von David Stein
Das Wohnen in Deutschlands Großstädten und Ballungszentren wird zum Luxusgut. Die Mieten in München, Hamburg, Stuttgart, Berlin, Frankfurt am Main, Köln oder Düsseldorf sind 2018 im Durchschnitt um weitere 4,2 Prozent gestiegen. Für viele Haushalte ist das Wohnen in den Ballungszentren und im verkehrstechnisch gut angebundenen Umland inzwischen unbezahlbar geworden. Doch wem gehören die Wohnungen eigentlich?
Seit zehn Jahren steigen die Mieten in diesen Regionen kräftig, vor allem für Familien mit Kindern und für Alleinerziehende. Von den 90 Prozent der Haushalte, die, ohne Wohngeld, ihren Wohnraum ausschließlich aus dem eigenen Einkommen finanzieren müssen, hat ein erheblicher Teil Mietbelastungen zu tragen, die sie in die Prekarität treiben. Bei der Frage, wann eine Kaltmiete als noch bezahlbar gilt, orientieren sich Banken an der 30-Prozent-Marke für den Immobiliarkredit. Muss mehr vom verfügbaren Einkommen fürs Wohnen ausgegeben werden, gilt dies für Menschen mit niedrigem Einkommen als problematisch, weil dann für Essen, Kleidung oder Freizeit zu wenig übrig bleibt. In vielen Städten haben Mieten die 40-Prozent-Marke jedoch längst überschritten.
Es drängt sich daher die Frage auf, wem die rund 42 Millionen Wohnungen in Deutschland eigentlich gehören und wer davon profitiert, wenn bei Neuvermietungen in Ballungszentren die Mieten für angebotene Wohnungen über der Mietpreisbremse liegen und zweistellig steigen?
Was gehört wem?
Die verlässlichste Quelle für die Eigentümerstruktur sind hochgerechnete Zahlen, die auf der Volkszählung 2011 und auf den Daten von Eurostat basieren. Im Vergleich zu allen anderen EU-Ländern ist in Deutschland demnach der Anteil der Bevölkerung, der zur Miete wohnt, weitaus am höchsten (49,2 Prozent). Die Eigentümerquote schwankt von Bundesland zu Bundesland – zwischen 14 Prozent in Berlin und bis zu 55 Prozent im Saarland. In Spanien oder Italien liegt der Mieteranteil deutlich unter 20 Prozent; in den osteuropäischen Staaten noch weit darunter. Nur im Nicht-EU-Land Schweiz ist der Mieteranteil höher als in Deutschland (62 Prozent).
Was zunächst erstaunt: 58 Prozent der deutschen Mietwohnungen gehören nicht institutionellen Investoren oder renditegetriebenen Unternehmen, sondern Privatpersonen (24,1 Millionen Wohnungen). Die Kategorie der Privatpersonen ist allerdings erklärungsbedürftig. Die Privatpersonen sind als Kleinvermieter eine sehr heterogene Gruppe. Der statistische Begriff ist schillernd. Darunter fallen natürliche Personen mit einer oder mehr Wohnungen, mit einem oder Dutzenden Miethäusern. Dazu gehören überdurchschnittlich viele Freiberufler und Selbständige. Für viele Vermieter sind die Wohnungen nur Teil der Altersvorsorge, andere leben gänzlich von der Grundrente (Bodenrente).
Die zweitgrößte Gruppe mit 22,4 Prozent (rund 10 Millionen Wohnungen) bilden die Wohnungseigentümergemeinschaften nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Eine geringe Bedeutung haben bundesweit bei der Eigentümerstruktur Kommunen, kommunale Wohnungsunternehmen sowie Wohnungsgenossenschaften. Die kommunalen Wohnungsunternehmen in Staatseigentum haben meist die privatkapitalistische Rechtsform der GmbH oder Aktiengesellschaft. Ihnen gehören bundesweit etwas mehr als 5 Prozent der Wohnungen. Sie gibt es nur in Städten, nicht auf dem Land. Dies verzerrt ihre Bedeutung. In den Städten der neuen Bundesländer ist dies ohnehin etwas anders. Den Wohnungsgenossenschaften bzw. kommunalen Wohnungsunternehmen gehört dort ein Wohnungsbestand von deutlich über 10 Prozent, in der alten BRD ist dies nur in Hamburg, Mannheim und Frankfurt am Main der Fall. Der Rest (mit Ausnahme der privaten Wohnungsbaugesellschaften) besteht aus Wohnungen im Bundesbesitz (BIMA), im Besitz der Länder oder von Organisationen ohne Erwerbszweck (Kirchen). Sie fallen zahlenmäßig nicht ins Gewicht.
