von Gisela Notz
«Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen.» Die Stadt war Berlin.
Das ist kein Auszug aus einem Bericht über den FrauenStreik, den Feministinnen am Internationalen Frauentag 1994 losgetreten haben. Der Satz stammt aus einem Artikel der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift Die Gleichheit vom 27.März 1911 über die Demonstrationen anlässlich des ersten Internationalen Frauentags am 19.März 1911, den Sozialistinnen und Gewerkschafterinnen 1910 in Kopenhagen auf der II.Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale beschlossen hatten. Unter dem Kampfruf «Heraus mit dem Frauenwahlrecht» gingen damals mehr als eine Million Frauen auf die Straße und forderten das Frauenwahlrecht und soziale und politische Gleichberechtigung.
Das Datum sollte an Ereignisse während der Revolution von 1848 erinnern, an denen viele Arbeiterinnen beteiligt waren. Ab 1921 wurde es weltweit der 8.März. Damit sollte an den 8.März 1917 (den 23.Februar a.St.) erinnert werden, als die Textilarbeiterinnen in Petrograd massenhaft unter dem Motto «Frieden und Brot!» gegen das zaristische Russland streikten und damit ein Auslöser der Februarrevolution wurden. Der 8.März war also von Anfang an ein Frauenkampftag. Und er war auch eng mit einem Streiktag verbunden. Nach einer anderen Erzählung bezieht sich das Datum auf einen Streik von New Yorker Tabak- und Textilarbeiterinnen für das Frauenwahlrecht, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen am 8.März 1907. Es gibt noch andere Erzählungen.
Jedenfalls wurde in Kopenhagen 1910 beschlossen, dass der Internationale Frauentag ein «Ehrentag» mit einem «internationalen Charakter» sein sollte. Von Anbeginn war er auch ein Antikriegstag, denn auf der Konferenz in Kopenhagen wurde eine «Resolution, die Erhaltung des Frieden betreffend» verabschiedet.
Auch in den USA, in der Schweiz, in Dänemark und Österreich folgten viele Frauen dem Aufruf: «Heraus mit dem Frauenwahlrecht». Bis zum Ersten Weltkrieg kamen Frankreich, die Niederlande, Schweden, Russland und Böhmen hinzu. Das Wahlrecht auch für Frauen konnte mit der Revolution von 1918 durchgesetzt werden. Die Einlösung vieler anderer Forderungen steht zum Teil bis heute aus.
In den folgenden Jahren erlebte die Frauentagsbewegung Fortschritte, Rückschritte, Erfolge und Niederlagen. Je nachdem, wie es die herrschende politische Meinung wollte, wurde der Internationale Frauentag mal geduldet, mal verboten und manchmal sogar von oben verordnet.
«Frauen sagen NEIN!»
Ein herausragendes Ereignis war der Internationale Frauentag 1994, der vier Jahre nach der «Wiedervereinigung» zum FrauenStreikTag wurde. Der erste Aufruf «Frauen sagen NEIN!» kam vom selbsternannten Streikkomitee Köln/Bonn und vom Unabhängigen Frauenverband in (Ost-)Berlin. Gewerkschaftsfrauen und Frauen aus anderen Ländern waren von Anfang an dabei.
Behinderte Frauen brachten sich und ihre Probleme ein und machten darauf aufmerksam, dass «die rassistische Gewalt auf der Straße sich mehr und mehr auch gegen Behinderte wendet». Die Aktivistinnen wollten sich gegen den mit der Wiedervereinigung verbundenen Arbeitsplatzabbau und den Abbau von Sozialleistungen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten wehren. Der Aufruf wurde von einer Vielzahl zum Teil prominenter Frauen aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen und von vielen feministischen Gruppen unterzeichnetet.
Vorbild war der Streik der Isländerinnen im Oktober 1975 und der Schweizer Frauenstreik vom 14.Juni 1991. Diese ebenfalls landesweiten Streiks gingen wie der FrauenStreik 1994 davon aus, dass ein erweiterter Arbeitsbegriff, wie er in der Frauenforschung schon lange diskutiert wird, auch die Erweiterung des auf Lohnarbeit verengten Streikbegriffs notwendig machte. Der Frauenstreik richtete sich daher auf die Verweigerung der gesamten Arbeit in Produktion und Reproduktion. Es kam zu einem Schulterschluss zwischen Gewerkschaftsfrauen und autonomen Frauen. Unter der Losung: «Uns reicht’s. Ein scharfer Wind fegt über das Land», machten die Kolleginnen Vorschläge für vielfältige fantasievolle Aktionen in Betrieben, Verwaltungen, auf der Straße und überall dort, wo es notwendig erschien. Frauen sollten in den Zusammenhängen, in denen sie sich bewegten, ihre Form der Verweigerung und des Einforderns ihrer Rechte finden.
Überall in den ungefähr einhundert Frauen-Streikkomitees – Vernetzungszentren wurden sie damals genannt – in fast allen größeren und später auch kleineren Städten in Ost- und Westdeutschland saßen autonome Feministinnen ebenso wie Kolleginnen aus Betrieben und Verwaltungen und Gleichstellungsbeauftragte. Es gab Meinungsverschiedenheiten und Konsens, Spaß und Ärger in den heterogenen Frauengruppen der beiden Vorbereitungskomitees. Einige Frauen schieden aus, weil ihnen der Aufruf zu radikal war, andere machten nicht mehr mit, weil sie es gerne radikaler gehabt hätten. Wieder andere kamen hinzu, weil sie von dem Gedanken des bundesweiten Frauenstreiks angesteckt worden waren. Die Idee hatte freilich nicht nur Unterstützerinnen.
