von Klaus Meier
Eigentlich sollte die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission ihren Abschlussbericht für einen Ausstieg aus der deutschen Kohleverstromung Ende Dezember vorlegen. Doch eine Einigung der Kommissionsmitglieder gab es nicht. Zuletzt hatten die Ministerpräsidenten Sachsens, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs reklamiert, dass angeblich «Geist und Intention des gegenwärtigen Berichtsentwurfs für die betroffenen Länder nicht akzeptabel» seien. Wegen dieser Intervention und weil es massive inhaltliche Differenzen gab, wurde der Abschlussbericht der Kommission auf den Februar 2019 vertagt. Zeit genug, um sich über die Möglichkeiten des Kohleausstiegs klar zu werden.
Um wieviel Kohlendioxid geht es?
Wie groß sind überhaupt die Mengen an Kohlendioxid, die durch die Verfeuerung von Kohle zur Stromerzeugung freigesetzt werden? Die Zahlen besagen, dass 2017 166 Mio. Tonnen CO2 durch die Verbrennung von Braunkohle und zusätzlich 124 Mio. Tonnen CO2 durch die Verfeuerung von Steinkohle freigesetzt wurden. In der Summe geht es also um 290 Mio. Tonnen – das bedeutet eine Verringerung des deutschen Treibhausgasausstoßes um 32 Prozent; dieser lag 2017 bei 905 Mio. Tonnen.
Selbst wenn Deutschland den Ausstieg aus der Kohleverstromung geschafft hat, müssten bis 2050 also noch große zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, damit das Land klimaneutral wird. Eine schnelle Umsetzung ist also geboten, insbesondere weil Deutschland in den letzten zwanzig Jahren kaum etwas unternommen hat.
Woher soll der Strom kommen, wenn Braunkohle und Steinkohle nicht mehr zur Verfügung stehen? Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bis 2021 auch der Ausstieg aus der Atomenergie bewältigt werden muss. Das zunächst zu ersetzende Endenergiemengengerüst umfasst also die Atomkraftwerke, die 2018 noch 68 TWh Energie geliefert haben sowie die Braunkohleverfeuerung, die für 126 TWh Strom steht. Zusammen also 194 TWh, die es zu ersetzen gilt.
Diese Menge verringert sich sofort, wenn die hohen deutschen Stromexporte berücksichtigt werden, die in den letzten Jahren zunehmend gestiegen sind. Allein 2017 lag das Saldo, also die Differenz von Stromexporten minus Importen bei plus 53 TWh. Und natürlich muss man auch die Strommengen betrachten, die durch einen Ausbau der erneuerbaren Energien ersetzt werden können. Wind und Sonne sind in den letzten Jahren von Bundes- und Länderregierungen immer wieder massiv behindert worden. Aber in den besseren Jahren wurde deutlich, wie schnell sie sich ausbauen lassen. So wurde die Photovoltaik von 2012 bis 2013 um 20 TWh ausgebaut. Die Windenergie zu Land wurde von 2014 bis 2017 um 30 TWh erweitert. Und die Offshore-Windenergie erlebte im selben Zeitraum einen Zubau von 15 TWh. Das bedeutet, dass man in drei Jahren die erneuerbaren Energien in Deutschland um 65 TWh erweitern kann.
Kohleausstieg bis 2030 problemlos möglich
Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien müssen zusätzlich die nicht geringen Möglichkeiten zur Stromeinsparung betrachtet werden. Ein Sektor, der dabei sofort ins Auge fällt, sind die Nichtwohngebäude in Deutschland. Während in den letzten Jahren der Energieverbrauch in den Millionen Wohngebäuden durch Effizienzmaßnahmen auf jährliche 10 TWh runtergefahren werden konnte, ist bei den Nicht-Wohngebäuden fast nichts passiert.
Aufgrund veralteter Lichttechnik verschwenden sie laut dem dena-Gebäudereport jährlich unfassbare 62 TWh allein für Beleuchtung. Durch eine gesetzliche Verpflichtung zur Einführung einer effizienten Lichttechnik könnten hier in wenigen Jahren große Strommengen eingespart werden. Wir gehen im folgenden von bescheidenen 20 TWh aus.
Die bisher aufgeführten Maßnahmen würden schon ausreichen, um in den sechs Jahren bis 2025 neben der Atomkraft auch aus der Braunkohle auszusteigen. In einem zweiten Schritt könnte die Abschaltung der 72 TWh zählenden Steinkohlekraftwerke folgen. Würde man den Ausbau der erneuerbaren Energien im gleichen Tempo fortsetzen, wäre dies rechnerisch sogar schon Ende 2027 möglich. Bei einem geringeren Ehrgeiz könnte der gesamte Kohleausstieg bis 2030 erfolgen.
Die Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren
Der geräuschlose Ausstieg aus der Braunkohle bis 2025 und aus der Steinkohle bis 2030 würde vor allem durch den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien ermöglicht. Aber werden die Kosten dafür nicht explodieren? Tatsächlich sind die Preise für Wind und Photovoltaik in den letzten Jahren drastisch gefallen.
Das eingeführte Ausschreibungssystem, bei dem Anbieter von Wind- und Photovoltaikanlagen im Vorfeld ihre Preise pro erzeugter Kilowattstunde festlegen müssen, belegt dies glasklar. Die Zahlen werden regelmäßig von der Bundesnetzagentur veröffentlicht. Bei den Ausschreibungsrunden für Windenergieanlagen an Land lagen sie im Jahr 2018 im Durchschnitt bei 5,63 Cent pro Kilowattstunde.
