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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2019
Die Luftsicherheitskräfte lehnen das Tarifergebnis ab
von Violetta Bock

Ende Januar hatte Ver.di die übliche Erfolgsmeldung nach einem Tarifkampf bekannt gegeben. Es gebe eine Einigung mit dem Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) über den ersten bundesweiten Entgelttarifvertrag in der Luftsicherheit. Doch weiter ging es keineswegs wie immer.
Nachdem die Tarifkommission nur mit knapper Mehrheit für den Abschluss gestimmt hatte, wurden die Mitglieder befragt. 55 Prozent lehnten das Ergebnis ab – und damit kommt es nun zu Nachverhandlungen.
Bundesweit arbeiten rund 23000 Menschen im privaten Sicherheitsdienst, unterteilt in drei Bereiche. Sie kontrollieren im Auftrag der Bundespolizei (1) Passagier und Gepäck, (2) Zugänge und Zufahrten und (3) Fracht und Waren. Mit deutlichen Warnstreiks hatten sie nicht nur auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht, sondern auch auf ihre strukturelle Macht. An einem Tag wurden etwa in Frankfurt am Main, Hannover, Bremen, Erfurt, Leipzig, Dresden, München und Hamburg Warnstreiks durchgeführt. Dadurch entfielen rund 1200 Flüge. Nach Angaben des Flughafenverbands ADV waren bis zu 220000 Passagiere betroffen, die laut Berichterstattung überwiegend verständnisvoll reagierten.
Die Streiks waren gar so wirkungsvoll, dass der Gewerkschaftsforscher Wolfgang Schröder sie überzogen fand und als gefährdend für die Sozialpartnerschaft einstufte: Denn auch wenn Gewerkschaften Durchsetzungsmacht beweisen müssten, gelte es berechenbar, verlässlich und regelkonform zu agieren, um die Sozialpartnerschaft nicht zu gefährden. «Es darf nicht zu einer überzogenen Demonstration von Mächtigkeit einer Gruppe kommen, die über eine spezielle Macht verfügt», so wird er in einem Interview mit dem Tagesspiegel zitiert.

Dicke Luft
Die Unternehmen haben jedoch schon längst selbst die Sozialpartnerschaft aufgekündigt bzw. bemühen sich nicht einmal mehr, eine Illusion davon aufrechtzuerhalten. Nicht umsonst herrscht dicke Luft in der Luftsicherheitsbranche. Die Privatisierung hat die Arbeitsbedingungen und Löhne massiv verschlechtert. Auch die Gewerkschaft hat dabei mitgespielt.
Die Luftsicherheitsbranche ist geprägt von Ausgliederungen, unterschiedlichsten Verträgen, Stundenlöhnen und Zuschlägen. Die Arbeitsverdichtung ist gestiegen. In Tegel sind die Passagierzahlen im letzten Jahr um 700000 auf 22 Millionen angestiegen – einen entsprechenden Personalausgleich gab es nicht. Beklagt werden auch die Zehn-Stunden-Schichten.
Besonders frappierend sind die Lohnunterschiede. Während in Ostdeutschland 11,30 Euro gezahlt werden, sind es in Baden-Württemberg für die gleiche Tätigkeit 17,16 Euro. Kein Wunder, dass die Wut groß ist. Die diesjährige Verhandlungsrunde sollte daher genutzt werden, um, nicht zuletzt angesichts dieser Arbeitsmarktsituation, strukturell etwas zu verändern. 20 Euro pro Stunde für jede und jeden, in Ost und West – das war die Kernforderung, die die Tarifkommission beschlossen hatte und mit der die Beschäftigten in den Streik zogen. Die Forderung zog, das konnte man an der Beteiligung und an den gewerkschaftlichen Organisierungserfolgen ablesen.

Das Ergebnis: ein laues Lüftchen
Die Verhandlungen verliefen entsprechend zäh. Erst in der fünften Runde Ende Januar einigten sich Ver.di und der BDLS. Die Einigung sieht vor, dass die Beschäftigten jährlich 3,5 bis 9,77 Prozent mehr Geld bekommen – die Zuwächse unterscheiden sich von Region zu Region und von Tätigkeit zu Tätigkeit. Die größte Gruppe der Beschäftigten, die Luftsicherheitsassistenten, verdient in Niedersachsen zurzeit 17 Euro pro Stunde. Die Luftsicherheitsassistenten erhalten dann etwa am Flughafen Leipzig/Halle 1,44 Euro die Stunde mehr, 2021 wird das Westlohnniveau erreicht. Bis 2021 soll das Entgelt stufenweise auf 19 Euro steigen. In den anderen Tätigkeitsbereichen ist ein längerer Anpassungszeitraum notwendig.
Die Arbeitgeber rückten zudem von der Bezeichnung einfacher Anlerntätigkeiten ab, gemeinsam wird eine Initiative für einen Ausbildungsberuf «Fachkraft für Luftsicherheit» gestartet. Die Gesamtlaufzeit des Tarifvertrags beträgt drei Jahre, die Gesamterhöhungen je nach Region und Tätigkeit in diesem Zeitraum zwischen 10,5 Prozent und 26,7 Prozent. Der Tarifvertrag «Zeitzuschläge/Zulagen/ Wahl­möglichkeiten» wird unmittelbar nach Abschluss des Entgelttarifvertrags verhandelt.
Angesichts des Ergebnisses machte sich an den Flughäfen Unzufriedenheit breit. Die Bundestarifkommission stimmte selbst nur mit knapper Mehrheit zu und knüpfte das Ergebnis erfreulicherweise an eine Mitgliederbefragung. Dabei lehnten 55 Prozent der Teilnehmenden das Ergebnis ab. In Niedersachsen und Bremen stimmten nach Informationen der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sogar zwei Drittel gegen den Vertrag. Sicherh ist das nicht zuletzt das Ergebnis davon, dass die Streiks deutlich machten, dass mehr zu gewinnen ist.

Rückenwind für Nachverhandlungen
Der Entgelttarifvertrag wird daher nicht, wie vorgesehen, am 1.März in Kraft treten. Stattdessen wird nachverhandelt. Über welche Punkte, wann und wo – darüber gibt Ver.di keine Auskunft. «Bis zum Abschluss der Gespräche wird es keine Streiks der Luftsicherheitskräfte an den Flughäfen geben», erklärte Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Ute Kittel. Bleibt zu hoffen, dass Ver.di den Rückenwind nun nutzt, um in den Verhandlungen ordentlich nachzulegen. Sollten die Nachverhandlungen scheitern, könnte es zu einem Schlichtungsverfahren kommen. Ein neutraler Experte würde dann einen Kompromiss vorschlagen. Aber auch weitere Warnstreiks sind möglich – dann dürften wieder viele Flüge ausfallen. Nach einer Urabstimmung könnte Ver.di zudem zu unbefristeten Streiks aufrufen.

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