rassistischen und fremdenfeindlich Spots überboten.
Die Ergebnisse: Die regierende Partei für Gerechtigkeit (PiS) kommt auf 33 Prozent; die KO (Bürgerplattform plus Nowoczesna) auf 26,7 Prozent; die Bauernpartei PSL auf 13,6 Prozent; die rechtsextreme Kukiz’15 auf 5,9 Prozent; die SLD auf 6,6 Prozent; Razem auf 1,5 Prozent und die Parteilose machen 5,8 Prozent aus. Somit kommen die demokratischen Parteien auf 47 Prozent, die extreme Rechte (PiS plus Kukiz) auf 38,9 Prozent.
Die Rechten haben verloren, obwohl sie versprochen haben, dass sie die Wojewodschaften auch finanziell unterstützen werden, in denen die PiS regieren wird. Sie haben verloren, obwohl sie in den nationalen, ehemals öffentlichen Medien eine schamlose Propaganda vom Stapel ließen. Sie haben verloren, obwohl sie gerade auf dem Land, wo sie die meisten Anhänger haben, Stimmung gegen die PSL machten.
Von den 16 Wojewodschaften gehen 6 an die PiS – vor allem im ost-südöstlichen Raum –, 9 an die KO; bei einer gibt es noch keine Entscheidung, wohin Unabhängige tendieren.
Besonders die Städte hatte die PiS mit einer großen Propagandawelle überzogen. In Warschau hat der Präses sein Letztes gegeben und finanzielle Geschenke angekündigt, Stadtpräsident wurde jedoch mit 54,1 Prozent Rafal Trzaskowski von der Bürgerplattform. In Krakau wurde Jacek Majchrowski wiedergewählt, der seit 2002 das Amt inne hat und damals mit seinem Amtsantritt seine Parteizugehörigkeit zur SLD aufgegeben hat. Premier Morawiecki hat bei einer Wahlveranstaltung behauptet, die Stadt habe nichts gegen die Luftverschmutzung unternommen hätte. Dabei gilt gerade Krakau als Vorbild für Polen. Nach einer Klage vor Gericht hat er seine Behauptung zurückgezogen.
Und das ist die Bilanz der Bürgermeister- bzw. Stadtpräsidentenwahlen in 107 Städten: 4 Ämter gehen an die PiS; 22 an die KO; 2 an die SLD; 1 an Kukiz und 1 an die PSL. Die restlichen 77 Städte bekommen parteiunabhängige Stadtoberhäupter, die sich in Stadt-, Mieter- und Bürgerbewegungen engagieren. Die PiS spricht von undankbaren Städtern, die die Zeichen des «guten Wandels» noch nicht erkannt hätten und gar dem Stockholm-Syndrom verfallen wären. Aber zum Glück gebe es außer Städtern noch andere echte Polen.

Und die Linke?
Die Linke ist in den städtischen Bewegungen zu finden, da und dort gab es Zusammenschlüsse: Grüne, Razem, SLD… Aber landesweit ist noch keine vereinigte Linke zu sehen. Als Integrationsfigur wird Robert Biedron gehandelt. Er war der erste offen schwul lebende Bürgermeister der Stadt Slupsk seit 2014. Jetzt hat er das Amt einer Nachfolgerin überlassen, um sich für Linke einzusetzen.
Kommentatoren verweisen jedoch darauf, dass linke Politiker – wie auch Biedron oder Zanderberg von Razem – die letzten Jahre offenbar verschlafen haben. Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass Wahlen in einem undemokratischen Staat zweitrangig sind. Nur eine vereinigte Opposition hätte bei den nächsten Wahlen zum Landesparlament noch eine Chance, das Ruder herumzureißen. Denn die Beispiele Ungarns, der Türkei und Russlands zeigen, dass ein Wahlgewinn der Opposition an ein Wunder grenzt, wenn alle Macht bei der Regierung ist. Für die PiS wird die Wahl einfach zu gewinnen sein, wenn die linken Parteien allein an den Start gehen. Schließlich hat sie gezeigt, dass «eine andere Politik möglich ist», aber den Linken ging es nicht um diese Art Politik.
Für viele Länder, so auch für Polen, gibt es in Zukunft wohl nicht die Wahl zwischen links und rechts, sondern zwischen einem liberalen Rechtsstaat und einer autoritären, sog. Demokratie. Wenn auch ersterer Klassengegensätze, Ungerechtigkeiten und Ausbeutung beinhaltet, so bietet er doch auch die Möglichkeit, die eigenen Interessen zu artikulieren, gibt es Freiheit für die Opposition, Lehre und Kunst. Das ist wenig? Aber bei der zweiten Option haben die Polen nicht einmal das!
Lieber eine schlechte Demokratie als keine, lieber Brüssel statt Ankara, Budapest oder Moskau. Ohne Demokratie wird es weder am Arbeitsplatz, noch in den Gemeinden oder der Wirtschaft eine Möglichkeit geben mitzubestimmen, immer werden wir dazu verurteilt sein, dass der erarbeitete Reichtum ungerecht verteilt wird, werden wir manipuliert werden und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Oberhand gewinnen. Null Toleranz gegenüber den korrumpierten Dieben der Bürgerplattform und den Bankstern der Nowoczesna, dem Nepotismus der PSL und all der anderen ideenlosen Kombinierer, die seit Jahren die politische Szene bevölkern. Aber was die PiS für Polen im Angebot hat…

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