von Angela Klein
In alten Religionen war Zorn – Ausdruck einer Entrüstung, die zuweilen auch gewalttätig werden kann – das Privileg von Göttern und Helden: Zeus, Achilles, auch Wotan oder Jahwe. Gemeinsterblichen war er (mit Ausnahme der Patriarchen) verboten – eine frühe Form, das Gewaltmonopol der Herrschenden durchzusetzen. Viele Völker haben sich in der Geschichte über dieses göttliche Gebot hinweggesetzt und mit ihrem Zorn Staaten und Reiche erschüttert.
Auch der Zorn der gelben Westen wurde von den Herrschenden als ungehörig diffamiert, um die Bewegung zu spalten. Verfangen hat das nicht besonders. Von der anfänglich gnadenlosen Repression ist die Regierung dann etwas abgerückt und versucht, die Bewegung nun mit minimalen Zugeständnissen zu spalten. Auch die brechen ihr nicht das Genick. Im Gegenteil: In der Gewerkschaft CGT ist eine Diskussion ausgebrochen, die gelben Westen würden doch Anliegen vortragen, die auch Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter teilen. Die Gewerkschaftsführung habe sich gefälligst der Bewegung anzuschließen, statt Spalterdemos zu organisieren. Schüler und Studierende waren schon sehr früh dazugekommen – sie protestieren gegen die Reform des Abiturs und die Neuregelung der Zulassung zu den Hochschulen.
Das Vorgehen der Polizei löste helle Empörung aus, als sie Anfang Dezember in der Nähe von Paris rund 150 Menschen festnahm, die meisten davon Schüler, die in Reihen und unter Aufsicht der Sicherheitskräfte auf dem Boden knieen mussten, mit den Händen am Kopf oder hinter dem Rücken. Das Bild wurde später vielfach von Demonstrierenden nachgestellt und parodiert. Aber gibt es nicht denen recht, deren Zorn sich das Wochenende zuvor auf der Prachtstraße von Paris gegen die Reichen und gegen den Triumphbogen als ein Symbol des Staates entladen hatte?
Die Bevölkerung in Frankreich identifiziert sich ungleich mehr mit ihrem Staat – der aus einer Revolution hervorgegangen ist, auch wenn diese später von Napoleon usurpiert wurde – als in Deutschland. Wenn die Gelbwesten jetzt so zornig Symbole dieses Staates und der bürgerlichen Republik angreifen, dann spricht das Bände, wie tief die Enttäuschung darüber sitzen muss, dass dieser Staat sie nach Strich und Faden vernachlässigt und ausnimmt. Die da jeden Samstag Straßenkreuzungen und Autobahnen besetzen, sind Leute, die trotz übergroßer Anstrengungen das Monatsende kaum schaffen und verzweifelt dagegen ankämpfen, nach ganz unten abzurutschen und in die Langzeitarbeitslosigkeit zu fallen. Ihre Forderungen haben nichts Spektakuläres, seit Jahren treffen sie in der Bevölkerung auf hohe Zustimmung. Aber die Herrschenden scheren sich nicht drum. Und die Repräsentanten des Staates führen sich nicht weniger arrogant und selbstherrlich auf als die Fürsten im 18.Jahrhundert – Macron hat Wochen gebraucht, eh er überhaupt mal zuhörte und das Wort an sie richtete.
Die Bewegung ist jetzt ein wenig abgeebbt, doch sie ist nicht befriedet. Die unten können – und wollen – nicht mehr; ob die oben noch können, wird sich im kommenden Jahr zeigen.
Höchste Zeit, dass sich Wut auch hierzulande nicht mehr nur in den Farben der AfD buchstabiert.
Die 40 Forderungen der «gilets jaunes»:
– Keine Wohnungslosigkeit.
– Höhere Progression bei der Einkommensteuer.
– Mindestlohn von 1300 Euro netto.
– Förderung von kleinen Unternehmen und Geschäften in den Dörfern und Innenstädten. Keine weiterer Bau von großen Gewerbegebieten an den Rändern der Großstädte, die den Einzelhandel ersticken. Kostenlose Parkplätze in den Innenstädten.
– Umfassender Plan zur (energetischen) Isolierung der Wohnungen (Umweltschutz mit Einsparungen für die Haushalte verbinden).
– Die großen Konzerne (McDonalds, Google, Amazon, Carrefour) sollen bei der Besteuerung großes Geld bezahlen, die kleinen Unternehmen (Handwerker, kleine und mittlere Betriebe) sollen kleines Geld zahlen.
– Einheitliches Sozialversicherungssystem für alle (einschließlich Handwerker und kleinen Selbständigen). Abschaffung der Sozialversicherung für Selbständige (RSI).
– Das Rentensystem muss solidarisch und darum gesetzlich bleiben. Kein Rentensystem nach Punkten.
– Keine weitere Erhöhung der Treibstoffsteuern.
– Keine Rente unter 1200 Euro monatlich.
– Jeder gewählte Abgeordnete hat das Recht auf den Durchschnittslohn. Die Reisekosten werden überprüft und erstattet, wenn sie gerechtfertigt sind. Die Abgeordneten haben das Recht auf Restaurant- und Urlaubsgutscheine.
