von Stephan Krull
Volkswagen hat vor Jahresende 2018 für aufgeregte Debatten gesorgt: 7000 Stellen sollen in Emden und Hannover wegfallen, weil diese Standorte – wie das Werk in Zwickau – für E-Autos umgebaut werden. Die Ankündigung wurde in einen Zusammenhang mit der Konferenz von Katowice und den Beschlüssen der EU zu CO2-Emissionen gestellt.
Volkswagen, die IG Metall und der Betriebsrat warnen vor zu ehrgeizigen Klimazielen, Niedersachsens Ministerpräsident Weil befürchtet einen unkalkulierbaren Stellenabbau, Bundeswirtschaftsminister Altmaier warnt vor der Überforderung der Autoindustrie, Betriebsratsvorsitzender Osterloh kündigt eine Reaktion der Beschäftigten bei den Wahlen an: «Ich frage mich, ob die Entscheidungsträger in Brüssel und Berlin sich darüber im klaren sind, was sie damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Autoindustrie antun. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitnehmer sich bei den anstehenden Wahlen genau ansehen werden, welche demokratische Partei ihre Interessen vertritt. Oder wer soziale Nachhaltigkeit tausender Arbeitsplätze vergisst und sich in den schicken Vierteln der Großstädte lieber für überscharfe Grenzwerte feiern lässt.» Die AfD spielt indessen den Verteidiger des «deutschen Diesel und der deutschen Arbeitsplätze». Aber wer die falsche Frage stellt, kann nicht zu einer richtigen Antwort gelangen.
Autokonzerne in der Krise
Vor mehr als einem Jahr wurde angekündigt, dass in den sechs Werken der VW AG (Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Hannover und Emden) 23000 Stellen «sozialverträglich» über Altersregelungen wegfallen sollen; dazu gibt es einen Tarifvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. In anderen Werken im In- und Ausland werden es mehr Menschen sein, die sich vor den Toren der Fabrik wiederfinden – weil weniger Autos verkauft werden, weil die nächste Krise absehbar ist, weil das System profitorientierter Mobilität in der Sackgasse steckt.
Volkswagen, Opel und Ford haben ihre Produktion schon reduziert, in einigen Werken standen zu Beginn des Jahres 2019 die Bänder still. VW will 2030 in Europa 1,8 Millionen Elektroautos verkaufen, um weiter Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkaufen zu können. Da Elektroautos als Null-Emissions-Fahrzeuge in die Treibhausbilanz der Flotte eingerechnet werden, können für jedes zugelassene E-Auto sechs große Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft werden.
Die für die kapitalistische Globalisierung prägende Mobilität und die dazu gehörige Industrie befinden sich seit Jahrzehnten in einem sich aufschaukelnden Krisenmodus. Firmenpleiten gehen mit Konzentration und Monopolisierung einher. Den Schock von 2008/2009 hat die Autoindustrie nicht verkraftet – die großen «neuen Märkte» in Indien und China wachsen langsamer als geplant, weitere «neue Märkte» in Afrika sind nicht so einfach zu erschließen. Der Absatz stagniert weltweit und sinkt in Westeuropa und den USA, während die Investitionen und Kapazitäten wachsen. Hinzu kommen neue Produzenten wie Tesla und finanzstarke Player aus China und Indien.
Verzweifelt absurde Werbung
Das zweite Problembündel ist gravierender, geht es doch um den Klimawandel und die damit einhergehende Notwendigkeit, auf fossile Brennstoffe mit ihren unvermeidlichen Emissionen so schnell wie möglich zu verzichten. Das Ende des fossilen Zeitalters lässt alte Industrien sterben (Kohle, Automobil), bevor neue industrielle Kapitalanlagen vorhanden sind. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob wir nicht insgesamt einen Gang zurückschalten müssen. Es werden jetzt Produkte und Dienstleistungen mit großem Aufwand entwickelt, die unrealistisch sind, wie z.B. Elektroautos und «autonomes Fahren» – das ist kapitalistische Kasinomentalität, Wetten auf die Zukunft.
