von Axel Köhler-Schnura
Die langjährigen Protest- und Widerstandsaktionen bei Bayer mündeten auf der Hauptversammlung 2019 in eine historische Premiere: 55,5 Prozent aller anwesenden Aktionäre stimmten gegen den Antrag des Vorstands auf Entlastung. Vor der Hauptversammlung beteiligten sich 800 Menschen an einer Kundgebung; etwa 500 Jugendliche demonstrierten durch Bonn gegen Bayer.
Bei der Bayer-Hauptversammlung am 26.April 2019 in Bonn prallten Welten aufeinander – auf der Straße, aber auch im Saal. Einerseits gab es lautstarke Demonstrationen für Gerechtigkeit und Umweltschutz, andererseits sahen die Bayer-AktionärInnen ihre Aktien und Dividenden in Gefahr. Und schließlich war da das vom Profit geblendete Bayer-Management mit Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden, die beide an Stur- und Uneinsichtigkeit nicht zu übertreffen waren.
Kritik – massiv wie nie zuvor
Eine so massive Kritik wie am 26.April hat es noch auf keiner Bayer-Hauptversammlung gegeben. Zwischen KleinaktionärInnen, Finanzkapital und Zivilgesellschaft hatte sich unglaublicherweise ein Bündnis gebildet. Prangerte der zivilgesellschaftliche Protest die für Mensch und Umwelt ruinöse Geschäftspolitik an, war das Finanzkapital hochgradig erzürnt, weil Gewinn und Rendite in den Keller gehen und sogar Konkursrisiken auftauchen.
Diese Gemengelage ist deshalb besonders bemerkenswert, weil der Chemieriese aus Leverkusen ohnehin der einzige Konzern weltweit ist, der keine Hauptversammlung im üblichen Sinn mehr durchführen kann, da das 1978 auf Grund von Unfällen in Bayer-Werken von AnwohnerInnen gegründete internationale, ehrenamtliche und aus Spenden finanzierte Netzwerk Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) den Konzern rund um den Globus auf gesellschaftliche und umweltrelevante Themen hin prüft. Das Netzwerk organisiert Jahr für Jahr Proteste auf den Bayer-Hauptversammlungen und ist für die Mehrheit der Redebeiträge verantwortlich. Hauptforderungen der CBG sind die Verwendung der Gewinne für die Sicherung der Arbeitsplätze, den Umweltschutz, die Entschädigung der Opfer der Bayer-Geschäftstätigkeit sowie die Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat wegen der Verantwortung dieser Gremien für jährlich neue Skandale und Verbrechen. Bei Wahlen zum Aufsichtsrat stellt die CBG eigene KandidatInnen auf.
«Schmutzigste Firma der Welt»
2016 gab Bayer seine Pläne zur Übernahme des Monsanto-Konzerns, der «schmutzigsten Firma der Welt», bekannt. Zu diesem Zeitpunkt hatten zivilgesellschaftliche AktivistInnen zum Internationalen Monsanto-Tribunal in Den Haag eingeladen, um vor einer hochkarätig besetzten Jury aus internationalen JuristInnen den Konzern des Ökozids anzuklagen. Daraus formierte sich internationaler Protest gegen «Baysanto». 2017 lud die CBG die weltweite Monsanto-Protestbewegung ein, zur Bayer-Hauptversammlung nach Deutschland zu kommen.
Der Bayer-Konzern stellt sich als sauber dar, doch schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde der damalige Konzernchef Carl Duisberg als Kriegsverbrecher angeklagt. Der Konzern hatte die chemischen Kampfstoffe entwickelt und setzte deren Einsatz rücksichtslos auf den Kriegsschauplätzen durch. Das hochgepriesene Bayer-Pharmageschäft hat sein Fundament in der als Fiebermedikament angepriesenen Droge Heroin. Bis heute haben Bayer-Medikamente zahllose Todesfälle verursacht. Darüber hat der Pestizidmarkt verheerende Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt und auch auf die Menschen.
Schlimmer geht immer!
Trotz aller Vorwarnungen wurde der Monsanto-Konzern gekauft. Dabei blickten der Bayer-Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning und sein Adlatus, der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann, einzig auf die sprudelnde Profitquelle des Monsanto-Pestizids Glyphosat. Dass Monsanto der einzige Konzern der Welt war, gegen den an einem jährlichen weltweiten Protesttag Hunderte Demonstrationen in unzähligen Ländern stattfinden, wurde mit der Arroganz des Kapitals schlichtweg als Quatsch abgetan.
