Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2019
In die polnische Öffentlichkeit ist Bewegung gekommen
von Norbert Kollenda

Am 2.Oktober hat das Berufungsgericht in Poznan ein Urteil der ersten Instanz bestätigt. Danach bekommt Frau Katarzyna, die mit zwölf Jahren von einem Priester des Ordens Gesellschaft Christi gefangen gehalten und vergewaltigt wurde, eine Million Zloty (230000 Euro) Schmerzensgeld und eine monatliche Rente von 800 Zloty (186 Euro) von dem Orden. Der Richter begründete die Strafe damit, der Orden sei als Arbeitgeber nach polnischem Recht verantwortlich, weil Roman R. sie als Religionslehrer kennenlernte, seine Position als Priester ausnutzte und in die Pfarrei einlud – seine Dienststelle. Nur diese seine Stellung ermöglichte das Verbrechen.
Ein weitaus größeres Echo hat der Film Kler (Klerus) hervorgerufen. Nachdem er beim 43.Filmfestival polnischer Filme in Gdynia am 22.September einen Preis errang, wurde er mit Spannung erwartet und startete am 28.September. Am ersten Wochenende haben ihn eine Million Zuschauer gesehen. In Deutschland startete er am 21.Oktober mit englischen Untertiteln und steht in Berlin immer noch auf dem Spielplan.
Wie in einem Prisma zeigt der Film Priester, die Geld, Macht und Sex verfallen sind und ihre Stellung zum Missbrauch an Kindern nutzen. Viel wurde darüber in letzter Zeit veröffentlicht.
Natürlich haben sich auch rechte Kräfte zu Wort gemeldet. Ein PiS-Abgeordneter: «Nur Schweine gehen ins Kino!» Ein Kolumnist von Radio Maryja: Er würde Frauen und Mädchen kennen, die sich für viel weniger als eine Million unter den Rock fassen ließen…

Die Stellung der Kirche in Polen
Hingegen schreibt Stanislaw Obirek, Professor für Geschichte und Anthropologie an der Warschauer Universität, Theologe und ehemaliger Jesuit:
«Polen war in den letzten Jahrhunderten von jeder Form der Modernisierung abgeschnitten. Der Staat hat das gesellschaftliche und politische Leben der katholischen Kirche, die gegen die Reformation eingestellt war, untergeordnet und nur mit Mühe andere Religionen toleriert … Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist auch die Zeit während der Volksrepublik, die erklärtermaßen antikirchlich eingestellt war, zu sehen, sie war in gewisser Weise nachvollziehbar. Dies hat jedoch dazu geführt, dass die Kirche intellektuell schwach entwickelt ist und sich gegen jegliche Reformen stemmte, auch gegen das II.Vatikanische Konzil.»
Viele der jetzigen Bischöfe wurden vom polnischen Papst Johannes Paul II. ernannt. Für ihn waren Gehorsam und eine konservative Grundhaltung Voraussetzung für das Amt.
Zum Film Kler sagt Obirek: «Der Regisseur Smarzowski imitiert nicht irgendetwas, sondern er zeigt die Wirklichkeit, wie sie ist. Hier, bei den Priestern und Bischöfen, können Verfehlungen und Verbrechen nicht mit einem anderem Maß gemessen werden als bei den Normalsterblichen. Das betrifft nicht nur den Umgang mit Geld und Alkohol, sondern auch die Pädophilie.» Dies sei kein Film über Priester, dies sei ein Film über eine polnische Gesellschaft, die ratlos den Pathologien gegenüberstehe.
«Es ist auch ein Film über die Medien, die nicht in der Lage sind, diese Verbrechen zu brandmarken, so wie es in Irland oder den USA der Fall war. Ein Film, wo die Familien nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu beschützen, als ob eine Absprache bestünde, über die Leiden der Opfer zu schweigen … Dies ist ein sehr gut beobachtetes Bild der kranken polnischen Demokratie. Es ist einer der wichtigsten Filme nach 1989.»

Von Erzbischöfen gedeckt
Die Realität ist, dass viele Verbrechen an Kindern von Priestern vertuscht, von Gerichten verschleppt und von Kirchenoberen bagatellisiert wurden.
– Der Erzbischof Paetz von Posen holte sich Seminaristen ins Bett. Der Rektor hat nach langen Mühen erreicht, dass der Vorfall trotz Widerstände doch Papst Johannes Paul II. vorgetragen wurden. Paetz wird in Rente geschickt und brilliert fortan in vollem Ornat bei Feierlichkeiten in der ersten Reihe. Der Rektor wurde entlassen und ist dann aus der Kirche ausgetreten. Der Weihbischof, der nichts unternommen hat, sondern die Priester sogar nötigen wollte, für Paetz eine Solidaritätsnote abzugeben, ist inzwischen Erzbischof von Krakau und großer Bewunderer der Nationalen Jugend, die er in der Kathedrale aufmarschieren lässt.
– Erzbischof Michnik erklärt vor laufenden Kameras, es gebe Kinder in zerrütteten Familien, die auf der Suche nach Liebe seien. Dann käme so ein aufopferungsvoller Priester, der sich ihrer annehme und durch sie in den Sog der Sünde gezogen werde.
Eine andere Erklärung fand der leitende Staatsanwalt Stanislaw Piotrowicz. Einem geständigen Priester, der Mädchen sexuell missbraucht hatte, bescheinigte er, von seinen Händen würden «bioergonotherapeutische» Fähigkeiten ausgehen. Er ist jetzt Vorsitzender des Ausschusses für Justiz und Menschenrechte im polnischen Parlament.

Bischöfe müssen jetzt Berichte schreiben
Es gibt aber auch andere Beispiele: Bischof Czaja aus Opole richtete einen Brief an die Gläubigen, der in allen Gottesdiensten verlesen werden sollte: «Es gab in Opole auch Priester, die ihrer Berufung nicht gerecht wurden. Große Schmerzen, Scham und Ratlosigkeit herrschen gegenüber dem Unrecht, das bereits geschehen ist und nicht wieder gutzumachen ist … Deswegen gibt es null Toleranz für den Täter und volle Unterstützung für das Opfer und ihre Familien. Die Diözese hat einige Schritte unternommen, um präventiv dagegen anzugehen und Formen geschaffen, damit Täter zur Verantwortung gezogen und der Staatsanwaltschaft übergeben werden können.»
Bei ihrer letzten Plenarsitzung wurden die polnischen Bischöfe mit der Hausaufgabe entlassen, bis zum November einen Bericht über den Missbrauch in ihren Diözesen zu erstellen. Die liberale katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny stellte allerdings die Frage, wie glaubwürdig diese Berichte sein werden. Die Hälfte der Diözesen hat nicht einmal die seit 2011 geforderten Beauftragten zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Telefonnummern angegeben. Manche kommen auch nicht der Forderung nach, ein Treffen mit den Opfern außerhalb der kirchlichen Räume zu ermöglichen. Und werden auch Verbrechen, die vor 2011 begangen wurden, als es noch den Bischöfen oblag, wie sie mit verbrecherischen Priestern umgingen, Eingang in die Berichte finden?

Auf der Seite der Opfer steht die Stiftung: Nie Lekajcie Sie (Fürchtet euch nicht; englisch: http://en.nielekajciesie.org.pl).

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