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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2019
In der EU für Fortschritte kämpfen
von Catherine Samary, Angela Klein

Seit den traumatischen Erfahrungen in Griechenland diskutiert die radikale Linke in Europa über einen Plan B, ohne einen Konsens zu erreichen. Das Referendum über den Brexit in Großbritannien ist ein bitteres Beispiel dafür. Auch hier ist es der antirassistischen und Anti-EU-Linken nicht gelungen, einen glaubwürdigen Weg zu einer Alternative zur EU aufzuzeigen. Dabei beeinflussen sowohl das Vertragswerk der EU wie auch die europäische Politik der Einzelstaaten das Kräfteverhältnis auf nationaler wie auf internationaler Ebene ganz erheblich. Ist es da nicht an der Zeit, ein plurales, aufständisches Europa sichtbar zu machen, das die herrschenden Institutionen und ihre Politik in Frage stellt und gleichzeitig – gestützt auf Massenmobilisierungen – einen ge­mein­sa­men alternativen politischen Raum innerhalb und außerhalb der EU und gegen diese aufbaut?

Das Nein der Griechen war ein Ausdruck der Opposition gegen den x-ten Austeritätsplan, den die Eurogruppe verlangt hatte. Es war kein Votum für einen Austritt aus dem Euro, noch weniger aus der EU. Die Kapitulation von Syriza ist aber auch kein Beweis dafür, dass die einzige Alternative der Austritt aus dem Euro oder der EU gewesen wä­re. Wer das abgelehnt hat, konnte auch an­dere Gründe haben als die schlichte Bejahung der EU oder die Illusion, dass es möglich sei, sie zu reformieren, ohne die Verträge in Frage zu stellen. Und es wird auch immer wieder vergessen, dass die Vorstufe zur Kapitulation vor der Troika die vor der einheimischen herrschenden Klasse war – sichtbar an der Belassung des Zentralbankpräsidenten Stournaras im Amt.
Verschiedentlich wurden vor und nach dem Nein Vorschläge für einseitigen Ungehorsam gegenüber der Troika gemacht, die den Austritt aus dem Euro nicht zur Vorbedingung machten: vor allem den, die Bedienung der Schulden auszusetzen, einen die Öffentlichkeit mobilisierenden Schuldenaudit durchzuführen, die Banken zu verstaatlichen und Kapitalverkehrskontrollen sowie eine Parallelwährung einzuführen, die die Versorgung der Bevölkerung mit Grundlebensmitteln gewährleistet hätte.
Tatsächlich konnte die Eurogruppe das grie­chische Nein nicht tolerieren, weil es ein Signal an die Bevölkerungen, vor allem in Frankreich, gewesen wäre, es den Griechen gleichzutun. Und auch den Herrschenden in Deutschland wäre ein Beharren auf dem Nein gefährlich geworden, wenn die Führung von Syriza sich an die Bevölkerungen Europas statt an Hollande und Merkel ge­wandt hätte.

