von Rebeca Martínez*
Zum zweitenmal hintereinander sind in Spanien am 8.März mehrere Millionen Menschen gegen patriarchalische Gewalt auf die Straße gegangen und haben in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen die Arbeit niedergelegt: die Erwerbsarbeit ebenso wie die Sorgearbeit. Das erste Mal war dies im vergangenen Jahr passiert – schon damals erregte diese Mobilisierung weltweit Aufsehen.
Auch in diesem Jahr wurden in zahlreichen Städten mobile Informationspunkte eingerichtet, Hauptstraßen blockiert, Manifeste verlesen; zur Essenszeit gab es an verschiedenen Stellen der Hauptstadt Madrid Aktionen für das Recht auf Nahrung, gegen Rassismus und gegen prekäre Beschäftigung.
Am Ende des Tages strömten die Frauen an allen Ecken und Enden des Spanischen Staats auf die Straße: in Madrid wurde eine halbe Million «gezählt» (einige sagen, es seien weitaus mehr gewesen), in Barcelona ähnlich viele, in Städten wie Sevilla und Bilbao offiziellen Angaben zufolge jeweils 50.000. Wieviele es wirklich waren, bleibt umstritten, aber alle sind sich einig, dass der spanische Feminismus sein Mobilisierungsniveau nicht nur halten konnte, sondern nochmal kräftig gesteigert, einigenorts sogar verdoppelt hat. Damit bildet diese Bewegung einen scharfen Kontrast zum gleichzeitigen Rechtsruck auf der Wahlebene und dem Aufschwung der extremen Rechten.
Den Kampf um die Köpfe hat die Bewegung auch in diesem Jahr gewonnen. Wieder ist es gelungen, dass alle politischen Kräfte sich zu ihr verhalten mussten. Bestes Beispiel dafür waren Versuche der Rechten, Teile der Bewegung zu vereinnahmen. Die Sprecherin der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, Inés Arrimadas, erklärte sich zur «liberalen Feministin», die die individuellen Rechte der Frauen verteidigt, und zum lebendigen Beispiel für den Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter, da sie Fraktionsvorsitzende der Ciutadans-Fraktion im katalanischen Parlament und die einzige Kandidatin für den Vorsitz der Generalitat ist.
Erklärungen dieser Art zeigen, dass es dem liberalen Feminismus nur um Quoten an den Schaltstellen der Macht geht, was nur 1 Prozent der Frauen zugute kommt. Diesem den Feminismus der 99 Prozent gegenüberzustellen, das war die Herausforderung in diesem Jahr. Er wurde an Hand von vier Schwerpunkten vorgestellt: das Selbstbestimmungsrecht über den Körper, die sozialen Rechte, die Sorgearbeit und die Frage von Grenzen und Migration.
Der Streik
Die Besonderheit des Frauenstreiks liegt darin, dass er Erwerbstätigkeit mit Reproduktionsarbeit verbindet. Historisch war das schon immer so, traditionell ist ihr Ziel, Erwerbsarbeit und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen – sei es durch Verkürzung des Erwerbsarbeitstags, sei es durch Ausweitung des Angebots an Horten und Kindergartenplätzen. Selbst wenn Männer streiken, zeigt sich dieser Zusammenhang. Als die Arbeiter von Coca Cola 2014 in den Streik traten, organisierten sich die Frauen ihrer Familien, um die Bedeutung der Gemeinschaft für die Arbeitskämpfe und die Rolle der Frauen darin hervorzuheben.
In diesem Jahr wurde ein Schwerpunkt auf die Sorgearbeit gelegt. Damit hat die feministische Bewegung dem Streikbegriff nochmals eine neue Wendung gegeben: Denn es ging nicht mehr allein darum, den hierarchischen Charakter der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die ungleiche Verteilung der Aufgaben anzuprangern; es ging auch darum, die Kommerzialisierung der privaten Aspekte des Lebens (Sorge, Muße, Krankheit, Beziehungsarbeit) und die neoliberale Logik dahinter sichtbar zu machen.
Damit konnten reale Fortschritte gemacht werden. Zunächst einmal konnte die Fokussierung auf liberale Forderungen wie die nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und gleichem Zugang zum Arbeitsmarkt überwunden werden; ins Zentrum de Aufmerksamkeit sind die Wurzeln der patriarchalischen Unterdrückung gerückt. Das ist wichtig, um den Vereinnahmungsversuchen durch liberale Kräfte entgegenzutreten. Damit sollte der Widerspruch zwischen Kapital und Leben sichtbar gemacht werden, der unsere Gesellschaft durchzieht und unter dem die lohnabhängigen Klassen am meisten zu leiden haben.
Seinen sichtbarsten Ausdruck findet dieser Widerspruch in der Krise der Pflege und der Kette migrantischer Arbeitskräfte, die sie in Gang setzt. Unter den Bedingungen der Systemkrise des Wohlfahrtsstaats werden Lösungen für die Pflege in zunehmender Privatisierung gesucht, wodurch den Frauen ein doppelter Arbeitstag aufgebürdet wird – im Betrieb und zu Hause. Wenn sie genügend Geld haben, versuchen sie, den Widerspruch dadurch zu lösen, dass sie migrantische Arbeitskräfte zu schlechten Bedingungen beschäftigen.
Mit dem Schwerpunkt auf der Sorgearbeit hat die feministische Bewegung die Bedürfnisse der Person in den Mittelpunkt gestellt, die vom kapitalistischen System missachtet werden. Die Bewahrung des Lebens steht im Widerspruch zur fortwährenden Akkumulation, die Leben zerstört.
Aber es wurden auch andere Fragen angesprochen. Die Manifeste, auf die die Frauen sich in den letzten beiden Jahren geeinigt haben, sind äußerst ehrgeizig und behandeln u.?a. auch das Selbstbestimmungsrecht über den Körper, Fragen der Identität, die Migration… Feministinnen haben verstanden, dass Frauen keine homogene Einheit bilden, ihr Selbstverständnis ist vielmehr zugleich geprägt von anderen Formen der Unterdrückung wie Klasse, Ethnie, sexuelle Identität… Der Bewegung ist es jedoch gelungen, ausgehend von dieser Verschiedenheit eine gemeinsame Agenda zu formulieren. Deswegen kamen in den Aufrufen zum Frauenstreik an prominenter Stelle auch solche Forderungen vor wie die nach Abschaffung der Ausländergesetze, Schließung der Internierungslager für Asylsuchende und Maßnahmen gegen Fremdenhass, Rassismus u.a.
Die größte Herausforderung für die feministische Bewegung wird wahrscheinlich sein, als autonome Kraft fortzubestehen, die eine radikale Veränderung der Gesellschaft anstrebt.
* Quelle: https://vientosur.info/spip.php?article14651.
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