von Eleonora Roldán Mendívil, Hannah Vögele
Betr.: «Kritischer Einwurf zum Frauenstreik», SoZ 1/2019
Am 8.März ist Frauen*streik. Wirklich? Ja. Denn am Internationalen Frauen*kampftag werden dieses Jahr erneut Frauen* auf der ganzen Welt auf die eine oder andere Weise ihre Arbeit niederlegen.
Endlich sind nun auch Frauen* in Deutschland mit dabei. Viele von uns werden unsere Arbeit, bezahlte als auch unbezahlte, bestreiken. Das ist keine Symbolpolitik, sondern der mögliche Aufbruch einer Bewegung, die nicht nur Themen wie sexualisierte Gewalt und Altersarmut, Pflegekrise und bedingungsloses Aufenthaltsrecht immer zusammendenkt, sondern auch gemeinsam von der Basis für eine andere Gesellschaft kämpft.
Dabei zielt der Frauen*streik nicht nur auf die Lohnarbeit. Ein erweiterter Begriff von Arbeit, der nicht nur Lohnarbeit als «Arbeit» fasst – eine der wichtigsten Errungenschaften materialistisch-feministischer Kritik – bedeutet auch einen erweiterten Streikbegriff. Streiks sind ein bestimmter Ausdruck von Protest und Widerstand, der oft über die direkt betrieblichen Auseinandersetzungen hinausgeht. Streiks erfordern einen Organisierungs- und Vernetzungsaufwand, der zwar zeit- und arbeitsintensiv ist, jedoch das Ziel hat, die Selbstbestimmmtheit und kollektive Macht von uns als Arbeiter*innen zu formen und zu stärken. Streik ausschließlich nur als «Arbeitsniederlegung [zu verstehen], um den Arbeitgeber mit ökonomischen Einbußen durch Arbeitsausfall zum Einlenken bei Tarifforderungen zu bewegen», zeugt von einem beschränktem, legalistischen Blick, dem sich Arbeiter*innen weltweit seit den Anfängen der Arbeiter*innenbewegung bis heute widersetzen.
Frauen* arbeiten überproportional oft in prekären Arbeitsverhältnissen, nicht selten unbezahlt im Haushalt und der Pflege, oder haben sie keine Möglichkeit, überhaupt legal bezahlter Lohnarbeit nachzugehen. Der Frauen*streik blendet diese Menschen nicht einfach aus, wie oft in der Tradition der deutschen Frauen*bewegung. Er setzt die Erfahrungen marginalisierter Frauen* als zentralen Angelpunkt der eigenen Politik.
Der Frauen*streik ist ein politischer Streik. Dies ist in anderen Ländern schon Realität geworden und zwar nicht nur im Spanischen Staat. In den letzten Jahren sind unter anderem in Lateinamerika Proteste gegen Frauen*morde in umfassende Streiks gegen Ausbeutung und Unterdrückung gemündet, und in Polen wurde beispielsweise gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze gestreikt.
Seit Mai 2018 beginnen Menschen, die zuvor oft isoliert waren, sich politisch in Verbindung zu setzen. Dazu gehört auch, vom ersten deutschen Frauen*streik 1994 zu lernen. Auch deswegen findet die Vernetzungsarbeit und Themensetzung ausdrücklich internationalistisch, antirassistisch, entgegen der Norm der Geschlechterbinarität und mit einem klassenkämpferischen Charakter statt. Dass dabei nicht alle Frauen* auf allen Gebieten fit sind, ist genau der emanzipatorische Lernprozess, welcher nur durch praktische gemeinsame Kämpfe nachhaltig eingegangen werden kann.
Die Kritik, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen (etwa «People of Color und Behinderte», wie Tina Ress schreibt) in den Vorbereitungen nicht anwesend seien, ist falsch. Beim Frauen*streik sind nichtweiße Menschen hör- und sichtbar aktiv. Migrantinnen*, Asylsuchende, Frauen* mit Fluchterfahrung, weiße deutsche Staatsbürgerinnen* etc., organisieren zentral mit, und es gibt aktive antirassistische Arbeit auf verschiedenen Ebenen. Nicht nur in Berlin und nicht nur im Anspruch. Behinderungen sieht man einem Menschen nicht notwendigerweise an. Und nur weil keine Frau* sagt: «Ich als Frau* mit Behinderung fordere…» heißt es noch lange nicht, dass keine Frauen* mit Behinderungen beim Frauen*streik politisch aktiv sind. Ähnliches gilt für eine Reihe spezifischer Unterdrückungserfahrungen.