Im Herbst 2018 brach die Protestlawine los: Monsanto-Glyphosat-Geschädigte fordern Schadenersatz, aktuell sind 13.000 Klagen anhängig. Schon seit 2017 strauchelt die Bayer-Aktie, seither sinkt sie noch massiver: War sie vor dem Monsanto-Deal noch über 140 Euro wert, so beträgt dieser heute rund 60 Euro [inzwischen nach Verhängung einer 2-Milliarden-Dollar Strafe in den USA nur noch 55 Euro]. Das versetzte sowohl die traditionellen Klein- und Großaktionäre als auch die Finanzkonzerne der Ultrareichen wie Blackrock in Aufruhr. Zudem traten unkalkulierbare Risiken für den Fortbestand des Bayer-Konzerns auf.
Jugend gegen Bayer
An der traditionellen Kundgebung der CBG, von Attac und Misereor gesellten sich am 26.April in Bonn auch rund 500 SchülerInnen des Klimabündnisses Fridays for Future.
Drinnen platzte die Versammlung aus allen Nähten, wegen des Andrangs erboster AktionärInnen wurde ein zweiter Saal geöffnet. Die Redeliste wurde bereits mittags wegen des großen Andrangs geschlossen, die Redezeit auf drei Minuten reduziert. Von 64 RednerInnen waren 35 zivilgesellschaftliche KritikerInnen. Auch die traditionellen Aktionäre und Großaktionäre wie Blackrock sowie Investmentfonds lasen dem Konzern die Leviten ob der «beispiellosen Wert- und Kapitalvernichtung». Da half auch das Loblied zweier Vorzeigebetriebsräte nichts, die geflissentlich die geplante Vernichtung von 12.000 und mehr Arbeitsplätzen ausblendeten.
400 KleinaktionärInnen haben der CBG ihre Aktienstimmrechte übertragen. So ermöglichte die CBG den Betroffenen aus aller Welt, sich mit ihren Anliegen direkt an das Management und die BesitzerInnen des Bayer-Konzerns zu wenden. Ihnen ging es dabei nicht um Gewinn und Profit, sondern um «sichere Arbeitsplätze und Umweltschutz», um die Zukunft des Planeten, um Frieden, Gerechtigkeit und eine intakte Umwelt. Mit einer endlos langen Liste von Fakten aus dem letzten Geschäftsjahr untermauerten sie ihre Fragen an das Bayer-Management.
Ehemalige Heimkinder, die von den 50er Jahren bis in die 70er Jahre Menschenversuchen mit Bayer-Medikamenten ausgesetzt worden waren, und denen Bayer im abgelaufenen Geschäftsjahr schroff die kalte Schulter zeigte, forderten Entschädigung. Die 35 Konzernkritiker (so viel wie noch nie), darunter auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, junge VertreterInnen von Fridays for Future sowie internationale Kritiker thematisierten die Monsanto-Übernahme, Glyphosat, doppelte Standards, Risiken und Nebenwirkungen von Bayer-Medikamenten und das Bienensterben. Unter den Kritikern machten Sarah Schneider von Misereor und Lena Michelsen von Inkota auf die Kleinbauern in Lateinamerika und Afrika aufmerksam. Vor allem kamen die zahlreichen anderen negativen Folgen des Desaster-Deals reichlich zur Sprache.
Kein Wunder dass die Hauptversammlung rund 13 Stunden dauerte.
Aufsichtsratschef Werner Wenning und Vorstandsvorsitzender Werner Baumann reagierten auf alle Kritik gleichermaßen mit Leerformeln und Stereotypen: Die krebsschädigende Wirkung von Glyphosat sei nicht nachgewiesen, Bayer stünde bestens da, die Bienen würden nicht sterben, die Zahl der Bienenvölker sei im Gegenteil massiv gestiegen.
Und so kam es wie es kommen musste: Die Aktionäre verweigerten dem Vorstand mehrheitlich die Entlastung, auch der Aufsichtsrat schrammte nur knapp an einer Verweigerung der Entlastung vorbei – trotzdem steht er geschlossen hinter dem Bayer-Vorstand.
