von Angela Klein
Die OrganisatorInnen mussten die Reißleine ziehen, die Anmeldungen vorfristig stoppen und das Angebot an Arbeitsgruppen erweitern – sonst hätten nicht alle Platz gehabt. Die vierte und mit 700 Teilnehmenden bisher größte Streikkonferenz (15.–17.2.) war, wie Fanny Zeise vom Organisationstrio beim Auftaktplenum sagte, ein «Zeichen für den gesellschaftlichen Aufbruch», der allenthalben spürbar ist.
Das Thema war gewerkschaftliche Erneuerung, und dafür gab es zwei Zauberworte: Organizing und Politisierung. Vor allem ersteres spukte so nachhaltig durch die Flure der TU Braunschweig, dass es manchen Gewerkschaftsvertretern schon zu viel wurde – Organizing gehört längst zum Instrumentenkasten der Gewerkschaften. Politisierung meinte das Hinaustragen gewerkschaftlicher und betrieblicher Konflikte in den politischen Raum, um einen gemeinsamen Kampf herzustellen, wenn die Kräfteverhältnisse in einer Branche allein nicht zu ändern sind. Beim Pflegenotstand ist dies stellenweise gelungen – mit Erfolg. In anderen Bereichen – etwa in der Automobilbranche – sind wir noch weit davon entfernt, da wird noch nicht sichtbar, wie Arbeit und Umwelt zusammengehen können.
Ver.di, IGM, NGG und die GEW waren die hauptsächlich vertretenen Gewerkschaften. Ihre Öffnung zu den neuen Mobilisierungsmethoden ist unterschiedlich stark ausgeprägt, was auch mit der Arbeitsstruktur der Beschäftigten zu tun hat, die sie organisieren. Und natürlich gibt es auf der einen Seite nicht nur Erfolge und auf der anderen Seite nicht nur Niederlagen. Der Bericht über die Automobilarbeiterstreiks in Ungarn, und wodurch sie möglich wurden, war ein lehrreiches Beispiel dafür, dass auch ein großer, schwerfälliger Tanker wie die IG Metall, auch in einem so traditionellen Bereich wie die Autoindustrie auch transnational entlang der Wertschöpfungskette mobilisieren kann.
Interessant war in diesem Zusammenhang der Schlagabtausch zwischen Bernd Riexinger (der in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der LINKEN da war) und Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall, ein Vordenker der sog. «Mosaiklinken». Die beiden haben sich über ein klassisches Thema in die Haare gekriegt. Sagt der Parteimensch zum Gewerkschafter: Ihr müsst politischer werden. Sagt der Gewerkschafter zum Parteimenschen: Politik ist eure Aufgabe. Dabei musste auch Urban zugeben, dass in der Politik derzeit kein Ansprechpartner für Gewerkschaftsanliegen da ist. Wie das Verhältnis neu zu bestimmen ist, wäre durchaus eine spannende Frage für den Kongress gewesen – leider kam es nicht dazu.
Eine Reihe von Themen standen nicht auf dem Programm, obwohl sie dringend zur gewerkschaftlichen Erneuerung gehören, etwa der Tarifvertrag Leiharbeit oder auch die Rentenpolitik. Der Preis für die Unterstützung der Konferenz durch offizielle Gewerkschaftsgliederungen der Region – und damit die Beteiligung ihrer Vertreter auf den Podien – war, dass weniger die Kritik an der Politik mancher Vorstände in den Fokus gerückt war als die Möglichkeiten, mit linker aufgestellten Teilen des Apparats in die Diskussion zu kommen.
Einigen Teilnehmenden war das zu wenig. Auf Anregung des Netzwerks Gewerkschaftslinke hatte deshalb eine Reihe kleinerer Initiativen aus dem betrieblichen bzw. gewerkschaftlichen Bereich in Braunschweig zu einem Vorbereitungstreffen für eine gemeinsame «Strategiekonferenz» (möglichst im Januar) 2020 eingeladen: das Treffen war mit 70 Teilnehmenden gut besucht. Die Konferenz soll kein Gegenstück, sondern eine Ergänzung zu den «Konferenzen gewerkschaftliche Erneuerung» der RLS sein.
An anderen Stellen hätte man sich mehr Öffnung gewünscht: So war der Frauenstreik mit seiner Platzierung am letzten Tag irgendwo zwischen Mittagessen und Abschlussplenum durchaus ein «krönender Abschluss», aber vielleicht etwas zu sehr an den Schluss gelegt, als längst nicht mehr alle da waren. Und die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende war am Freitag abend bei der Podiumsdiskussion nicht einmal darauf angesprochen worden, dass dieser Streik vielleicht etwas mit dem Kampf gegen den Pflegenotstand zu tun haben könnte.
Auch eine Einladung an die klimastreikenden Schülerinnen und Schüler, doch mal mit den anwesenden Automobilarbeitern (sehr viele aus verschiedenen VW-Werken) zu diskutieren, hätte die Debatte ungeheuer belebt.
Damit sei des Nörgelns aber genug: Es war eine tolle Konferenz, ein wichtiges Stelldichein für alle Linken in der und um die Gewerkschaftsbewegung, denen die herrschenden Verhältnisse allmählich unerträglich werden, eine höchst inspirierende Veranstaltung mit durch die Bank ausgezeichneten Vorträgen. Sie bot Gelegenheit zu vielfältiger Vernetzung und hat damit ihre Zweck voll und ganz erfüllt. Dafür ein herzliches Dankeschön ans Orga-Team und an die RLS.
Mehr Informationen und Videoaufzeichnungen einiger Vorträge: www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/BJTAJ.
Das nächste Vernetzungstreffen zur Vorbereitung der Strategiekonferenz 2020 wird am 18.Mai 2019 ab 11 Uhr im DIDF-Vereinsraum, Rudolfstr.13, Frankfurt am Main, stattfinden.
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