Gleichzeitig bedeutet die Präsenz bestimmter Erfahrungshorizonte nicht notwendigerweise eine emanzipatorischere Politik in bezug auf diese Unterdrückungserfahrungen. Migrant*innen z.?B. sind nicht notwendig antirassistischer als Weiße – siehe nicht-weiße Menschen bei der AfD. Aus der eigenen Erfahrung eine bestimmte Politik zu schlussfolgern, ist verallgemeinernd und essentialisierend. Es macht die Tür für Rassismen auf.
Wir denken, dass wir uns an der Basis des Frauen*streiks in vielen Bereichen bei weitem nicht so breit aufgestellt haben, wie wir das langfristig wollen. Und deswegen ist es ein Prozess. Aber die tagtägliche Mobilisierungsarbeit dutzender Frauen*, gerade in marginalisierten Gemeinschaften, unsichtbar zu machen, halten wir für fatal.
Bei Veranstaltungen und Entscheidungsfindungen wird immer wieder um Positionen und Ausrichtungen gerungen. Bei dem bundesweiten Vernetzungstreffen in Göttingen wurde z.B. hart um die verschiedenen Verständnisse und Probleme des Subjekts «Frau» gestritten. Und natürlich lernen dabei alle dazu. Aber genau das macht auch einen Basisstreik aus. Vernetzung und Organisieren heißt – insbesondere in Deutschland wo es nicht schon starke linke feministische Strukturen gibt – auch erstmal, eine Bewegung aufzubauen. Solche Politik ist keine Kampagnenpolitik, in der es nur um den 8.März 2019 geht.
Selbstverständlich sind auch die Gewerkschaften zentral gefragt. Das war schon von Anfang an klar, auch weil viele Aktive des Frauen*streiks selbst Gewerkschaftsmitglieder sind und sich natürlich in ihren Betrieben aktuell organisieren. Die Kommunikation mit den DGB-Gewerkschaften, kleineren Basisgewerkschaften sowie internationalen Gewerkschaften, läuft schon seit langem. Zu behaupten, diese Kommunikation bestehe nicht, ist ebenfalls falsch.
Das Berliner Frauen*streikkomitee fordert seit Monaten von den Führungen der DGB-Gewerkschaften, zum Frauen*streik aufzurufen. Diese stellen sich jedoch konsequent dagegen. Dies hält einige
Hauptamtliche nicht davon ab, den Streik aktiv zu unterstützen. Viele von ihnen sind aktiv dabei, die Bedingungen für einen breiteren Streik mit aufzubauen – aber so etwas passiert nicht von einem Jahr auf das andere. Es liegt an uns, an allen direkt oder indirekt Lohnabhängigen, die Waffe des politischen Streiks auch in Deutschland wieder in den Bereich des Denk- und Machbaren zu rücken. Daher ist der Frauen*streik auch ein Streik um die Hegemonie in den Gewerkschaften und soll unter aktiven Kolleg*innen genau solche Diskussionen auslösen.
Wir sagen: Uns reichts! Unsere Arbeit, unsere Körper, unsere Zeit, unsere Gewerkschaften – unser Streik!
*Mit «Frauen*» meinen wir alle Menschen, die im Re-Produktionsprozess als «Frauen» adressiert und behandelt werden. Geschlechtsidentitäten sind dabei vielfältiger als einfach «Frau». Daher das Sternchen. Das nächste bundesweite Vernetzungstreffen findet vom 15. bis 17.Februar in Berlin statt.
Die Autorinnen sind Aktive des Frauen*streikkomitees Berlin und waren auch beim bundesweiten Vernetzungstreffen im November in Göttingen. Sie sind in verschiedenen AGs, unter anderem der AG Betriebliche Kämpfe und der AG Mobilisierung aktiv.
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