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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2019
…und wie er benutzt wird
von Bernard Schmid

Der Antisemitismus in Frankreich nimmt zu. Seinen vielleicht schlimmsten Ausdruck fand er jüngst in einer Schmiererei, die am 11.Februar entdeckt wurde.
Der Graffitikünstler Christian Guemy, alias «C215», hatte vor einigen Monaten zwei kunstvoll gemalte, kleine Porträts der 2017 verstorbenen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil auf zwei Briefkästen an der Außenwand des Bezirksrathauses im 13.Pariser Arrondissement angebracht. Anlass dazu war die Überführung des Sargs von Simone Veil ins Pariser Panthéon am 1.Juli 2018. In der Nacht waren zwei Hakenkreuze über die Porträts gepinselt worden.
Eine knappe Woche später gab es einen weiteren Vorfall. Am Rande einer Demonstration der Gelben Westen wurde am 16.Februar der Philosoph und Schriftsteller Alain Finkielkraut angefeindet und angepöbelt. Finkielkraut wird, je nach Standpunkt der Betrachter, eher als konservativ oder vorwiegend als jüdisch wahrgenommen. Dass ihm Feindseligkeit entgegenschlug, hat auch mit der Ablehnung seiner Positionen zu tun. Einige Anwesenden pöbelten jedoch unabhängig von Finkielkrauts Positionen – etwa zur Elitebildung oder zur Migration – darauf los, er wurde unter anderem als «schmutziger Zionist» beschimpft. Einer der Anwesenden kündigte an: «Gott wird dich strafen» und «Frankreich gehört uns».
Diese Vorfälle haben einen unterschiedlichen Hintergrund. Die Attacke auf das Andenken an Simone Veil dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem der rechtsextremen Milieus kommen. In diesen Kreisen gilt Veil als Todfeindin, seitdem die jüdischstämmige liberale Politikerin 1975 als Gesundheitsministerin den Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung – damals in den ersten zehn Schwangerschaftswochen – vorgelegte und durch das Parlament gebracht hatte – übrigens mit den Stimmen der Linksparteien und gegen Teile ihrer eigenen liberal-konservativen Mehrheit. Bezeichnungen wie «Planerin eines Völkermords an den Franzosen» wurden damals auf der extremen Rechten erfunden.
Der Angriff auf ihr Bild steht in einer Reihe mit einer Serie von Hakenkreuzschmierereien und antisemitischen Graffiti, die seit Anfang des Jahres erheblich an Intensität gewinnen. Auch andere Einrichtungen sind betroffen, Hakenkreuze wurden beispielsweise bei einer Geschäftsstelle der PCF in Vienne gefunden oder auf einer Moscheebaustelle im westfranzösischen Amboise. Die südfranzösische sozialdemokratische Regionalpräsidentin Carole Delga erhielt am 15.Februar einen Drohbrief mit Hakenkreuzen.

Die Urheber
In diesen Fällen dürfte klar sein, dass die Urheber in der außerparlamentarischen, stiefelfaschistischen oder neonazistischen Rechten zu suchen sind. Letztere hat sich damit in den vergangenen Wochen in die Offensive gebracht. Im Spätherbst 2018 hatte sie sich noch an den Straßenauseinandersetzungen im Rahmen der Proteste der Gelbwesten beteiligt, deren Legitimität sie in Anspruch nahm, um sich selbst als eine Art «Speerspitze des Volkswiderstands» zu inszenieren.
In jüngerer Zeit hat die Teilnahme der gewaltbereiten Rechten an den Gelbwesten-Demonstrationen jedoch wieder abgenommen. Zum einen weil die Konflikte mit Linken zugenommen haben, vor allem, seit diese Anfang Februar fraktionsübergreifend auf die rechtsextreme Attacke gegen einen Demoblock der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) reagierten, die sich am 26.Januar in Paris ereignete. Andererseits fürchten die Rechtsextremen, zusammen mit Teilen der Protestbewegung stärker ins Visier staatlicher Verfolgungsbehörden zu geraten.
Bei dem Mann um die Mitte dreißig, der sich bei den Pöbeleien gegen Alain Finkielkraut am stärksten hervortat – er wurde identifiziert und polizeilich vernommen –, handelt es sich um einen zum Islam konvertierten, aktiven Salafisten, den gebürtigen Elsässer Benjamin Weller. Seine Barttracht – rötlich gefärbter Vollbart, aber abrasierter Schnurrbart – bestätigt die Zugehörigkeit zum salafistischen Milieu. Personen mit solcher Ideologie bilden keine eigene Strömung in der Protestbewegung; da sich zumindest einige von ihnen subjektiv als «Rebellen» gegen eine als ungerecht wahrgenommene Ordnung betrachten, laufen sie mitunter bei den heterogen zusammengesetzten Protestzügen mit.

Instrumentalisierung
Anfang Februar rückte Regierungssprecher Benjamin Griveaux in einem Tweet üble Schmierereien – etwa die Aufschrift «Juden» (in deutscher Sprache), die am jüdischen Restaurant Bagelstein entdeckt worden waren – in eine Reihe mit Attacken auf Polizisten bzw. auf eine Baustelle am Parlamentsgebäude durch Protestierende. Alle zusammen stellte er unter das Motto «Nie wieder» und behauptete eine Vergleichbarkeit zwischen diesen unterschiedlichen Handlungen. Es war der Eigentümer des Bagelstein selbst, der daraufhin öffentlich klarstellte, für ihn gebe es keinerlei nachgewiesenen Zusammenhang zu den Gelbwesten.
Die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde zitierte in ihrer Wochenendausgabe vom 16.Februar Sammy Ghozlan vom «Nationalen Büro der Wachsamkeit gegen Antisemitismus», einer Einrichtung der jüdischen Gemeinden, mit den Worten: «Je mehr der Staat sich um die Juden zu kümmern scheint, desto mehr verärgert das, und manche versuchen, ihnen dies heimzuzahlen.» Anhänger der Protestbewegung sprechen in diesem Zusammenhang davon, die politische Instrumentalisierung des Antisemitismus durch das Regierungslager gefährde die Juden, die als «Geiseln» der Politik dienten.
Das kritisieren auch Teile der Linken und der Gelbwesten. Leider entspricht es aber auch der Wahrheit, dass ein Teil des heterogenen Gelbwesten-Spektrums zugleich, in dieser wie in anderen Fragen in Verschwörungstheorien schwelgt: Da man der etablierten Politik und den etablierten Medien nicht mehr vertraut, sind jedenfalls einige bereit, jeden Unsinn zu glauben, der ein «Komplott» aufzudecken vorgibt. Das ist nicht notwendig antisemitisch, hat aber jedenfalls eine offene Flanke in dieser Richtung.

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