Die privaten Wohnungsbaugesellschaften
Die privaten Wohnungsgesellschaften sind mit einem Anteil von inzwischen 5,5 Prozent (2,3 Millionen Wohnungen) in Deutschland erst seit kurzem am Markt. Sie sind durch Zusammenkäufe von privatisierten kommunalen Wohnungen groß geworden. Teilweise sind sie börsennotiert.
Börsennotierte Wohnungsunternehmen, die heute fast eine Million Wohnungen im Bestand haben, waren lange nicht erlaubt, um Mieter nicht dem Weltmarkt auszusetzen. Der Wohnungsmarkt wurde – anders als der Markt für gewerblich genutzte Immobilien, wo seit langem finanzmarktbasierte Anlagemöglichkeiten mit unterschiedlichen Risiken und Renditen (bsp. offene und geschlossene Immobilienfonds) eine Rolle spielen – in Deutschland relativ spät, erst seit der Jahrhundertwende und dann verstärkt nach der Finanzmarktkrise 2007/2008, als Anlagemöglichkeit von Investoren erschlossen.
Infolge der Privatisierungswelle beim kommunalen Wohnungsbestand zur Tilgung der Schulden der Kommunen bzw. demografischer Fehleinschätzungen in den Stadtverwaltungen (vermutete Abnahme der Bevölkerung) standen plötzlich genug Wohnungen dafür zur Verfügung. Nicht nur Kommunen, auch Bahn und Post, die britische Armee in Deutschland sowie Großunternehmen entledigten sich ihres Wohnungsbestands, der früher für deren Arbeiter und Angestellte gebaut worden war – nach betriebswirtschaftlicher Logik hatte dieser als Anlagevermögen zu viel Kapital gebunden und dadurch die Bilanz belastet.
Die größten Akteure im Bereich der privaten Wohnungsbaugesellschaften sind die beiden börsennotierten Wohnungsunternehmen Vonovia SE mit bundesweit etwa 350000 Wohneinheiten bzw. die Deutsche Wohnen SE (DW) mit rund 170000 Wohnungen im Bestand, davon über 100000 Wohnungen in Berlin. Die LEG AG ist Eigentümerin von rund 128000 Wohnungen. Es handelt sich im Kern um Finanzkonzerne und nicht um Verwalter von Immobilien, die den privaten Wohnungsmarkt als Anlagemöglichkeit entdeckt haben.
Beide Unternehmen wurden von einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) umgewandelt. Diese muss keinen Betriebsrat haben und sie kann nach internationalen, im angelsächsischen Wirtschaftsraum üblichen Maßstäben bilanzieren. Dadurch können bei den Wohnungsbeständen leichter Höherbewertungen vorgenommen und somit fiktive Buchgewinne erzielt werden. Diese können dann an die Aktionäre ausgeschüttet werden.
Die Dividende bei der DW stieg von 2014 bis 2019 um mehr als 90 Prozent, die Erträge wuchsen aber im gleichen Zeitraum nur um 20 Prozent. Dabei wurden alle gesetzlich denkbaren Mieterhöhungsmöglichkeiten – etwa Modernisierungsprogramme wie Wärmedämmungen – bis an die Grenze des technisch Möglichen genutzt, weil die Kosten auf die Mieter umlegbar sind. Gleichzeitig wurden die Instandhaltungsausgaben auf dem Rücken der Mieter gesenkt.
Kleiner Wirkungskreis, große Folgen
Die privaten Wohnungsbaugesellschaften geben auf dem privaten Wohnungsmarkt in einigen Großstädten den Ton an, obwohl sie bei der Zersplitterung der Eigentümerstruktur in Deutschland bundesweit keine Monopolstellung innehaben. Sie dominieren aber einzelne regionale Teilmärkte. So konzentrieren sich die Bestände der börsennotierten Vermieter räumlich in den größeren Städten und dort wiederum in bestimmten Quartieren; zudem enthalten sie einen hohen Anteil an Sozialwohnungen bzw. ehemaligen Sozialwohnungen. Besonders hohe Marktanteile der börsennotierten Wohnungsunternehmen sind in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen festzustellen. In einzelnen Stadtteilen Berlins ist der Wohnungsbestand der DW so hoch, dass sie den Mietspiegel, der von der DW ohnehin nicht anerkannt wird, unterlaufen kann.
