Gespräch mit SAID
Mitte Januar 1979 verließ der Schah des Iran das Land unter dem Druck monatelanger Streiks, die Ende 1978 stattgefunden hatten und die vom Bürgertum wie auch von der Geistlichkeit unterstützt wurden. Zwei Wochen später kehrte der 1964 ins Pariser Exil getriebene Führer der Geistlichkeit, Ayatollah Khomeini, nach Teheran zurück und übernahm alsbald die Macht. Am 1.April wurde die Monarchie per Referendum abgeschafft und durch die neue Staatsform Islamische Republik ersetzt.
Viele linke Oppositionelle strömten in diesen Anfangsmonaten wieder in ihre Heimat zurück, in der Hoffnung, das Land nach ihren Vorstellung neu entwickeln zu können. Doch sie wurden bald enttäuscht.
SAID (Jg. 1947), ein deutsch-iranischer Lyriker und Erzähler, war einer von ihnen. Er sagt: «Im März 1979 gingen mit mir etwa 40000 Leute in den Iran zurück. Sie kamen sowohl aus dem Osten (KP-Anhänger) als auch aus dem Westen. Heute leben 5 Millionen Iraner (von inzwischen 80 Millionen) in verschiedensten Situationen außerhalb des Landes.»
SAID wurde mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet. Er schreibt Lyrik und Prosa, Kinderbücher und Hörbücher und lebt in München. Mit ihm sprach für die SoZ Paul Kleiser.
Was kommt dir in den Sinn, wenn du an den Sturz des Schahregimes und die iranische Revolution denkst?
Als wir im März 1979 in den Iran zurück sind, waren wir ausgehungert, verbrannt, mit großen Erwartungen. Aber ein paar Wochen reichten, um zu kapieren, dass wir das Spiel verloren hatten, dass dort kein Platz für uns Oppositionelle war. Ich war kein Parteimitglied, die Parteimitglieder haben es oft länger ausgehalten, bevor sie geflüchtet sind. Ich bin ganz legal wieder rausgekommen, die Kontrolleure am Flughafen (alte Garde) waren uninteressiert; schon ein paar Wochen später wäre das nicht mehr möglich gewesen. Ich hatte keine Familie dort, das war entscheidend, denn wenn man ins Hotel oder bei Freunden übernachten muss, dann überlegt man sich schnell, was man tun soll. Und Freunde haben bald gesagt: Zu uns kommen kannst du – aber übernachten lieber nicht!
Du sagst also, die Revolution ist schon vor dem Krieg, den der Irak angezettelt hat, in die falsche, also in die von der Khomeini-Führung vorgegebene Richtung gegangen?
Eindeutig ja!
Die Säkularen und Linken schienen doch zu Anfang eine große Bedeutung zu haben?
Sie hatten keine große Bedeutung. Das lag vor allem daran, dass sie keine Konzepte hatten. Die Säkularen, also die Bürgerlichen, die Nationale Front, war kaum im Bazar oder im Volk verwurzelt, und sie hatten nicht den Mumm, gegen Khomeini aufzustehen. Das galt auch für die Linke. Als die Gefängnisse geöffnet wurden, kamen die Vertreter der Mujahedin und Fedayin heraus und der Chef der Mujahedin hielt eine Rede, ich habe sie selbst gehört, in der er sagte: Wir haben heute elf Mitglieder – sie waren also zermürbt bis dorthinaus, beide Gruppen. Sie hatten sich mit dem Regime angelegt, aber auch gegenseitig so geschwächt, dass der lachende Dritte den Sieg davongetragen hat.
Das Hauptproblem war, dass Khomeini klar gesagt hat, was er will; wer nicht mitmachen wollte – raus! Alle haben gekuscht, und das war das Todesurteil für die linken Gruppen. Bei der Tudeh-Partei (KP) kam hinzu: Khomeini ist antiimperialistisch, wir auch, alles andere ist konterrevolutionär.
Die iranische Bourgeoisie hat es als «Klasse für sich» de facto nie gegeben, als Klasse, die ihre Forderungen erhebt und für klare Ziele kämpft. Natürlich gab es einzelne Bourgeois oder reiche Leute, doch sie bildeten keine Klasse. Es gab ein Machtvakuum, was Khomeini mit aller Brutalität ausgenützt hat, sonst hätte er sich nicht an der Macht halten können, denn er hatte keine Mehrheit.