– Die Gehälter aller Franzosen, die Renten und die Sozialleistungen müssen der Inflation angepasst werden.
– Schutz der französischen Industrie. Standortverlagerungen verbieten. Der Schutz unserer Industrie bedeutet den Schutz unseres Fachwissens und unserer Arbeitsplätze.
– Schluss mit der Entsendung von Arbeitnehmern. Es ist nicht akzeptabel, dass jemand, der in Frankreich arbeitet, nicht das gleiche Gehalt und die gleichen Rechte erhält. Jeder, der auf französischem Gebiet arbeitet, muss den französischen Staatsbürgern gleichgestellt sein, und sein Arbeitgeber muss ebenso viel Abgaben zahlen wie ein französischer Arbeitgeber.
– Die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge für große Unternehmen muss weiter begrenzt werden. Wir wollen mehr unbefristete Arbeitsverträge.
– Beendigung des Programms von Steuererleichterungen für die «Förderung des Wettbewerbs und der Beschäftigung». Dieses Geld soll zur Förderung einer französischen Wasserstoffauto-Industrie eingesetzt werden (die im Gegensatz zu Elektroautos wirklich ökologisch ist).
– Ende der Austeritätspolitik. Einstellung der Zinszahlungen auf Schulden, die als illegitim eingestuft wurden. Beginn der Schuldentilgung, ohne das Geld den Armen und weniger Armen zu nehmen, sondern indem wir die 80 Milliarden Euro aus hinterzogenen Steuern aufspüren.
– Bekämpfung der Fluchtursachen, die Migration erzwingen.
– Faire Behandlung von Asylbewerbern. Sie brauchen Unterkunft, Sicherheit, Nahrung und Bildung für Minderjährige. Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (UN), um sicherzustellen, dass in zahlreichen Ländern der Welt Auffanglager eröffnet werden, in denen die Antragsteller die Resultate des Verfahrens abwarten.
– Abgelehnte Asylbewerber sollen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.
– Umsetzung einer Politik zur echten Integration. In Frankreich zu leben heißt, französisch werden (Französischkurse, Kurse in französischer Geschichte und in staatsbürgerlicher Bildung mit Abschlusszertifikat).
– Das Höchstgehalt soll auf 15000 Euro monatlich festgelegt werden.
– Schaffung von Arbeitsplätzen für Arbeitslose.
– Anhebung der Leistungen für Menschen mit Behinderung.
– Begrenzung der Mieten. Mehr bezahlbaren Wohnraum. Besonders für Studenten und prekär Beschäftigte.
– Verbot des Verkaufs staatlicher Grundstücke und Einrichtungen (etwa Flughäfen).
– Bereitstellung erheblicher Mittel für Justiz, Polizei, Gendarmerie und Militär. Bezahlung oder Ausgleich für die von Ordnungskräften geleisteten Überstunden.
– Die Einnahmen aus den Mautgebühren sollen vollständig für den Erhalt der Autobahnen, Straßen und Verkehrssicherheit verwendet werden.
– Seit der Privatisierung sind die Preise für Gas und Strom gestiegen, wir fordern, dass beides wieder öffentlich wird und die Preise entsprechend gesenkt werden.
– Steigerung der Lebensqualität für ältere Menschen. Verbot, mit älteren Menschen Geld zu verdienen. Die Zeit des «Grauen Goldes» ist vorbei, die Zeit des «Grauen Wohlergehens» beginnt.
– Keine weiteren Schließungen von Bahnlinien, Postämtern, Schulen und Geburtskliniken.
– Volksentscheide sollen in die Verfassung aufgenommen werden.
– Einrichtung einer verständlichen und effizienten Internetseite, die durch ein unabhängiges Gremium kontrolliert wird und auf der Bürger ihre Gesetzesvorschläge einbringen können. Erhält einer dieser Vorschläge 700000 zustimmende Unterschriften, muss er in der Nationalversammlung diskutiert und gegebenenfalls ergänzt und verbessert werden. Die Nationalversammlung soll dazu verpflichtet werden, einen solchen Vorschlag (ein Jahr nach dem Eingang der notwendigen 700000 Unterschriften) den Franzosen zur Abstimmung vorzulegen.
– Rückkehr zur siebenjährigen Amtszeit für den Präsidenten. (Die Wahl der Abgeordneten zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl übermittelt dem Präsidenten ein positives oder negatives Signal hinsichtlich seiner Politik. Sie trägt somit dazu bei, der Stimme der Bürger Gehör zu verschaffen.)
– Rente mit 60. Alle Personen, die körperlich schwer arbeiten (beispielsweise Maurer oder Schlachthausarbeiter) sollen das Recht haben, ab 55 Jahren in Rente zu gehen.
– Für Kinder, die keine Ganztagsschule besuchen können, sollen die Zuschüsse zur Betreuung über das sechste Lebensjahr hinaus bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes verlängert werden.
– Förderung des Gütertransport auf Schienen.
– Keine lebenslangen Bezüge für Präsidenten.
– Verbot einer Gebühr für Händler, wenn ihre Kunden mit Kreditkarte bezahlen.
– Besteuerung von Schiffsdiesel und Kerosin.
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