Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2019
Offener Brief an den Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo e.V.
von Helmut Wendler

Werte Vereinsmitglieder,
vor 35 Jahren, im Jahr 1984, wurde in Köln die Nicaragua-Solidaritätsbewegung ins Leben gerufen. Zunächst aus Anlass des Todes unseres Freundes und Wahlkölners Enrique Schmidt Cuadra in Form der Nicaragua-Koordination-Köln, die später im Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo e.V seine Fortsetzung fand.
Ich war Gründungsmitglied beider Organisationen und lange sowohl Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins als auch hauptamtlicher Mitarbeiter. Ich gehöre der Solidaritätsbewegung seit diesen 35 Jahren an und war im Verein 18 Jahre ununterbrochen tätig. Meine Mitstreiter und Mitstreiterinnen und ich sahen in der Koordination und in dem Verein von Beginn an ein politisches Projekt zur Unterstützung der nicaraguanischen Revolution, angeführt von der FSLN (Sandinistische Befreiungsfront), die sich gegen die barbarische Somoza-Diktatur wendete und für ein freies, solidarisches Nicaragua kämpfte. Die weltweite Solidaritätsbewegung hatte sich als wirkungsvolle Unterstützung des Kampfes der Sandinisten für den Aufbau von Städtepartnerschaften mit Städten in Nicaragua entschieden. So auch in Köln. Die Städtepartnerschaft wurde 1988 vom Rat der Stadt Köln, vor 31 Jahren, unter Leitung des damaligen Oberbürgermeisters Norbert Burger beschlossen. Die erste Kölner Städtepartnerschaft «von unten», aus der Zivilgesellschaft.
Damit wollten und haben wir ein Zeichen gesetzt gegen Gewaltherrschaft und Unterdrückung. Für ein freies und solidarisches Nicaragua. Für das Projekt des «Neuen Menschen», wie die Losung der internationalen Solidaritätsbewegung lautete.
Heute bin ich, angesichts der menschenrechtsverletzenden Lage in Nicaragua durch die Regierung Ortega/Murlillo, die als einstige Führer der Revolution aus reinem Machterhalt alle Ideale der Revolution verraten haben, der Meinung, dass wir erneut ein Zeichen setzen müssen!
Aus diesem Grund habe ich der ordentlichen Jahreshauptversammlung des Städtepartner-schaftsvereins am 15.März 2019 folgenden Antrag zur Beschlussfassung vorgelegt:

Antrag zur Beschlussfassung auf der Mitgliederversammlung am 15.3.2019
«Angesichts der politischen Situation in Nicaragua, die gekennzeichnet ist von schwersten Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung des Clans um Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo (Präsident und Vizepräsidentin), durch Mordaufträge des Regimes an Milizen und Paramilitärs, durch Verfolgung von Oppositionellen aller Art, von Bauern, Jugendlichen, Studenten, Naturschützern, durch hunderte Ermordete und Inhaftierte, Verschwundene und Verfolgte, fasst die Mitgliederversammlung des Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo e.V. folgenden Beschluss:
Der Städtepartnerschaftsverein unterhält in Zukunft nur Kontakte zu Nichtregierungsorga-nisationen (NGOs) und Gruppen und Organisationen der Zivilgesellschaft. Nur mit diesen Gliederungen werden bestehende Projekte weitergeführt und neue Projekte geplant und realisiert.
Dazu zählen zur Zeit
– das Zirkusprojekt Somos/Colorinto,
– das Projekt Centro de Menores,
– das Projekt Schüleraustausch Kerpen–Corinto,
– das Projekt Mangrovenschutz (insoweit es sich um ein NGO-Projekt handelt).
Alle offiziellen und inoffiziellen Kontakte und Projekte, die mit amtlichen Organen auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene betrieben werden, sind bis auf weiteres zu unterlassen. Kommunale Institutionen wie Bürgermeistereien und Kommunalverwaltungen sind Vollzugsorgane der Regierung auf untergeordneter Ebene. Politisch wiegt das umso schwerer, wenn die örtlichen Autoritäten der gleichen Partei wie die Ortega-Clique angehören und deshalb als örtliche Vollzugsleute des Unrechtsregimes zu betrachten sind. Wer der Ortega/Murillo-Clique folgt, die die FSLN auf schändliche Weise für die Sicherung ihrer Machtinteressen missbraucht hat, macht sich an den Verbrechen mitschuldig, die Nicaragua erlebte und die immer noch täglich geschehen.
Das Aussetzen der Zusammenarbeit mit staatlichen Organen auf allen Ebenen gilt so lange, bis sich die Menschenrechtslage in Nicaragua grundlegend verbessert hat.»
Mein Antrag wurde auf der schwach besuchten Mitgliederversammlung mehrheitlich abgelehnt. Der Vorstand legte einen Gegenantrag vor, in dem es heißt, dass anlässlich einer Reise des Vorstands und sonstiger Partner nach Corinto/El Realejo im April diesen Jahres die Situation neu bewertet werden soll. Weiter heißt es: «Momentan gehen wir davon aus, dass die Zusammenarbeit mit den bisherigen Partnern in Corinto auf der erreichten Vertrauensbasis fortgesetzt werden soll.» In einem Protokoll eines nationalen Vernetzungstreffens vom 9.2.2019 in Bielefeld erklärt ein Vertreter des Kölner Vereins: «Die Projekte und die Zusammenarbeit mit der Alcaldia werden nicht beendet.»

Damit setzt der Verein meiner Ansicht nach ein falsches Zeichen!

Ich möchte nicht mit dem opportunistischen Verhalten des Städtepartnerschaftsvereins gegenüber den staatlichen Organen des Unrechtsregimes in Nicaragua identifiziert werden. Es ist wohlfeil hier wortgewaltige Resolutionen gegen das Unrecht in Nicaragua zu unterzeichnen, um dann in der praktischen Zusammenarbeit mit den offiziellen Vertretern vor Ort den Schongang einzulegen. Es darf nicht zweierlei Wahrheiten geben! Ich habe deshalb auf der Mitgliederversammlung des Vereins am 15.3.2019 meinen Austritt aus dem Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo e.V. mit sofortiger Wirkung erklärt.

Mit solidarischen Grüßen für ein freies Nicaragua

Helmut Wendler
Köln, 20.März 2019

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