jetzt werden Alternativen diskutiert
von Toni Gilpin*
General Motors entlässt Arbeiter. Wie wäre es, wenn wir stattdessen die Manager feuern?
Für Tausende von Beschäftigten in ganz Nordamerika hat General Motors diesen Winter extra kalt werden lassen. Am Montag nach dem Erntedankfest (22.11.2018) erklärte GM, dass es im Jahr 2019 drei große Montagewerke und zwei kleinere Produktionsstätten für Getriebe in Nordamerika (einschließlich Kanada) schließen will. Die Ankündigung erfolgte, obwohl GM in letzter Zeit solide Gewinne meldete. Sechstausend Produktionsarbeiter und deren Familien sowie die Gemeinden, in denen sich die Montagewerke befinden (Detroit-Hamtramck; Lordstown, Ohio; und Oshawa, Ontario) konnten deshalb keine fröhlichen Weihnachten erleben.
«Wir haben so viel für dieses Unternehmen getan», sagte Nanette Senters, seit zwanzig Jahren im Werk Lordstown beschäftigt, einem Vox-Reporter. Wie die anderen Beschäftigten, die von den Stilllegungen betroffen sind, ist Senters Mitglied der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) und verdient am Fließband bei GM ein gutes Gehalt. Wer glaubt, dass eine anständige Vergütung der Arbeiter für GM eine große Belastung darstellt, sollte folgendes bedenken: Die Lohnkosten machen weniger als 10 Prozent des Endpreises eines durchschnittlichen Fahrzeugs aus.
Angesichts der düsteren Aussichten für das neue Jahr schluchzte die 55jährige Senters leise: «Das hier ist ein strukturschwaches Gebiet. Diese Fabrik hat hier noch die besten Jobs», sagte sie über Lordstown. «Es ist unmenschlich, Menschen so zu behandeln.»
Das Leiden der Arbeitenden ist für die Vorstandsvorsitzende von General Motors, Mary Barra, allenfalls ein Kollateralschaden, ihre oberste Priorität besteht darin, den Unternehmenswert zu steigern. Was wirklich zählt für Barra ist Shareholder Value. Man muss davon ausgehen, dass sie weiß was sie tut – im Jahr 2017 hat sie von GM 22 Millionen US-Dollar in Form von Aktien und Optionen eingesteckt. Die Zeitschrift Forbes pries Barra als eine der besten Vorsitzenden in der Geschichte von GM, Business Insider sagt, sie habe das «beste Managementteam» zusammengestellt, das es bei GM je gegeben hat.
Von der Ankündigung der Werksschließungen war die Wall Street begeistert. Die GM-Aktien schossen in die Höhe. Stimmen aus dem Establishment fühlten sich bemüssigt zu erklären, alle würden davon profitieren, wenn die Entscheidung Bossen wie Barra überlassen wird. «Das alte Unternehmersprichwort trifft nach wie vor zu», schrieb die Chicago Tribune, «was gut ist für General Motors, ist gut für das Land.»
Glaubt den Hype nicht
Aber es gibt hier eine Sache: GM-Manager machen einen furchtbar schlechten Job, wenn man davon ausgeht, dass es ihr Job ist, ein Industrieunternehmen zu leiten und nicht zu ihrem eigenen Nutzen und dem ihrer Wall-Street-Kumpanen das Unternehmen zu plündern. Seit Jahrzehnten haben die GM-Bosse Beschäftigte, Kunden und die Öffentlichkeit geschröpft.
Jeder Autoarbeiter, den man in Hamtramck oder Lordstown vom Band wegholt und in den Vorstand setzt, wäre in der Lage, ein Unternehmen zu führen, das bessere Produkte baut und dem öffentlichen Interesse besser dient als das aktuelle Management. Übertrieben? Werfen wir einen Blick auf die Fakten.
Während der ganzen zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts setzten sich arrogante GM-Manager über die Wünsche der Konsumenten hinweg, ignorierten ausländische Konkurrenten und bauten einfach schrecklich schlechte Autos. Im Jahr 1962 kontrollierte GM noch mehr als die Hälfte des US-amerikanischen Automobilmarkts, mittlerweile ist sein Anteil auf 17 Prozent gesunken.
Dieses Fehlverhalten der Manager führte zum größten Bankrott der Industriegeschichte. Es hatte eine Politik großer Zugeständnisse der UAW und einen staatlichen Rettungsversuch im Jahr 2009 in Höhe von 51 Mrd. US-Dollar zur Folge. Auf einmal besaß die Bundesregierung in Washington (das heißt das amerikanische Volk) damit den Großteil der GM-Aktien. Aber alles wurde wieder verkauft – mit einem Verlust von 11 Mrd. Dollar. Dank seiner Insolvenz zahlt GM seither so gut wie keine Steuern mehr an den Bundesstaat in Washington.