Ich denke, dass der Krieg mit dem Irak wegen des extrem hohen Blutzolls eine große Rolle bei der Niederwerfung der Revolution gespielt hat?
Erstens hat es nach jeder Revolution einen Krieg gegeben. Nach der Oktoberrevolution sind alle eingefallen, sogar die Finnen. Trotzdem haben die Revolutionen – wenn auch verstümmelt – immer gesiegt. Der Krieg hat acht Jahre gedauert und man spricht von Millionen Toten auf beiden Seiten. Der Krieg hat natürlich die Möglichkeit geschaffen, «Säuberungen» durchzuführen, man konnte Unliebsame ja an die Front schicken. Flüchtlinge aus Afghanistan hat man mit Handkuss genommen, denn viele kamen von der Front.
Vorher waren Frauen aus allen Ämtern entfernt worden, nun kamen sie auf den Knien und haben die Frauen gebeten, wieder in der Verwaltung zu arbeiten. Das ist die Grundlage für heutige Entwicklungen, dass Frauen bis hin zu Regierungsämtern eine ganz andere Rolle spielen als in den arabischen Ländern. Der Krieg hat den Weg geebnet für den Aufstieg von Frauen.
Der Krieg hat noch etwas anderes gebracht: Das Gros der Revolutionäre hat am Krieg teilgenommen, und wenn sie überlebten, waren sie Helden. Einige sind im Parlament aufgetreten und haben ihre Narben gezeigt – gegen sie konnte man nichts mehr sagen. Zu den Präsidenten haben sie gesagt: Aber wo warst du im Krieg? Und so ist eine kleine Schicht entstanden, die äußerst aufmüpfig ist und sagt, was Sache ist.
Im Umfeld des Krieges entwickelten sich die Revolutionsgarden (RG), unter Ahmadinejad (Präsident 2005–2013) waren sie das Rückgrat des Regimes und heute sollen sie 60–80 Prozent der Wirtschaft kontrollieren.
Bald nach der Revolution – ich war noch in Teheran – hat man gesagt, wir gründen nun die Revolutionsgarden, damit in diesem Land kein Putsch stattfindet. Tatsächlich hat kein Putsch stattgefunden. Der Krieg gab ihnen die Möglichkeit, heroisch zu kämpfen – was sie auch getan haben, sie wurden damit unverzichtbar. Ihre Zahl ist nicht besonders groß, man spricht von 120000, aber sie konnten immer sagen: Wo wart ihr denn im Krieg?
Sie haben sich an Immobilien herangemacht. Mit spricht von 60 Prozent der Wirtschaft, die sie kontrollieren, aber alle Fahrzeuge und Gebäude – vom Rad bis zum U-Boot, von der Hundehütte zum Krankenhaus – sind Monopolbesitz der RG. Sogar die Laseroperationen der Augen! Sie haben einen eigenen Geheimdienst und können Leute verhaften, verhören und foltern. Heute sind sie die Hauptopposition gegen die USA. Wenn Präsident Rohani etwas sagt, gibt es wenig später eine Antwort des Chefs oder Vizechefs der RG. Als die USA die RG auf die Liste der «Terrororganisationen» gesetzt haben, meinte der Chef: Da können wir noch eine ganz andere Liste von Terrororganisationen aufstellen! Diese Liste führt höchstens zur Radikalisierung von Garden außerhalb des Irans, etwa im Jemen oder in Syrien. Die Gefahr besteht, dass die RG irgendwie an die Macht kommen.
Welche Rolle spielt das Parlament?
Seit der Islamischen Revolution 1979 ist dieses Parlament nicht angefasst worden! Die Parlamentarier haben alle überlebt, obwohl sie sich teilweise tagtäglich von ihren Familien verabschiedet haben. Aber man hat ihre Immunität respektiert. Sie können den Präsidenten vor das Parlament zitieren, und vom letzten Kabinett haben sie mehrere Minister abgelehnt. Eine davon war eine stockreligiöse Frau, die Gesundheitsministerin werden sollte, aber das Parlament hat gesagt, sie sei eine schlechte Wahl – abgelehnt. Die Parlamentarier können offen reden, es gibt dort sogar Schlägereien, was beweist, dass unterschiedliche Meinungen vorhanden sind.