Angela Merkel (CDU): damals Bundesministerin für Frauen und Jugend:
«Als Frauenministerin setze ich mich täglich für die Belange der Frauen ein. Das ist auch nötig, weil wir von tatsächlicher Gleichberechtigung noch weit entfernt sind. Der FrauenStreikTag ist ein spektakuläres Ereignis, das uns aber als Einzelaktion außer Aufsehen kaum mehr bringt. Ich werde jedenfalls nicht streiken, sondern die geplante Kabinettsitzung besuchen.»
Anders die damalige Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach, sie lud ihre Mitarbeiterinnen während der Arbeitszeit zum «Hexenfrühstück» ein und diskutierte mit ihnen. Angela Merkel konnte vom Fenster aus die vielfältigen Aktionen beobachten, an denen sich auch Frauen beteiligten, die zuvor noch nie für ein politisches Anliegen auf die Straße gegangen waren. An diesem Tag beteiligten sich – wie auch am ersten Internationalen Frauentag – mehr als eine Million Frauen an den Aktionen zum FrauenStreikTag. Die nördlichste Aktion organisierte das Streikkomitee Mecklenburg-Vorpommern. Die dortigen Frauen ließen ihr Spruchband: «Von Nord bis Süd: uns reicht’s. Deutschland in Frauenhand, das wäre Spitze» vom Schinkel-Leuchtturm auf Kap Arkona (Rügen) flattern. Ganz im Süden auf der Zugspitze (Bayern) machten Frauen mit dem gleichen Spruch auf sich aufmerksam. Dazwischen gab es viele fantasievolle Aktionen.
Ein breites, bundesweites Frauenbündnis war wiederbelebt worden und sollte auch für die Zukunft beibehalten werden. Auf einer der Folgekonferenzen, die nach dem 8.März die Vorbereitungskonferenzen ablösten, wurde die Feministische Partei Die Frauen gegründet, die heute noch existiert, aber keine Wirkmächtigkeit hat. Die Entscheidung zur Parteigründung trugen damals die meisten Feministinnen nicht mit. Sie wollten weiterhin außerparlamentarisch aktiv sein.
Die Parteigründung schwächte jedoch die entstandenen Vernetzungszentren, die noch eine Weile arbeiteten, sich von den damit verbundenen Auseinandersetzungen jedoch nicht erholten. Das war sicher nur einer der Gründe, warum der erhoffte Beginn einer starken gemeinsamen deutsch-deutschen Frauenbewegung aus blieb. Strukturen lösten sich auf, darunter 1998 der Unabhängige Frauenverband und 2008 auch die beiträge zur feministischen theorie und praxis.
Die ganze Frauenfrage
Die meisten der damals gestellten Forderungen haben sich bis heute nicht erledigt. In einigen Bereichen – z.B. in bezug auf die Prekarisierung am Arbeitsmarkt und den Umgang mit den Flüchtlingsfrauen – haben sich die Probleme verstärkt. Auch ist der §218 nicht aus dem StGB gestrichen, sondern durch eine Zwangsberatung verstärkt worden.
Auch im Blick auf den §219a haben sich die selbsternannten «Lebensschützer» durchgesetzt, und die Frauenhäuser sind wie eh und je unterfinanziert, aber überfüllt. Höchste Zeit also, dass Frauen ihren Protest 2019 wieder auf die Straße tragen. Auch die Widerstände sind die gleichen: Ist es den Gewerkschaftsspitzen verboten, zum politischen Streik aufzurufen? Nein, weder nach dem Grundgesetz, noch überhaupt. Das hat die 1994 mitarbeitende Juristin schon damals festgestellt.
Nur zwei Beispiele: 1948 riefen die Gewerkschaften zum großen «Demonstrations- und Generalstreik» mit der Forderung nach Bekämpfung der unerträglichen wirtschaftlichen Verhältnisse auf. Das war ebenso wichtig wie der Aufruf der ÖTV am 22.September 1993 zu Protesten gegen den Sozialabbau, in dem es hieß: «Der Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV ruft alle Mitglieder auf: Beteiligt euch an Demonstrationen und Protestveranstaltungen der Gewerkschaften, auch während der Arbeitszeit. Bezieht Position gegen den sozialen Kahlschlag der Bundesregierung.» Die Juristin überschrieb «eine Ermunterung zum FrauenStreikTag aus rechtspolitischer Sicht» in der regelmäßig erscheinenden Streikzeitung: «Verboten? Erlaubt? Notwendig!»
Dass in diesem Jahr wieder eine große Anzahl von vorwiegend jungen Frauen zum Frauen*Streik aufgerufen hat, zeigt, dass Frauen auch in Zukunft keine Ruhe geben werden. Denn die Antwort auf die «ganze Frauenfrage», mit der die Forderung nach dem Frauenwahlrecht am I.Internationalen Frauentag verbunden werden sollte, steht auch heute noch aus. Ebenso wie die Erfüllung des Ziels, das Clara Zetkin 1911 im Vorfeld zum Internationalen Frauentag formulierte: «Sein Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel.» Dieses Ziel sei «erst erreicht, wenn die politische Knebelung des gesamten weiblichen Geschlechts … ein Ende nimmt.»
Um darauf hinzuarbeiten, brauchte es vor hundert Jahren und braucht es durch den zunehmenden Rechtsruck heute erst recht breite Bündnisse von Frauen, die mit den Verhältnissen, so wie sie sind, nicht einverstanden sind.
Deshalb: Heraus zum Frauen*Streik am 8.März 2019!
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