Die oft sexistische Werbung für Autos ist ein Merkmal dieser die Bedürfnisse der Menschen ignorierenden Politik. Werbung für einen Ford mit der Bildüberschrift «Denken Sie einmal nicht an Ihre Kinder», oder für einen BMW, der «die Landstraße zur Lustmeile macht, mit jeder Minute kommen sich Mensch und Maschine näher und irgendwann sind beide eins». Volkswagen wirbt für das Modell T-Roc mit der wahnwitzigen Ansage, dieses Auto sei «geboren, die Führung zu übernehmen».
Johann Jungwirth, ein Apple-Jünger, der nur «Jay Jay» genannt werden wollte und kurzzeitig Chief Digital Officer bei Volkswagen war, spricht von der «Neuerfindung der Mobilität»:
«Wir werden Sie [damit sind alle Zahlungsfähigen gemeint] bequem und beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – mit Mobilität auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl: mein Audi, bitte hole mich ab, mein Volkswagen, ich bin ready … Da läuft uns allen das Wasser im Munde zusammen. Das Fahrzeug wird zu unserem besten Freund oder Freundin, der wir einen Namen geben, die uns versteht, die mit uns spricht, unser Verhalten und unsere Vorlieben lernt und unsere Gedanken lesen kann, um uns perfekt zu unterstützen.»
Abgesehen von den persönlichsten Daten, abgesehen von den immensen Kosten, die die Gesellschaft weiter spaltet: Typen, die so denken, gehören in ärztliche Behandlung. Sie sind nur insoweit ernstzunehmen, als ihnen vom großen Kapital Macht geliehen wurde.
Konsequent am Bedarf vorbei
In einem Haufen von Irrationalität haben es vernünftige Ideen von Transformation und Mobilitätswende schwer, Gehör zu finden. Aus dem politischen Raum ist es einzig der aus der Region kommende Bundestagsabgeordnete Victor Perli (DIE LINKE), der schreibt: «Wer wie Volkswagen 11 Milliarden Euro Gewinn macht und das meiste per Dividende an den Porsche-Piëch-Clan ausschüttet, muss keinen einzigen Beschäftigten entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand schicken. Der Stellenabbau ist eine Riesensauerei, die Manager abgehoben, Gegenwehr fällig!»
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge in Deutschland zuzulassen, dafür wurde eine «Nationale Plattform Elektromobilität» gegründet, dafür wurden Milliarden in Verkaufsprämien in «Schaufenster», in Infrastruktur und Forschung gesteckt, dafür wurden «nationale Dieselgipfel» veranstaltet. Als Vizekanzler war sich Siegmar Gabriel nicht zu schade, in Analogie zum «deutschen Wesen» zu sagen: «Unser Land ist der Industrialisierer der Welt.»
Das Ergebnis der E-Offensive ist bescheiden: Ende 2018 waren weniger als 60000 E-Autos zugelassen – zum großen Teil Eigenzulassungen der Hersteller sowie durch Abnahme von öffentlichen Unternehmen und Verwaltungen. Den größten Anteil an den zugelassenen Autos haben nicht deutsche Hersteller, denn diese sind nicht lieferfähig bzw. bauen konsequent am Bedarf vorbei.
Würden die tatsächlichen Bedürfnisse zugrunde gelegt, würden kleine Fahrzeuge mit geringer Reichweite und Geschwindigkeit gebaut und als Teil des digital optimierten öffentlichen Verkehrs zur Verfügung gestellt. Aber damit ließen sich keine hohen Profite erzielen. Das Drei-Liter-Auto von VW hat zu wenig Profit gebracht, deshalb wurde seine Produktion eingestellt. Elektroautos sollen so groß sein wie bisher, so schnell fahren und eine Reichweite haben wie bisher – obgleich das alles nur sehr selten benutzt wird.