Die Offshore-Windkraftpreise liegen sogar noch niedriger, nämlich bei etwa 4,7 Cent. Auch für Photovoltaikanlagen lag im Oktober 2018 der durschnittliche Zuschlagspreis bei 4,7 Cent/kWh. Diese Kosten müssen für die erneuerbaren Energien zugrunde gelegt werden, die im ausgebauten Zustand ab 2030 rund 193 TWh Atom- und Kohlestrom ersetzen. Wenn man das mit den gegebenen Zahlen berechnet, kommt man ab 2030 auf jährlich anfallende Kosten für den Strom aus Wind und Sonne auf 9,6 Milliarden Euro.
Kostenvergleich mit Kohle- und Atomstrom
Betrachten wir im Vergleich dazu die Kosten, die 2018 für Kohle- und Atomenergie anfielen. Laut RWE-Geschäftsbericht 2017 konnte der Konzern an den Terminmärkten zuletzt 31 Euro je MWh für Atom- und Braunkohlestrom realisieren, bei der Steinkohle waren es 34 Euro/MWh. Daraus ergeben sich Herstellungskosten für den in 2018 erzeugten Kohle- und Atomstrom von 8,5 Mrd. Euro. Das ist nur etwa 1 Mrd. Euro weniger, als in 2030 jährlich für den Strom aus erneuerbaren Energien verausgabt werden müsste. Eigentlich Peanuts für den deutschen Staat. Zum Vergleich: Der deutsche Finanzminister Scholz bezifferte im September 2018 die Kosten von Bund und Ländern für die sog. Bankenrettung auf 60 Milliarden Euro.
Sind Übertragungsleitungen ein Engpass?
Gegen den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien wird gerne vorgebracht, dass die Leitungen zum Stromtransport von Nord- nach Süddeutschland nur schleppend ausgebaut werden können. Doch bei genauerer Betrachtung fällt diese Behauptung in sich zusammen. So hat der Thinktank Agora Energiewende in einer Studie von 2018 Maßnahmen aufgelistet, mit denen es möglich ist, auch über die bestehenden Leitungen ausreichend große Mengen Strom zu transportieren.
Ein wichtiges Instrument ist dabei das sog. Freileitungsmonitoring. Bisher werden die vom Freileitungen zu übertragenden Strommengen durch fixe DIN-Normen begrenzt. So soll vermieden werden, dass sich die Leitungen durch den Stromfluss übermäßig erwärmen, dann durchhängen und womöglich Gebäude oder sogar Personen durch elektrische Überschläge gefährden.
Durch den Einsatz von Sensoren könnte statt vereinfachter, statischer DIN-Normen die tatsächliche Temperatur der Leitungen erfasst werden. Sie ist vor allem auch vom Wind und der aktuellen Lufttemperatur abhängig. Dieses Freileitungsmonitoring wurde in Norddeutschland bereits getestet, wobei festgestellt wurde, dass die Leitungen auf diese Weise um bis zu 50 Prozent höher belastet werden können.
Agora Energiewende listet weitere Maßnahmen auf, mit denen es möglich wäre, mit der bestehenden Leitungsstruktur die nächsten Schritte der Energiewende schnell einzuleiten, ohne dass auf die Fertigstellung der neuen Hochspannungsgleichstrom-Leitungen gewartet werden muss. Man sollte sie aber trotzdem weiter ausbauen, denn eine gute Netzstruktur ist für zukünftige Anwendungen eine sichere Grundlage.
Wind, Sonne und Energiespeicher
Ein Problem der erneuerbaren Energien besteht darin, dass sie fluktuierend zur Verfügung stehen. Von Energieexperten wird zu Recht darauf hingewiesen, dass Gaskraftwerke in der Übergangszeit diese Lücke schließen können. Anders als die trägen Kohlekraftwerke können Gaskraftwerke schnell hoch- und auch wieder runtergeregelt werden. Zudem entsteht bei der Erdgasverbrennung pro erzeugter Kilowattstunde Strom nur ein Drittel des Kohlendioxids, das bei Braunkohleverbrennung freigesetzt wird. Das bedeutet, dass es bei einem sehr schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien durchaus sinnvoll sein kann, auf die Kapazitäten bestehender und evtl. auch neuer Gaskraftwerke zu setzen. Das kann aber nur eine Übergangslösung sein. Wichtig ist es, dass Energiespeichermöglichkeiten in Deutschland zügig ausgebaut werden.
Die Bundesregierung glänzt auch hier durch Nichtstun. Sie verweist auf die noch hohen Preise von Energiespeichersystemen und wartet darauf, dass niederpreisige Speicher eines Tages wie Manna vom Himmel fallen. Doch die Kosten werden nur sinken, wenn die Systeme schrittweise aufgebaut und optimiert werden. Nach dem Gesetz der großen Serie werden dann auch die Kosten drastisch abnehmen.
Bei den Energiespeichern stehen vor allem drei Systeme im Fokus der Betrachtung: Wasserstoffspeicher, Temperaturspeicher und Redox-Flow- Batterien. Alle Systeme sind in der Lage, dezentral Energie in Form von Wasserstoff, Hitze oder chemischer Energie zu speichern. Bei Bedarf kann diese Energie wieder in Strom zurückverwandelt werden. Die Speichersysteme eignen sich dafür, auf Stadtteilebene aufgebaut zu werden und stehen so für eine sichere Energieversorgung bereit. Man muss nur beginnen. Allein durch Abwarten entstehen keine Speicherkapazitäten.
Angesichts der drastisch gefallenen Preise für erneuerbare Energien ist es unfassbar, dass die deutsche Bundesregierung weiterhin auf Kohleverbrennung setzt. Das lässt sich nicht nur mit Dummheit erklären, sondern vor allem damit, dass sie eng mit den Energiekonzernen verbandelt ist. Die würden durch den energetischen Umbau Milliarden verlieren. Wir aber könnten unsere Zukunft retten.
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