Gespräch mit Fanny Zeise
Vom 15. bis 17.Februar 2019 laden Rosa-Luxemburg-Stiftung und regionale Gewerkschaftsgliederungen nach Braunschweig zur vierten Konferenz gewerkschaftlicher Erneuerung ein. Offiziell trägt sie den Titel: «Aus unseren Kämpfen lernen. Streiks auswerten, Strategien entwickeln, politischer werden.» Diese sogenannte «Streikkonferenz» ist mittlerweile die größte linksgewerkschaftliche Diskussionsplattform in Deutschland. Violetta Bock sprach mit Fanny Zeise über ihre Erwartungen an die Konferenz. Fanny ist Referentin für gewerkschaftliche Erneuerung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitorganisatorin dieser Streikkonferenz.
Anmeldung und Programm finden sich auf: www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/BJTAJ/aus-unseren-kaempfen-lernen.
Wie schätzt du allgemein die gewerkschaftliche Situation ein? In Bezug auf Arbeitskämpfe, in bezug auf Kampfbereitschaft der Gewerkschaften?
Aktuell ist die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief. Wenn Unternehmen händeringend Arbeitskräfte suchen, muss diese Chance genutzt werden, um mehr Geld für die Beschäftigten durchzusetzen, aber auch andere große Themen wie Arbeitszeitverkürzung anzupacken. Die nächste große Krise droht schon am Horizont. Die jetzige Konjunktur muss daher dringend für die Durchsetzung echter Verbesserungen genutzt werden. Es ist Zeit für eine Offensive!
Während die letzten Jahre vor allem durch Abwehrkämpfe gekennzeichnet waren, gibt es in jüngster Zeit auch Kämpfe, bei denen die Gewerkschaften selbst den Konflikt gesucht haben. Die Bewegung für mehr Personal im Krankenhaus, die Streiks für mehr Anerkennung im Sozial- und Erziehungsdienst, aber auch der Tarifkampf für kürzere Arbeitszeiten in der Metall- und Elektroindustrie sind bekannte Beispiele dafür.
Aber kämpfen ist natürlich auch anstrengend und anspruchsvoll. Trotz offensiverer Projekte und neuer Erfahrungen spürt man in einigen Bereichen der Gewerkschaften noch Widerwillen, sich auf neue, konfliktorientierte Strategien einzulassen. Dabei ist klar, dass die alten sozialpartnerschaftlichen Routinen nicht mehr reichen, um mit den heutigen Herausforderungen umzugehen. Mit der Konferenz wollen wir auch dazu ermutigen, die gewerkschaftliche Strategiedebatte über ein neues Verhältnis von Kooperation und Konflikt, über neue Formen der Auseinandersetzung und über eine vertiefte Beteiligungsorientierung weiterzuführen.
Was macht ihr konkret auf der Konferenz?
Im Zentrum der Streikkonferenz steht immer der Austausch über die eigenen Erfahrungen in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, Streiks und Kämpfen, und der Versuch ihrer Verallgemeinerung. Diesmal wollen wir uns in über zwanzig Arbeitsgruppen mit Streiks von Halberg Guss über die Krankenhäuser bis Ryanair beschäftigen, aber auch über Strategien gegen Union-Busting, die Perspektiven von Arbeitszeitverkürzung und die Möglichkeiten eines gewerkschaftlichen Aufbruchs in Ostdeutschland sprechen. Die Konferenz hat für viele Teilnehmende einen ganz konkreten Mehrwert: sie vermittelt praxisbezogenes Wissen und bietet die Möglichkeit zur Vernetzung – um so in künftigen Auseinandersetzungen stärker zu werden.
Wie hat sich die Streikkonferenz entwickelt?
Die Konferenzen haben sich zu den wohl größten «linksgewerkschaftlichen» Konferenzen seit Jahrzehnten entwickelt und sind zu einem wichtigen Bezugspunkt für linke GewerkschafterInnen und kritische GewerkschaftsforscherInnen und Aktive aus der Streiksolidarität geworden. Es kommen aber keineswegs nur Menschen zu den Konferenzen, die sich selbst als links bezeichnen. Es sind vor allem GewerkschafterInnen, die sich in unterschiedlichen Feldern um eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung bemühen. Immer mehr Hauptamtliche und betrieblich Aktive merken, dass sich Gewerkschaften ändern müssen, wenn sie Auseinandersetzungen gewinnen und dauerhaft Bestand haben wollen. Dadurch kann die Konferenz Anschlussfähigkeit über die klassischen linksgewerkschaftlichen Milieus hinaus erreichen und eine gewerkschafts- und generationenübergreifende Ausstrahlung entfalten. Da auf den Konferenzen ein immer breiteres Spektrum von Fragen gewerkschaftlicher Erneuerung diskutiert wird, haben wir das Motto der ersten drei Konferenzen, «Erneuerung durch Streik», diesmal erweitert zu «Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung».
Während zur ersten Konferenz in 2013 die Mehrzahl der Teilnehmenden noch aus Ver.di kam, sind jetzt viel mehr Menschen aus dem Bereich der IG Metall, der NGG und anderen Gewerkschaften angemeldet. Die Konferenz ist breiter geworden. Und sie ist noch mal stärker in den Gewerkschaften angekommen.
