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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2019
Der 8.März 2019 war erst der Anfang
von Petra Stanius

Am diesjährigen Internationalen Frauentag waren auch in Deutschland Zehntausende auf den Straßen statt bei der Arbeit. In vielen Städten demonstrierten Menschen gegen Diskriminierung und Unterdrückung. Frauen, Lesben, inter- und nichtbinäre Personen sowie Transmänner beteiligten sich mit bunten Aktionen am feministischen Streik. Nachfolgend ein paar Eindrücke aus dem Ruhrgebiet.

8.März, 9.30 Uhr in Oberhausen
Wie jedes Jahr beginnt an diesem Tag um diese Zeit das Internationale Frauenfrühstück. Ausgerichtet wird es vom Kommunalen Integrationszentrum, dem Verein Frauen helfen Frauen e.V. und weiteren KooperationspartnerInnen. In diesem Jahr haben die Organisatorinnen das Motto gewählt: «Frauenstreik – Wofür gehst du auf die Straße?»
Etwa 150 Frauen sind zu der Veranstaltung gekommen, die neben Essen und Getränken auch ein interessantes Programm zu bieten hat. Die Frauen schreiben ihre Forderungen auf Plakate. Spontan brechen sie nach Beendigung der Tagesordnung zu einer Demonstration zur nahe gelegenen Hauptstraße auf.
Mit dabei ist die Gewerkschaft IG BAU. «Respect for Cleaners» – Respekt für Reinigungskräfte – steht auf einem der Transparente. Oberhausen ist eine von insgesamt 35 deutschen Städten, in denen an diesem Tag Aktionen und Demonstrationen von der IG BAU unterstützt werden. Im Vorfeld hat die Gewerkschaft dazu aufgefordert, am 8.März für die Rechte der Frauen zu kämpfen.

Am selben Tag gegen 13 Uhr in Essen
Die Landesbezirksfrauenkonferenz der Gewerkschaft Ver.di hat im Januar mit einer Resolution die regionalen und überregionalen Aktionen unter dem Motto «Frauen*streik» unterstützt und alle Ver.di- Kolleginnen aufgerufen, sich nach Möglichkeit einzubringen.
Die Ver.di-Frauen von Ruhr-West lassen diesen Beschluss praktisch werden. Mit Unterstützung einiger männlicher Kollegen ziehen sie, mit lila Federboas geschmückt, mit Plakaten und Transparent vom Gewerkschaftshaus in die Innenstadt. «Wenn wir Frauen die Arbeit niederlegen, steht die Welt still», ist unter anderem darauf zu lesen.

Um dieselbe Zeit in Oberhausen
Auf der Marktstraße beginnen die Theaterfrauen mit ihrer Streikaktion. Ihr lila Banner mit der Aufschrift «frauen*streik» ist gut zu sehen. Die Frauen tragen lila Kronen. Auf Kunstrasen stehen ein paar Stühle bereit und symbolisieren den Sitzstreik. An ihnen lehnen Plakate. Auf einem steht: «Ich streike für Gleichberechtigung.» Eine Tafel fordert auf zu drei Minuten Stillstand zu jeder vollen Stunde. Zwischendurch gibt es Zuckerwatte und Würstchen – ein Zentrum für Austausch, Reflexion, Fun und Wellness für alle OberhausenerInnen. Zu späterer Stunde folgt ein feministisches Minifestival im Theater, ebenfalls mit Bezug auf den Frauen*streik und unter dem Motto «Bewegung als Widerstand».

Am Nachmittag des 9.März geht das Festival weiter – aber davor steht noch die landesweite Demonstration in Düsseldorf zum Anlass des Internationalen Frauenkampftages an. Es gibt zahlreiche Missstände und Diskriminierungen, und entsprechend lang ist der Forderungskatalog. Der Aufruf zur Demo schließt auch die Forderung nach der Erhaltung der Umwelt ein und richtet sich unter anderem gegen Krieg und Vertreibung sowie gegen Nationalismus und Rassismus. Kurdinnen und Kurden und ihre Forderungen sind auf der Demo sehr präsent.
Am 8.März hat das Wetter noch mitgespielt, aber hier wird es heftig. Regen und ein kräftiger Wind machen die Demo zur Herausforderung, besonders für die, die die Transparente und Fahnen tragen. Trotzdem nehmen etwa 1700 Menschen teil.

In vielen anderen Städten
Oberhausen ist keine Stadt der großen Zahlen. Viele andere sind es auch nicht. Aber auch dort ist einiges passiert. Was es an Aktionen gab am diesjährigen Internationalen Frauentag, ist ermutigend. Es ist nicht möglich, hier eine annähernd vollständige Übersicht zu geben. Nur so viel:
Laut Pressemitteilung des bundesweiten Frauen*streik-Bündnisses waren 25000 Menschen in Berlin auf zwei Demonstrationen, 10000 in Hamburg, über 4000 in Leipzig, 3500 in Frankfurt, 3000 in Köln, 2500 in München sowie 2000 in Freiburg und Kiel. In jeder Stadt habe es große Zugewinne im Vergleich zum vergangenen Jahr gegeben.
Auch viele andere Städte veranstalteten Aktionen und feierten beeindruckende Zahlen. Zitiert wird Henrike Schellong aus Jena: «Mit 500 Teilnehmenden haben wir heute die größte feministische Demonstration erlebt, die wir seit Jahrzehnten hatten. Das zeigt, dass sehr viele genug davon haben, dass Frauen und Queers täglich abgewertet und angegriffen werden. Das gibt uns Mut und Kraft uns der rechten Stimmungsmache in Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen entgegenzustellen.»
Und Mai Dank aus Hamburg: «Es war ein tolles Gefühl, mit so vielen Menschen auf der Straße zu sein und sichtbar zu machen, dass Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen, Lesben, Trans- und Inter-Menschen keine Einzelfälle sind, sondern System haben. Niemand kann nach heute das Problem wegdiskutieren. Wir sind so stark geworden. Und mit der symbolischen Umbenennung des Jungfernstiegs in Sandra-Mariam-Stieg haben wir auch ganz konkret vor Ort ein Zeichen für die Opfer von Femiziden und gegen genderbasierte Gewalt gesetzt.»
Gemeinsam hat die Frauenstreikbewegung auch zentrale Forderungen entwickelt. «Es geht um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um die Streichung der §§218/219a, um die Abschaffung der ärztlichen Gutachtenpflicht zur Anerkennung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Wir fordern eine Ausfinanzierung von Kitas, Frauenhäusern und Beratungsstellen, einen sofortigen Abschiebestopp und gleiche Rechte und ein Leben in Würde für alle», wird Gülay Akyol aus Frankfurt zitiert.
Um trotz aller Unterschiedlichkeit die gemeinsame Stärke nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar zu machen, haben die Teilnehmenden der bundesweit und in anderen Ländern stattfindenden Demonstrationen eine lange Minute lang geschrieen. «Wir werden nicht mehr nur bitten und darauf warten erhört zu werden. Wir werden weiter streiken und kämpfen – bis jede von uns, überall auf der Welt wirklich gleiche Rechte hat. Unsere Wut macht uns stark.»
Ein Anfang ist gemacht. Und was nicht ist, kann noch werden. Die Chancen, dass die Frauen*streikbündnisse auf dem Erreichten aufbauen, stehen gut: Die Nachbereitung des 8.März 2019 geht schon nahtlos in die Vorbereitung des 8.März 2020 über. Und das nicht nur in Oberhausen…

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