Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2019
Nützliche Handlangerdienste für reaktionäre Entwicklungen
von Hermann Dierkes*

Die Bundestagsdebatte zur Verurteilung der BDS-Kampagne hatte mit Argumenten nichts zu tun, sie waren ein Wust von Textbausteinen aus Lügen, Verleumdungen, Ignoranz, Heuchelei, völker- und menschenrechtswidrigen Positionen. Die AfD forderte sogar das Verbot von BDS und behauptete, der Antisemitismus komme von links und vom Islam!
Die Linksfraktion lag mit ihrem Antrag in allen Kernfragen – selbst mit den üblichen Lippenbekenntnissen zugunsten der Palästinenser – auf Mehrheitslinie. Dafür hätte es keines eigenen Antrags bedurft. Als einzige Rednerin tanzte Heike Hänsel von der LINKEN aus der Reihe. Auch sie verurteilte zwar BDS, bezog sich ansonsten aber nicht auf den unsäglichen Antragstext der LINKEN. Sie sprach zu Recht die fatalen Auswirkungen an, die die Mehrheitsentschließung für die öffentliche Meinungsbildung und ungehinderte Diskussion über die israelische Politik und Menschenrechtsarbeit nach sich zieht. Davon steht im Antragstext der Linksfraktion keine Silbe! Sie sprach die Kritik von über 60 israelischen Intellektuellen an, die eine Verurteilung von BDS als antidemokratisch bezeichnet hatten. Auch davon im Antrag der Linksfraktion kein Wort. Zur Abstimmung stand aber nicht die Rede von H.Hänsel, sondern der unsägliche Eigenantrag, dem die Abgeordneten der LINKEN zustimmten!
Leider setzt die LINKE damit ihren seit zehn Jahren eingeschlagenen, linker Programmatik hohnsprechenden Kurs fort. Im Namen der Menschheitsverbrechen der Nazis ist auch für sie «Solidarität mit Israel» Staatsräson. Den antifaschistischen Grundsatz «Nie wieder – nirgendwo und gegen niemanden» hat sie aufgegeben. Das einmal begonnene Schreddern linker Programmatik hat die Konsequenz der schiefen Ebene: Man rutscht, und zwar immer schneller.
Hervorragende Journalisten wie Amira Hass, Gideon Levy, Politiker der israelischen Linken, die Koordination der Palästina-Solidarität, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (Trägerin des Göttinger Friedenspreises), das Nationalkomitee BDS und Menschen aus aller Welt, die sich für die Rechte des palästinensischen Volkes einsetzen (ohne dass sie alle BDS unterstützen) und die allesamt Recht und Gerechtigkeit noch von bedingungsloser Israel-Besoffenheit unterscheiden können, haben die Anti-BDS-Position (des gesamten Bundestags) in bewegenden Worten verurteilt. Gerade viele jüdische Stimmen werfen den Bundestagsparteien vor, dass sie sich in Wahrheit gar nicht gegen Judenhass und Rassismus wenden, dass sie die Meinungsverschiedenheiten in Israel und unter den jüdischen Mitmenschen weltweit nicht reflektieren, sondern eine staatliche Apartheid-Politik unterstützen. Eine Politik, die zudem noch eifrig an einer reaktionären Frontbildung weltweit beteiligt ist und vorgibt, im Namen aller Juden zu sprechen und zu handeln. Ein israelischer Freund schrieb mir: «Ich unterstütze BDS – mehr denn je. Im selben Gebäude, in dem damals die Gesetze beschlossen wurden, die meine Großeltern zur Flucht zwangen und die den Mord an Millionen Menschen vorbereiteten, wurde … beschlossen, dass ich Antisemit bin.»
In keinem der Antragstexte wird auf die reale Lage der Palästinenser Bezug genommen. Nur eine kurze Aufzählung der üblichen Verbrechen gegen sie wären schlagende Argumente dagegen, BDS als «antisemitisch» zu verurteilen. BDS ist Notwehr eines Volkes, das seiner elementaren Rechte beraubt wird. Die Berechtigung für BDS ist völkerrechtlich verbürgt. Boykott ist ein Kampfmittel, das seinen Ursprung in Irland hat und nicht von den Nazis erfunden wurde. Die entscheidende Frage ist, wer und zu welchem Zweck jemand dazu aufruft.
Ich selbst habe in Haifa ein Plakat aus der Gründerzeit Israels gesehen, das zum Boykott gegen arabische Geschäfte aufrief. Niemand hat das Recht, den Palästinensern ein ziviles und effektives Kampfmittel für ihre Befreiung streitig zu machen. Niemand hat das Recht, den Einsatz für Demokratie und Menschenrecht als «antisemitisch» zu brandmarken. Wer das tut, steht auf der Seite der Unterdrücker. Die Palästinenser werden nicht untätig resignieren, aber sie brauchen und verdienen unsere Solidarität!
Zu allem Überfluss will die LINKE auch noch den angeblichen «Kampf der Bundesregierung gegen Antisemitismus» und ihren «Beauftragen gegen Antisemitismus» unterstützen. Dessen Agieren hat jedoch mit einem Kampf gegen Rassismus wenig zu tun. Er schwärzt vor allem Kritiker der israelischen Regierungspolitik und Unterstützer der Palästinenser als angebliche Antisemiten an, darunter viele jüdischen und israelische Mitbürger. Für die Palästina-Solidarität ist die LINKE – bis auf wenige Aufrechte – leider ein Totalausfall. Die LINKE leistet nützliche Handlangerdienste für ganz reaktionäre Entwicklungen.

* Der Autor war von 1999 bis 2014 Vorsitzender der Ratsfraktion DIE LINKE Duisburg.

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