Hat das mit der Kooperation mit den Gewerkschaften zu tun, die die Konferenz mittragen?
Ja, wir haben in Braunschweig und Region das Glück, dass neben Ver.di auch IG Metall, NGG, GEW und der DGB die Konferenz engagiert vorbereiten. Zum Teil experimentieren sie schon länger mit Organizing-Methoden oder stehen für eine politischere Gewerkschaftsarbeit. Diese Erfahrungen bringen sie in das Programm ein – und nutzen die Konferenz gleichzeitig, um Anregungen für ihre Arbeit vor Ort zu bekommen. Ich gehe deshalb auch davon aus, dass 2019 noch mal mehr betriebliche Aktive aus der Region an der Konferenz teilnehmen. Insgesamt haben wir fast 600 Anmeldungen (Stand: 10.Januar). Möglicherweise wird die vierte Konferenz in der Reihe auch die bisher größte.
Was zeichnet diese Konferenz aus?
Ein wichtiger Strang ist die Aussage: «politischer werden», die sich auch im Titel wiederfindet. Wir erleben einen gesellschaftlichen Rechtsruck, der vielen Angst macht und der auch vor Betrieben und Gewerkschaften nicht Halt macht. Wir brauchen dringend die Debatte, wie wir mit organisierten Rechten und mit rassistischen und rechtspopulistischen Ideen umgehen können.
Dazu haben wir u.a. den Soziologen Klaus Dörre eingeladen, aber auch Vertrauensleute von Daimler-Untertürkheim, die mit dem Einzug einer rechten Liste in den Betriebsrat konfrontiert sind. Gerade an diesem Punkt wird klar, dass die Gewerkschaften eine politischere Haltung einnehmen müssen, um rechten Argumenten etwas entgegensetzen zu können.
«Politischer werden» scheint uns aber auch ein guter Ansatz für betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen zu sein. Die Streikenden in den Krankenhäusern haben das vorgemacht. Sie haben die Auseinandersetzung unter die Parole «Mehr von uns ist besser für alle» gestellt und dadurch politisiert. Damit haben sie eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung erreicht, die sich auch in der Gründung von Solidaritätsbündnissen um die Streikhäuser herum ausdrückt.
In Hamburg, Berlin und Bayern wurden zudem Volksbegehren für mehr Personal im Krankenhaus gestartet, die großen Zuspruch aus der Bevölkerung erhalten. Die Ankündigungen von Gesundheitsminister Jens Spahn sind ein – bisher noch uneingelöstes – Zugeständnis auf der politischen Ebene an diese erfolgreiche Bewegung.
Aber auch der Streik bei dem Billigflieger Ryanair hat gezeigt, dass es möglich ist, mit Organizing-Kampagnen eine extrem gewerkschaftsfeindliches Unternehmen zu einem Tarifvertrag zu zwingen. Wichtig war dabei neben dem Arbeitskampf aber auch der politische Druck. Mit einer öffentlichen Kampagne, offensiven politischen Forderungen und Besuchen bei Politikern haben die Streikenden eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes durchgesetzt. FlugbegleiterInnen haben nun endlich auch das Recht, einen Betriebsrat zu gründen. Erfolge sind somit auch auf der politischen Ebene möglich!
Worauf freust du dich besonders?
Auf den Vortrag von Jane McAlevey, die in den USA als Organizerin sehr erfolgreiche Kampagnen unter anderem in Krankenhäusern geführt hat. Anlässlich der Streikkonferenz übersetzen wir ihr aktuelles Buch «No Shortcuts» und wollen damit die deutsche Organizing-Debatte bereichern. Sie steht für einen Organizing-Ansatz, der auf die Machtressourcen der Beschäftigten setzt.
Die Beschäftigten prägen die betriebliche Organizing-Strategie mit. Indem sie dabei ihre eigene Mächtigkeit kennenlernen, sind sie auch für kommende Auseinandersetzungen gewappnet. Es geht sozusagen um nachhaltiges Organisieren. Die Frage der Beteiligung oder besser gesagt, der Demokratisierung von Gewerkschaftsarbeit ist ja auch in Deutschland ein zentraler Aspekt in der Debatte um die Erneuerung der Gewerkschaften, weil hier ja jahrelang Stellvertreterpolitik Standard war.
Mittlerweile werden viele neue beteiligungsorientierte Methoden ausprobiert und zum Teil – wie mit den Streikdelegiertenversammlungen im Sozial- und Erziehungsdienst – auch neue Strukturen geschaffen, um einen breiteren Kreis von betrieblichen Kolleginnen und Kollegen in Entscheidungen einzubeziehen. Ich glaube, McAlevey kann hier spannende Anregungen bieten.
Aber auch der Auftakt am Freitagabend verspricht, spannend zu werden. Ausgehend von einem Vortrag von Oliver Nachtwey werden Christine Behle (Vorstandsmitglied von Ver.di), Hans-Jürgen Urban (Vorstand der IG Metall), die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe und der Vorsitzende der LINKEN, Bernd Riexinger, über «gewerkschaftliche Handlungsperspektiven in der Abstiegsgesellschaft» diskutieren und mit diesen großen Fragen auch den Rahmen für die Konferenz abstecken.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.