Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2019
Sanktionen auf dem Prüfstein
von Tina Ress*

Am 15.Januar 2019 verhandelte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Klage gegen die Sanktionen für Hartz-IV-Beziehende. Ein ALG2-Empfänger hatte Widerspruch eingelegt, nachdem er wegen der Verweigerung eines Jobangebots sanktioniert worden war.
Das Sozialgericht Gotha hält die Vorschrift der Sanktionen für verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht musste nun entscheiden, ob die Kürzungen in das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und in das Grundgesetz eingreifen. Im zweiten Sozialgesetzbuch «sind Mitwirkungspflichten normiert, bei deren Verletzung das Arbeitslosengeld 2 in gestufter Höhe über einen starren Zeitraum von jeweils 3 Monaten gemindert wird». «Der Gesetzgeber habe das Existenzminimum mit der Entscheidung über die Höhe des Regelbedarfs fixiert; dies dürfe nicht unterschritten werden. Im Fall einer Leistungskürzung werde der Bedarf nicht gedeckt, obwohl er sich tatsächlich nicht geändert habe. Damit verletze der Gesetzgeber das Gebot, eine menschenwürdige Existenz jederzeit realistisch zu sichern», so heißt es im Text des Sozialgerichts Gotha an das Bundesverfassungsgericht.
Zur Verhandlung war vor dem Gebäude des Bundesverfassungsgerichts eine Kundgebung angemeldet, es fanden sich einige Initiativen und Aktive aus der Partei DIE LINKE, Gewerkschaften und Sozialverbänden ein. Medial erregte die Verhandlung einiges Aufsehen, mehrere Fernsehteams und Journalisten waren vor Ort.
Zu den RednerInnen, die zur Verhandlung geladen waren, gehörte eine gute Mischung aus Vertretern der Bundesregierung und der Landesregierungen im Arbeitsfeld Arbeit und Soziales. Ebenfalls anwesend waren der Leiter der Bundesanstalt für Arbeit, Detlef Scheele, mehrere Jobcenter-Stellen, Vertreter der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber BDA, des DGB und zahlreicher Sozialverbände. Neben den Anwälten des Klägers und der Beklagten waren auch der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, die Anwälte der Bundesregierung, für den Erwerbslosenverein Tacheles Harald Thomé, für den DGB Annelie Buntenbach, Vertreter des Deutschen Städtetags, des Sozialgerichtstags u.v.a. zugegen.
Der Sitzungssaal war voll besetzt, etwa die Hälfte war für Vertreter der Institutionen reserviert, die restlichen Plätze waren an interessierte Bürger vergeben worden und komplett ausgebucht. Auch wir von der Solidarischen Erwerbsloseninitiative Kassel konnten zwei Plätze ergattern.

In die Zange genommen
Bundesminister Hubertus Heil sprach sich nach Eröffnung der Verhandlung im Sinne der Bundesregierung für Sanktionen und gegen ein bedingungsloses Existenzminimum aus und rechtfertigte dies mit dem schon bekannten Format «Fordern und Fördern», mit dem Sozialstaatsprinzip und der Solidargemeinschaft. Allgemeinplätze, die der Richtung der Bundesregierung entsprechen.
Einer der Anwälte der Bundesregierung wurde danach in mehreren Schleifen gebeten, genauer auf den Zusammenhang einzugehen, wie denn seiner Meinung nach die Menschenwürde in Bezug zu setzen sei zu einem Existenzminimum, das als Minimum doch schon definiert ist. Ob es dann eine Grenze unterhalb der Grenze gäbe, wenn man ein schon bestehendes Minimum weiter kürzt, fragten die RichterInnen. Nachdem er eine etwas gewagte Aussage traf, wurde nachgefragt, ob man ihn denn richtig verstehe, dass er Menschenwürde mit dem Leistungsprinzip gleichsetze und Menschenwürde von der Eigenverantwortung abhängen würde.
Im weiteren Verhandlungsverlauf wurden drei Erörterungsbereiche besprochen:
– einmal die Tatsache, in welchem Verhältnis Menschenwürde zum Existenzminimum steht und wie es zu rechtfertigen sei, dass dieses noch gekürzt wird;
– zum zweiten die Mitwirkungspflichten allgemein und insbesondere die Eingliederungsvereinbarungen, wie sinnvoll und wie individuell verhandelbar diese überhaupt sind, wenn doch viele Vereinbarungen offenbar Textbausteine oder komplett vorgefertigte Texte aufweisen;
– und zum dritten, welchen Sinn die Sanktionen haben, welche Wirkung sie auf psychisch Erkrankte haben, und warum Sanktionen sogar diejenigen treffen, die nachweislich überhaupt keine Arbeitsstelle aufnehmen können.

Warten auf das Urteil
Die Nachfragen und teilweise sehr guten Spitzen der RichterInnen in ihren zusammenfassenden Zwischenkommentaren waren klar erkennbar kritisch zu den Sanktionen und entlockten dem Publikum das ein oder andere zustimmende Raunen und Kopfnicken. Ebenso wie die Äußerungen der Bundesregierung, des BDA und der Caritas, den Besuchern empörtes Kopfschütteln entlockte.
Auch der Erwerbslosenverein Tacheles, der auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts eine Onlinebefragung bei über 21000 Menschen durchgeführt hatte, kam zur Sprache. Die Ergebnisse der Befragung können auf der Webseite des Vereins nachgelesen werden.
Die RichterInnen betonten mehrmals, dass die öffentliche Wahrnehmung der Sanktionen und des Sozialleistungssystems sehr kritisch ist und die Aussagen der Initiativen, Vereine und Sozialverbände denen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit diametral gegenüberstehen. Dieser Tatsache wollten sie mit ihren forschenden Fragen und Erörterungen Rechnung tragen.
Die Sanktionen im Bezug des Arbeitslosengeld 2 standen in den letzten Jahren unter massiver Kritik, da sie den Menschen eine eine eh schon niedrige Existenzgrundlage nehmen, Menschen einer unwürdigen Behandlung aussetzen und in einigen Fällen sogar als Druckmittel missbraucht werden, um auf schlecht bezahlte Arbeitsstellen noch schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Die Kürzungen können in Abstufungen von 10, 30, 60 und 100 Prozent vorgenommen werden. Davon betroffen sind in jedem zweiten Fall zusätzliche Personen in der Bedarfsgemeinschaft und in jedem dritten Fall Kinder. Die Zahl der Sanktionen für Alleinerziehende ist von 2007 bis 2017 um mehr als ein Drittel auf 14321 Fälle im Jahr 2017 gestiegen. Für Personen unter 25 Jahren sind die Sanktionen noch restriktiver, leider wurde dies in der Verhandlung nicht erörtert.
Das Urteil des BVG wird in einigen Monaten erwartet. Wie es ausfallen wird, darüber gehen die Meinungen auseinander, vielfach sind sie verbunden mit der Hoffnung, dass die Sanktionen gänzlich wegfallen könnten. Eine realistische Erwartung könnte dem Verhandlungsverlauf nach sein, dass die 100-Prozent-Sanktionen wegfallen und durch die bestehenden Regelungen ersetzt werden. Für diejenigen, die von der kompletten Sanktion betroffen sind, wäre das ein kleiner Lichtblick. Für die große Mehrheit hieße es aber weiterhin, Druckmitteln und unwürdiger Behandlung ausgesetzt zu sein. Die Initiativen und Vereine werden auch weiterhin dagegen ankämpfen müssen.

* Die Autorin war gewerkschaflich im Betrieb aktiv und studiert jetzt Soziologie und Politikwissenschaft.

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