Doch statt danach in umweltfreundliche Technologien und in die Fabrikinfrastruktur zu investieren, hat GM seit 2015 den größten Teil des erzielten Gewinns – etwa 25 Milliarden US-Dollar – für Dividenden und Aktienrückkäufe ausgegeben. Diese Strategie zur weiteren Bereicherung der eh schon reichen Minderheit kommt eher einer permanenten Pflichtverletzung gleich als einer Tätigkeit, die wir gemeinhin als «Management» bezeichnen.
Die Käufer sind schuld
GM behandelt Autokäufer mit hochmütiger Herablassung. Einen schlagenden Beispiel für seine weitreichende, systembedingte unternehmerische Inkompetenz lieferte GM im Umgang mit fehlerhaften Zündschaltern bei einigen Automobilserien. Fast ein Jahrzehnt lang verschwieg und verheimlichte GM diesen Baufehler, der einige Kunden das Leben kostete. Dabei hätte der Fehler bei Kosten von weniger als einem Dollar pro Pkw behoben werden können. GM aber war der Meinung, das sei «zu teuer und zu aufwendig».
In seiner jüngsten Pressemitteilung zu den geplanten Werksschließungen erklärte die Geschäftsleitung, diese seien «Veränderungen im Kundengeschmack» geschuldet. Es würden deutlich weniger Limousinen nachgefragt. Das ist nichts weiter als eine raffinierter Trick, um die eigene Verantwortung auf andere abzuschieben. Tatsächlich kaufen amerikanische Kunden immer noch viele Pkw – nur eben nicht die Pkw von GM. GM hat bei seiner Modellpolitik systematisch auf die Abkehr von kleineren Autos gesetzt und sich stattdessen auf Geländewagen und Lkw konzentriert – große Fahrzeuge, deren Herstellung etwa gleich teuer ist wie Autos, für die aber viel höhere Preise verlangt werden.
Die Jagd nach höheren Gewinnen ist die wahre Triebkraft hinter dieser Entscheidung.
Die Konzentration auf übergroße Spritfresser straft das angebliche Bekenntnis von Mary Barra für eine Politik der Null-Emissionen Lügen. Seit Jahrzehnten hat GM gegen strengere Auflagen bei den Emissionen gekämpft, die das Spritsparen fördern würden. Gut für das Land? In einer Zeit der globalen Erwärmung gefährdet GM die Zukunft des Planeten.
Die Ankündigung der Fabrikschließungen löste große Empörung aus, doch scheinen sich die Kongressabgeordneten und die Gewerkschaftsbürokratie weitgehend auf Bittgesuche an die Adresse von GM beschränken zu wollen.
Von echten Gegenreaktionen ist von dieser Seite wenig zu spüren. «Wir müssen herausfinden, was General Motors braucht», erklärte der Bürgermeister von Lordstown. «Bitte, retten Sie unsere amerikanischen Jobs», bat UAW-Vizepräsident Terry Dittes. Solche Anwandlungen sind verständlich angesichts der Verzweiflung, die UAW-Mitglieder wie Nanette Sempers empfinden. Fakt ist aber, dass GM nach wie vor viele Autos herstellt. Das geschieht nur in zunehmendem Maße durch die 15000 Niedriglohnarbeiter in Mexiko.
Die angedrohten Fabrikschließungen sind auch als präventive Erpressungsmaßnahme für die anstehenden Tarifverhandlungen mit der UAW gedacht, damit diese noch mehr Zugeständnisse macht. Die Ankündigung sorgt jetzt schon in Nordamerika für Spannungen zwischen den verschiedenen Auto-Belegschaften.
Das sind unsere Fabriken
Beim Versuch, die GM-Bosse in Schranken zu weisen, sollte die UAW keine Taktik von vornherein ausschließen. Als der Präsident der UAW, Gary Jones, erklärte, man werde «mit allen rechtlichen und tariflichen Mitteln» gegen die Schließungspläne vorgehen, tat er aber genau dies. Es wird also keine Arbeitsniederlegungen, keine Bummelstreiks, keine Fabrikbesetzungen geben, die die Gewerkschaftsbasis aufrütteln und öffentliche Aufmerksamkeit erreichen können. Jones sollte sich vielleicht mal daran erinnern, dass die UAW niemals entstanden wäre, wenn nicht in den 30er Jahren Gewerkschaftsaktive mit kühnen Aktionen die Konfrontation mit General Motors aufgenommen hätten.
Die Arbeiter, die 1936 in den GM-Fabriken Sitzstreiks durchführten, waren der Ansicht, rechtliche Aspekte hin oder her, dass die Fabriken ihnen gehörten. Das hatten sie sich im Schweiße ihres Angesichts verdient. Durch ihr entschlossenes Handeln gelang den Sit-Downern das Unmögliche: Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise setzten sie gegenüber dem größten und reichsten Automobilhersteller der Welt so etwas wie Industriedemokratie durch.