Die Geschäftsmodelle der börsennotierten Unternehmen und ihre Renditeorientierung wirken sich auf den gesamten Vermietermarkt aus. Durch die Börsengänge können Wohnungsaktien erst gehandelt werden, für die Unternehmen ergeben sich neue Möglichkeiten der Finanzierung, unter anderem in Form von zukünftigen Kapitalerhöhungen und Anleiheemissionen. Der Börsengang ist eine fast zwangsläufige Voraussetzung für das Wachstum dieser Immobilienunternehmen, die viel stärker als andere Anbietergruppen am Wohnungsmarkt an Expansion, Größe und hohen Marktanteilen ausgerichtet sind.
Mittelfristig ist die zersplitterte Eigentümerstruktur bei Wohnimmobilien in Deutschland kein Schutzschild gegen die gesteigerte Renditeorientierung der börsennotierten Unternehmen. Dies schließt nicht aus, dass der einzelne private Vermieter unter Verzicht auf die am Markt erreichbare Miethöhe stärker an langfristigen Mietverträgen und wenig Mieterwechsel interessiert sein mag. Es mag auch so sein, dass bei den Vermietern, soweit es sich um Privatpersonen handelt, der Mietzins statistisch noch leicht (um 3 Prozent) unterhalb der durchschnittlichen Vergleichsmiete liegt. Auch für kleine Vermieter sind jedoch Wohnungen als vermeintliches Betongold eine Finanzanlage wie jede andere auch. Die Rendite seiner Wohnungen muss auch für den kleinen Vermieter mit anderen Anlagen (Staatspapieren, Aktien etc.) vergleichbar sein.
Seit der Finanzkrise hat sich das Problem deutlich verschärft. Neue Akteure steigen als Vermieter am Wohnungsmarkt ein, weil sich durch die Nullzinspolitik der EZB bei Investitionen in risikoarme Produkte wie Staatstitel, Festgelder, Lebensversicherungen keine Rendite mehr erzielen lässt und der Aktienmarkt Achterbahn fährt. Diese Renditen sollen jetzt am Wohnungsmarkt erzielt werden.
Die Preisspirale bei den Mieten, die nicht allein auf Knappheit zurückzuführen ist, sondern auf Spekulation mit dem Wohnraummangel, kann durch das ständige Herumdoktern an der Mietpreisbremse des Bundes nicht behoben werden. Niemand glaubt heute an die Wirksamkeit dieser rein zivilrechtlich wirkenden Regulierung, die der Mieter gegen den Vermieter durchsetzen muss. Die Lage in den Ballungszentren mit angespannten Wohnungsmärkten macht deshalb das ausnahmslose administrative Einfrieren der Mieten bzw. einen Mietendeckel notwendig. Solche öffentlich-rechtlichen Mietpreisregelungen, die in der Nachkriegszeit existierten, ließen sich schnell aktivieren; die Länder, die für das Wohnungsrecht zuständig sind, könnten in angespannten Wohnungsmärkten schnell mit einem landesweiten Mietpreisrecht reagieren.
Die existenziell bedrohliche Situation für viele Mieter ist jedoch substantiell nur zu beheben, wenn Wohnungen dem Markt entzogen und als öffentliches Gut behandelt werden. Der Bedarf jedes Einzelnen an angemessenem Wohnraum ist mit den Mitteln des Markts nicht sicherzustellen. Es braucht daher ein Umdenken – hin zum Wohnraum als Gemeingut – als öffentlich und demokratisch verwaltete Ressource, über die nicht private Investoren und Marktteilnehmer, sondern die Gesellschaft entscheidet.
Das Grundgesetz eröffnet einen solchen Weg, von dem jedoch seit 1948 noch nie Gebrauch gemacht wurde. Es anerkennt die Kategorie des Gemeingutes in Artikel 15: «Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.»
Genau hier setzt das Volksbegehren «Deutsche Wohnen & Co enteignen» in Berlin an. Es will die Bestände großer Immobilienkonzerne, soweit sie über 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaften und damit dem Markt entziehen. Das Grundgesetz nennt für diese politische Entscheidung lediglich drei Beschränkungen: die Enteignung muss auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen, es muss sich um ein vergesellschaftungsfähiges Gut handeln und es muss eine Entschädigung gezahlt werden, die sich nicht am Verkehrswert orientieren muss. Weitere Einschränkungen gibt es nicht. Es besteht also gar kein Zweifel, dass eine Vergesellschaftung legal ist. Erforderlich ist einzig und allein, dass der rot-rot-grüne Senat dies will und einen Gesetzentwurf mit dieser Zielsetzung vorlegt.
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