Der Brexit wiederum ist kein Beweis dafür, dass ein Ausstieg aus der EU eine Vorstufe für den Ausstieg aus der neoliberalen Politik der Austerität, der Privatisierungen und des «freien und uneingeschränkten Wettbewerbs» wäre. Er war alles andere als ein Klassenvotum, vielmehr Ausdruck einer vielfachen Spaltung der britischen Gesellschaft: Für den Brexit stimmte die Mehrheit in England und Wales, nicht aber in Schottland und Nordirland; die Mehrheit der Älteren, aber nicht der Jüngeren; er fand große Zustimmung unter englischen Arbeitern, aber eine noch größere Ablehnung unter migrantischen Arbeitern von innerhalb und außerhalb der EU. 63 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung haben nicht für den Austritt gestimmt.
Sicher war die Stimme für den Brexit auch als Ohrfeige für die EU und ihre Erweiterungspolitik gedacht, aber ihr Tenor war nicht internationalistisch, drückte nicht Solidarität mit den Bürgern nichtbritischen Ursprungs aus, sondern deren Ablehnung.
Eine euphorische Sichtweise von der Fragmentierung der EU geht von der Annahme aus: Wenn erst einmal der Austritt aus der EU bewerkstelligt ist, sind die Kampfbedingungen für die Linke einfacher. Dann käme in London ein linksgeführte Labour-Party an die Regierung mit Corbyn an der Spitze. Ob dies allerdings so kommt, steht in den Sternen. Die Wahrheit ist, dass nicht nur die To­ries, sondern auch Labour in der Haltung zur EU gespalten ist. Dass die Labour Party mit den Konservativen in einer so zentralen Fra­ge eine große Koalition eingeht, weckt je­denfalls erhebliche Zweifel an ihrer Bereitschaft, sich mit der Finanzindustrie, na­ment­lich der Londoner City, wirklich anzulegen.
Dass Labour Frau May den Arsch rettet, wird der Partei nicht zum Vorteil gereichen. Seit Anfang April, seitdem May umgeschwenkt ist auf den Kurs, ihren Brexit mit Labour statt mit den Hardlinern in den eigenen Reihen durchs Parlament zu bringen, führt Labour in den wöchentlichen Meinungsumfragen zur «Sonntagsfrage». Aber nicht, weil die Werte von Labour nennenswert gestiegen wären, sondern weil die der Tories dramatisch gefallen sind – zugunsten eines steilen Aufstiegs von UKIP. Wie sich das bei dem Mehrheitswahlrecht, das in Großbritannien herrscht, in Sitzen auswirken wür­de, ist offen.
Solange May nach rechtsaußen geschaut hat, konnte Corbyn sie der Unfähigkeit be­zichtigen und Neuwahlen fordern. Wenn er nun an dem Deal mitstrickt, wird das viel schwieriger, dann legitimiert er May ein stückweit. Die Neuwahlen, auf die Corbyn ebenso wie die Lexit-Linke setzen, rücken dann in weite Ferne. Wenn Corbyn um der Einheit seiner Partei willen ein Referendum über das mit May ausgehandelte Ergebnis durchsetzt, riskiert dieses wiedrum, völlig durch den Rost zu fallen. Denn seit März 2017 ergeben Meinungsumfragen stabil steigend höhere Werte für den Verbleib als für den Austritt.
Das Problem ist, dass Labour – wie auch die radikale Linke – es nicht vermocht hat, die Arbeiterklasse hinter einem Nein zur EU zu ei­nen, das zugleich klassenpolitisch und in­ternationalistisch geprägt ist. Sie hat sich von den Rechten den Rahmen diktieren lassen, in dem eine EU-kritische Diskussion ge­führt wird. Somit bleibt ihr nur die Entscheidung zwischen schlechten Alternativen – ein linkes Profil ist in dieser ganzen Aus­ein­an­der­setzung nicht sichtbar geworden. Der Brexit hat damit auch eine Mauer zwischen den internationalistischen Teilen des Lexit und denen errichtet, die im Lager des Re­main nicht für diese EU, sondern für ein an­de­res Europa geworben haben. Ihr ge­­mein­samer Kampf gegen die herrschenden Kapitalfraktionen und die extreme Rechte innerhalb Großbritanniens wie auch innerhalb der EU ist dadurch erschwert worden, und hat nicht zu einer Klärung der Differenzen ge­führt.

Mit Konservativen und Rechten kann es keinen linken Austritt aus der EU geben; fremdenfeindliche und rassistische Positionen stehen in diametralem Widerspruch zu dem, was Linke wollen. Die falsche Alternative «Nationalstaat oder EU?» muss zurückgewiesen und der Kampf für soziale und demokratische Rechte auf allen Ebenen in dem Mittelpunkt gestellt werden.
In Zeiten der umfassenden Digitalisierung kann die Linke sich nicht darauf beschränken, Lösungen im nationalstaatlichen Rahmen zu finden, sie muss auch Vorstellungen über transnationale Solidarität und Kooperation entwickeln. Die Europäisierung und Transnationalisierung der Klassenkämpfe ist eine wichtige Vorbedingung dafür, dass die Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen auch auf europäischer Ebene handlungsfähig werden. Ein anderes Europa braucht eu­ropäische Bewegung!
Dass die EU nicht reformierbar ist, ist richtig. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es keinen Sinn macht, auch innerhalb der EU für Fortschritte zu kämpfen – genausowenig wie man aus der Ablehnung des bürgerlichen Staates ableiten kann, dass es keinen Sinn machen würde, Forderungen an diesen Staat zu stellen.

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