Jahrzehnte später scheffelt GM wieder Gewinne – nicht zuletzt dank der Milliardenbeträge aus öffentlichen Kassen. Es ist an der Zeit, dass hier und jetzt die GM-Beschäftigten so wie damals das Recht des Managements in Frage stellen, das Unternehmen allein nach eigenem Gutdünken und eigenen Interessen zu führen.
In Kanada reagierte ein Wirtschaftsjournalist (!) auf die drohende Schließung des Werks in Ontario mit der Forderung, GM Canada zu verstaatlichen. «Entweder man handelt oder man wird verhandelt», schrieb er. «Wir haben GM lange genug erlaubt, in unverantwortlicher Weise mit uns umzuspringen.»
Sind Autoarbeiter überhaupt in der Lage, die Initiative zu ergreifen, sodass sie die Handelnden und nicht passive Objekte sind? Die Geschichte der UAW zeigt, dass das früher des öfteren der Fall war. Dazu braucht es einen kühnen Plan und entschlossenes Handeln. Die Führung der UAW sollte fordern, dass sie und ihre Managerkollegen abtreten. Sie haben schon genug Schaden angerichtet. Die Beschäftigten selbst und das amerikanische Volk sollten bei General Motors das Ruder übernehmen. Bis vor kurzem waren wir ja zumindest formal die Besitzer von GM.
Ein grüner New Deal
Man könnte das als reinen Wahnsinn abtun, aber 1936 war es nicht viel anders, als die Arbeiter sich anschickten dafür zu sorgen, dass die bis dahin «gewerkschaftsfreien» Fabriken von General Motors gewerkschaftlich organisiert werden. Wir sollten uns daran erinnern, dass öffentliche Kontrolle über die Autoindustrie hierzulande eine lange Geschichte hat. Im Zweiten Weltkrieg ordnete die Bundesregierung an, dass keine Autos mehr für den Privatgebrauch produziert werden dürften, die Produktion sollte umgestellt werden auf militärisches Gerät. Das wurde innerhalb weniger Monate umgesetzt. Daran ist zu denken, wenn GM-Führungskräfte heute behaupten, es sei unmöglich, bestehende Anlagen für alternative Produkte umzurüsten. Während des Krieges regulierten Regierungsbehörden, nicht der «freie Markt», die Industrieproduktion, Preise und Löhne.
Als General Motors 2008 wegen des unmittelbar drohenden Bankrotts zum Notfall nationalen Ausmaßes erklärt wurde, schlug der Filmemacher Michael Moore vor, mit GM im öffentliche Besitz solle der zur industriellen Wüste heruntergewirtschaftete «Rust Belt» wiederbelebt werden. Moore war nicht der einzige, der Appelle formulierte. «Ich sage, umarmt es. GM-USA», verkündete in der Los Angeles Times der Fachjournalist für die Automobilbranche, Dan Neil. «Durch die Verstaatlichung von GM», schrieb Neil, «können wir die erstaunlichen Ressourcen des Unternehmens auf eines der größten Probleme der öffentlichen Politik richten, das wir haben: Öl. Umstrukturiert und neu ausgerichtet, könnte GM in ein paar Jahren umweltfreundliche Fahrzeuge bauen.»
Das war vor zehn Jahren. Seitdem ist die Lage der Arbeiterklasse in den USA noch verzweifelter, der Kampf gegen den Klimawandel noch dringlicher geworden. Aber jetzt gibt es neue Hoffnung: Die Bewegung für einen grünen New Deal ist im Aufschwung. Dieser grüne New Deal hat die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung des Lebensstandards durch eine Neuausrichtung der Industrieproduktion auf emissionsfreie Technologien zum Ziel. Es ist ein ehrgeiziger Plan, wie auch schon der ursprüngliche New Deal. Er ist für uns jedoch der einzig gangbare Weg hin zu einem sozialverträglichen Wirtschaftswachstum und einer nachhaltigen Umwelt.
Eine Firma GM unter öffentlicher Kontrolle passt genau in diese visionäre und sehr populäre Agenda. Ein solches Unternehmen würde nicht mehr üppige Gehälter für Führungskräfte und aufgeblasene Aktienportfolios zum Dreh- und Angelpunkt seines Handelns machen. Stattdessen würden umweltfreundliche Technologien im Verkehrssektor höchste Priorität bekommen. Das neue GM hätte Respekt vor den eigenen Kunden und Wertschätzung für seine Beschäftigten und die Gemeinden, in denen sie leben.
Das ist ein General Motors, das für das Land und für die Zukunft des Planeten wirklich gut wäre. Autoarbeiter – ja alle Arbeiter – verdienen eine solche Firma. Sie sollten sich mit nicht weniger zufrieden geben.
* Aus: Labor Notes, http://labornotes.org/ 2018/12/viewpoint-whats-good-country-new-owners-gm. Tony Gilpin ist Historikerin und Autorin von The Long Deep Grudge. An Epic Clash Between Big Capital and Radical Labor in the American Heartland (Haymarket Books).
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