Aber jedes Gesetz, das durch das Parlament geht, muss vom «Wächterrat» gegengezeichnet werden. Der Rat wird zur Hälfte vom Parlament und zur anderen Hälfte vom Religionsführer ernannt. Im Parlament kann man frei reden, und ich bin froh, dass im Gegensatz zu den anderen Ländern des Nahen Ostens das Parlament niemals angefasst worden ist. Immerhin gibt es heute 13 Frauen unter den 300 Abgeordneten, anfänglich waren es zwei. Sie gehören verschiedenen Fraktionen an, sind jedoch sehr tough! Ein Parlamentarier hatte frauenfeindliche Äußerungen getan, und die Frauen beantragten erfolgreich die Aufhebung seiner Immunität. Das Parlament hat wenig Macht, aber wichtig ist, dass es da ist und man dort frei reden kann!
Die Lebenserwartung lag 1970 und 1980 bei jeweils rund 52 Jahren. Inzwischen ist sie auf 76 Jahre angestiegen, fünf Jahre mehr als in Ägypten. Insofern kann man von erheblichen wirtschaftlichen Erfolgen des Regimes reden. Wie ist das möglich angesichts von Sanktionen und Handelshemmnissen? Wie schätzt du die mittelfristige Stabilität des Regimes ein?
Die Religiösen sorgen für eine gewisse soziale Gerechtigkeit. Alle Iraner haben heute eine Krankenversicherung, das gab es vorher nie. Natürlich sind die Krankenhäuser öfters in einem schlechten Zustand. Allerdings nehmen auch Zivilisationserkrankungen wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen rasant zu. Doch das Regime gewährt eine Basisversorgung. Auch der Analphabetismus ist fast verschwunden. Der Mullah denkt wie folgt: Die Leute müssen gehorchen, wir sorgen für Wohlstand. Bis in die entlegendsten Dörfer haben sie Grundschulen gebaut. Akademiker sind ihnen per se unangenehm, Millionen von ihnen sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Und 60 Prozent aller Studierenden sind inzwischen Frauen. Früher mussten sie bei einer Ärztin die Jungfräulichkeitsprüfung ablegen, inzwischen sind solche Dinge wegen des sozialen Drucks abgeschafft. Außerdem gibt es Millionen Handys und Internetzugänge, sodass man weiß, was in anderen Ländern passiert.
Viele Autorinnen und Autoren gehen nicht mehr zur Zensurbehörde, sondern schicken ihre Texte per E-Mail in europäische Länder, in der Hoffnung, dass sie dort gelesen und gedruckt werden. Bücher sind unglaublich teuer geworden, weil es ein Papiermonopol des Staates gibt. Vor allem seit der Präsidentschaft von Ahmadinejad hat sich die Lage der Literatur verschlimmert.
Welche Folgen hat die Kündigung des Atomabkommens durch die USA?
Die Atombehörde (wie auch die UNO) wiederholt einmal im Monat, dass der Iran sich an das Abkommen gehalten hat. Das meinen auch die Europäer, nur Mister Trump ist anderer Meinung. Er, wie Pompeo und Bolton, sagen unisono: Wir möchten kein anderes Regime, es soll sich nur anders verhalten. Es gibt Gerüchte, dass hinter den Kulissen Verhandlungen laufen, auch wegen Syrien oder dem Jemen. Nicht mit Außenminister Sarif, der in Ungnade gefallen ist, sondern mit Sendboten von Khamenei. Ich glaube, dass beide Seiten sich schließlich einigen werden und jede dann behauptet, Sieger zu sein.
Wahrscheinlich wird sich der Iran aus Syrien zurückziehen. Die Stimmung im Land ist gegen den Einsatz in Syrien. Es gibt Demos, auf denen gerufen wird: Wir wollen Brot hier und nicht in Syrien kämpfen. Ich glaube, dass es mittelfristig nur um die Form geht, die allen Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren.
Wer möchte einen Sturz des Regimes? Weder die Russen noch die Amerikaner – und die Chinesen schon zweimal nicht. Auch braucht man den Iran zur Stabilisierung von Afghanistan.
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