Angesichts der ereignisreichen Versammlung war die ausführliche Berichterstattung kein Wunder. In den Schlagzeilen wurden Begriffe wie Rebellion, Ohrfeige, Scherbenhaufen und Abreibung verwendet.
Weiter Gewinne für Aktionäre
Das Grundkapital des Bayer-Konzerns beträgt etwa 2,4 Mrd. Euro. Es ist eingeteilt in rund 932 Millionen Aktien. Der Bayer-Konzern machte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 39,6 Mrd. Euro und einen bereinigten Gewinn von 9,5 Mrd. Euro. Das entspricht 24 Prozent des Umsatzes und fast 400 Prozent des Grundkapitals. Nach Steuern und nach sogenannten Sondereffekten wohlgemerkt!
Rund 2,6 Mrd. Euro des Gewinns wurden an die rund 383000 Aktionäre ausgeschüttet. Eine Bayer-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital in Höhe von 2,56 Euro. Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapitalrendite von sage und schreibe 109,4 Prozent. Um in der Öffentlichkeit diese Maßlosigkeit zu verschleiern, berechnen Bayer und den Wirtschaftsmedien die Dividende meist auf den jeweils aktuellen Kurswert der Bayer-Aktie. Aktuell liegt der Kaufwert der Aktie an der Börse bei etwa 60 Euro. Damit fällt die Dividende – Hokuspokus – auf lediglich 4,7 Prozent.
Bemerkenswerte Allianzen
Wichtig ist auch festzustellen, dass Abstimmungen auf Aktionärshauptversammlungen der Konzerne von wenigen Großaktionären (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) bestimmt werden. Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien. Die mehreren hunderttausend Kleinaktionäre bei Bayer besitzen zusammen lediglich 5–10 Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich waren die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen Aktionäre der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) hatten alternative Anträge zur Gewinnverteilung, zur Entlastung und zur Wahl gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wurde deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands. Allerdings ist zu beachten, dass die verheerenden negativen Auswirkungen der Monsanto-Übernahme und die massive internationale Kritik im Hinblick auf die vielen anderen Verbrechen an Mensch und Umwelt zu einer gefährlichen wirtschaftlichen Lage von Bayer geführt haben. Deshalb bildete sich bei dieser Hauptversammlung eine bemerkenswerte Allianz aus den ökologisch, sozial und politisch motivierten Kritischen Aktionären, insbesondere der CBG und des Dachverbands der Kritischen Aktionäre, zahlreichen Großaktionären (darunter Finanzkonzerne wie Blackrock) sowie traditionellen Kleinaktionären, die um den Wert ihrer Aktien fürchteten. Im Ergebnis führte das zur historisch einmaligen Nicht-Entlastung des Vorstands.
Ohne Organisationen wie Colabora, INKOTA, der Partei DIE LINKE, Misereor, den Grünen, Attac, Bonner Jugendbündnis, Dachverband der Kritischen Aktionäre, kollektiv tonali, Monsanto-Tribunal, Initiative RisikoPille, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Netzwerk Duogynon, Food International Action Network (FIAN), Deutscher Berufs- und Erwerbs-Imker-Bund, Meine Landwirtschaft, Honig-Connection, SumOfUs, Slowfood, International Federation of Organic Agriculture Movement (IFOAM), Meine Landwirtschaft, Fridays for Future, Südwind und vielen anderen wäre das nicht möglich gewesen. Das Projekt «Konzern-Wende» kann die CBG nach diesem historischen Tag jedenfalls gestärkt angehen.
Vor dem aktuellen Hintergrund lässt sich ermessen, was es bedeutet, wenn die CBG seit 1983 Jahr für Jahr bei den Hauptversammlungen des Bayer-Konzerns im Bündnis mit Menschen und Organisationen aus aller Welt mit Protest und Kritik präsent ist, die immer schamloseren Bayer-Profite aufgedeckt und die Verantwortlichen im Konzern mit den für Mensch und Umwelt verheerenden Folgen ihrer rücksichtslosen Geschäftstätigkeit konfrontiert.
Von der SoZ-Redaktion gekürzt. In voller Länge ist der Beitrag auf www.CBGnetwork.org nachlesbar. Nach den Aktionen und den Protesten ist die Kasse von CBG leer. Spenden und Fördermitgliedschaften würden helfen. Informationen dazu auf der Webseite.
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