Angriff auf den ÖPNV
Bei VW wird jedoch nicht nur die Elektromobilität vorangetrieben (minus 23000 Arbeitsplätze), es soll auch die Produktivität um 30 Prozent steigen – und die kostet 30000 Arbeitsplätze oder muss 30 Prozent mehr Output bringen. «Neue Geschäftsfelder», die wie MOIA in Hannover, Hamburg und Kigali einen massiven Angriff auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) darstellen, sollen einen relevanten Beitrag zum Profit leisten, und die Rüstungskooperation mit Rheinmetall (Rheinmetall MAN Military Vehicles) sowie bei der VW/MAN-Tochter RENK AG wird ausgeweitet. Der Profit der Marke Volkswagen soll auf diese Weise verdoppelt werden. Zu all dem passt die Unterstützung der Rechtsregierung in Brasilien durch das VW-Management.
So oder so, ob das Unternehmenskonzept aufgeht oder nicht, für die Beschäftigten von VW und für die Beschäftigten der Zulieferindustrie haben längst harte Zeiten begonnen. Ganz anders für die Aktionäre, die auf Wertverlust ihrer Aktien klagen und bis zu 15 Milliarden Euro zugesprochen bekommen könnten. Es bewahrheitet sich, dass das herrschende Recht das Recht der Herrschenden ist: Etwas mehr als die Hälfte davon bekäme der Porsche-Piëch-Clan als Mehrheitsaktionär überwiesen.
Eine Transformation der Ökonomie
Um Wolfsburg und andere Städte vor dem Schicksal Detroits zu bewahren, ist eine tatsächliche Transformation erforderlich: Das Auto, wie wir es als Werkzeug für individuelle Mobilität und Statussymbol kennen, hat keine Zukunft! Es gibt Wege aus der Krise, Elektroautos gehören nicht dazu, was hier nur in Stichworten begründet werden kann: Sie sind überkomplex, störanfällig und sehr teuer. Ein Elektroauto ist in Produktion, Betrieb und Verwertung kein Null-Emissions-Fahrzeug, es braucht im Verkehr soviel Platz wie konventionelle Autos und weder Energie noch Rohstoffe wie Lithium stehen ausreichend zur Verfügung, um jährlich Millionen Elektroautos zu bauen und zu betreiben. Der Abbau von Lithium ist sehr aufwändig, teuer, umwelt- und sozialschädlich.
Mit einem Polster von 70 Mrd. Euro «Gewinnrücklagen» kann Volkswagen den Krieg der Autokonzerne um Märkte und Marktanteile gewinnen – um den Preis massenhafter Erwerbslosigkeit und verschärfter Ausbeutung der Beschäftigten in der Wertschöpfungskette. Für die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie gibt es keine Lösung des Problems, wenn weiter auf Maximalprofit gesetzt wird, wenn weiterhin die ökologischen Notwendigkeiten ignoriert werden.
Es bedarf struktureller Veränderungen, es bedarf einer Transformation von einer profit- und maschinenzentrierten Ökonomie hin zu einer menschen- und bedürfnisorientierten Ökonomie; es bedarf weniger Fahrzeuge für den individuellen motorisierten Verkehr, jedoch riesiger Investitionen in den öffentlichen und den schienengebundenen Verkehr, in die Infrastruktur und den Wagenpark. Es bedarf einer Arbeitsumverteilung zwischen den Geschlechtern und zwischen verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft und gesamtgesellschaftlich einer radikalen Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit (kurze Vollzeit für alle).
Das alles wäre nicht mit Verzicht oder Wohlstandsverlust verbunden, sondern mit Gewinn an Platz und besserer Luft in der Stadt, mit besserem Klima, Gewinn an Gesundheit, an Zeit für mehr soziale Interaktion, für die Beteiligung am politischen Leben, für eigene Interessen und Bedürfnisse. Es bedarf einer gesellschaftlichen Planung für die nächsten zehn Jahre, um die Beschäftigten für diese Transformation zu gewinnen. Die bestehenden Eigentumsverhältnisse sind kein unüberwindbares Hindernis, machen jedoch die Größe der Aufgabe deutlich.
Weitere Texte zum Thema unter stephankrull.info.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.