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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2019

Moshe Zuckermann: Der allgegenwärtige Antisemitismus oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit. Frankfurt a.M.: Westend, 2018. 255 S., € 20
von Larissa Peiffer-Rüssmann

In Deutschland wird jede Kritik an der israelischen Politik umgehend mit dem Vorwurf des Antisemitismus geahndet. Trotzdem können wir angesichts des Unrechts, das den Palästinensern tagtäglich angetan wird, nicht schweigen und müssen uns gleichzeitig der deutsch-jüdischen Vergangenheit stellen. Moshe Zuckermann greift in seinem Buch die Widersprüche in diesem Konflikt auf und analysiert den Realitätsverlust gegenüber Israel. Er zeigt auf, wie das Gedenken an die Judenverfolgungen im Nationalsozialismus begrifflich instrumentalisiert und eine Auseinandersetzung mit der realen israelischen Politik verhindert wird.
Das Buch beginnt mit heute geläufigen, neutralen Begriffen wie «Zweiter Weltkrieg» und «Holocaust», was dem Völkermord an den europäischen Juden als historisch Einmaligem auch nicht annähernd gerecht wird – er war eben nicht eine Naturkatastrophe oder schicksalshafte Heimsuchung. Doch im Andenken an die Verfolgungsgeschichte verbirgt sich eine Ideologisierung der Erinnerung, aus der sich eine Israel-Solidarität speist, die blind macht gegenüber der realen Politik Israels, das seinerseits die eigene Politik gegenüber den Palästinensern rechtfertigt.
Um den Kausalzusammenhang zu verstehen, wird die historische Entstehungsgeschichte bis zur Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 ausführlich dargestellt. Die Vorstellung, dass «ein Volk ohne Land in ein Land ohne Volk eingewandert sei», wird gründlich widerlegt. Vielmehr entwickelte sich durch den Anspruch auf das Territorium ein blutiger Konflikt, der bis heute andauert. Aber diese Widersprüche, so wird deutlich, sind eben auch ein Teil der Verfolgungsgeschichte in Europa.
Im Kapitel über Deutschland wird der Bogen gespannt von der Nachkriegsära bis zur sterilen Israelsolidarität, von der Verhinderung israelkritischer Veranstaltungen bis zur Auferstehung der neuen Rechten.
In der offiziellen Politik wird die Staatsgründung Israels als eine Art «Wiedergutmachung» der Geschichte dargestellt, abgerundet durch offizielle Staatsabkommen wie das Wiedergutmachungsabkommen von 1952 und die Aufnahme diplomatischer Beziehung 1965. Dabei wird ausgeblendet, dass Israels Sicherheitspolitik einhergeht mit der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen.
Der verlogene Zeitgeist im Umgang mit der deutschen Vergangenheit wird beispielhaft dargestellt am Ausspruch von Joschka Fischer: «Nie wieder Auschwitz», mit dem er den Einsatz deutscher Kampfflugzeuge im Kosovo rechtfertigte, an der Rede Martin Walsers 1998, in der er einen «Schlussstrich» forderte, und an der neonazistisch-faschistoiden «Renaissance» im Rahmen der Migrationsbewegungen in den europäischen Raum, die dann als deutscher Auswurf in Sarrazins Entgleisungen gipfelten. Bedenklich ist dabei, wie viel Zuspruch seine ethnischen Vorurteile und seine Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Öffentlichkeit erfuhren.
Demgegenüber steht die Israelsolidarität der sog. Antideutschen, die eine Solidarität mit Israel und dem Zionismus unabhängig von der realen Politik pflegt, «ungeachtet der Unterdrückung des palästinensischen Volkes und der gegen dieses Volk historisch wie gegenwärtig begangenen Verbrechen», wie Moshe Zuckermann nüchtern feststellt. Sie betreibt die aktive Verhinderung zahlreicher israelkritischer Veranstaltungen, die im einzelnen aufgeführt werden. Die offizielle deutsche Politik spricht vom Ziel der Zweistaatenlösung, d.h. neben einem Staat Israel soll ein lebensfähiger palästinensischer Staat existieren – eine Zielsetzung, die mit Israels realer Politik gar nicht vereinbar ist. Das heutige Israel hat viele Gesichter: das «jüdische» Israel, das seit über 70 Jahren die arabisch-palästinensische Minderheit diskriminiert, das Israel mit der von Privatisierung und forciertem Sozialabbau gebeutelten Gesellschaft, das Israel der ultrarechten Siedlerbewegung und das der Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion, um nur einige zu nennen. Alle diese Widersprüche werden in ihrem historischen Kontext dargestellt und der Antisemitismusvorwurf in Beziehung zur Israelkritik gesetzt.
Den Ausführungen von Moshe Zuckermann schließt sich ein Gastbeitrag von Susann Witt-Stahl an, die sich mit der der staatsoffiziellen «Israelsolidarität» auseinandersetzt und u.a. die deutsch-israelische Kooperation, vor allem auf militärischer Ebene, nüchtern beschreibt.
Mit diesen Rüstungskooperationen erwirtschaftet sich das Gros des historisch belasteten Großkapitals (Daimler-Benz AG, BMW-Konzern, ThyssenKrupp u.a.) fette Profite, es sind die gleichen Betriebe, die an der Ausbeutung der KZ-Häftlinge verdient haben und für den Tod unzähliger Zwangsarbeiter verantwortlich waren.
Die Diskussion um Israels Existenzrecht wird mit harten Bandagen geführt und verschont auch Moshe Zuckermann nicht, der als Vertreter der marxistischen Frankfurter Schule entschieden gegen die Instrumentalisierung des Holocaust für eine militärisch geprägte Sicherheitspolitik Israels eintritt. Er ist der Überzeugung, dass nur eine humane, aufgeklärte und friedlich ausgerichtete israelische Gesellschaft eine Zukunft hat.

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