Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2019
Österreichs unheilige Allianz mit den Rechtspopulisten ist Geschichte
von Leo Gabriel

Wird es nach dem Erdbeben, das die gesamte politische Landschaft Österreichs von den Niederungen des Burgenlands bis zu den Hochalpen Vorarlbergs derzeit erfasst hat, auch nachhaltige Konsequenzen geben?
Das ist die Gretchenfrage, die derzeit die österreichische Innenpolitik ebenso beschäftigt wie Beobachter im benachbarten Deutschland, die bei der Aufdeckung des größten Politskandals der Zweiten Republik eine große, um nicht zu sagen kameraführende, Rolle gespielt haben.
Die Fakten sind hinreichend bekannt, nicht aber ihr symbolischer Stellenwert, der weit über die Landesgrenzen Österreichs hinausgeht. So ist etwa die Tatsache, dass ausgerechnet eine angebliche russische Oligarchennichte der Köder war, an dem sich Vizekanzler Heinz Christian Strache und dessen parlamentarischer Klubobmann Johann Gudenus ihre in jeder Beziehung scharfen Zähne ausgebissen haben, ebenso bezeichnend wie der Umstand, dass das feucht-fröhliche Treffen auf Ibiza, einem Ferienparadies der Neureichen, stattgefunden hat.
Auch dass sich das siebenstündigen Gespräch, von dem bisher nur ein Bruchteil via Spiegel, Süddeutsche Zeitung und der österreichische Wochenzeitung Falter der Fernsehöffentlichkeit preisgegeben wurde, hauptsächlich um die wirtschaftliche Macht in Österreich drehte (z.B. den Kauf der Kronenzeitung und des Immobilienriesen Strabag), wodurch sich die beiden Spitzenpolitiker der FPÖ erhofften, auch die politische Macht zu übernehmen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Gesinnung der rechtsextremen Populisten: Ausgerechnet sie, die vorgeben, die Interessen des «kleinen Mannes» (von Frauen ist bei ihnen sowieso fast nie die Rede) zu schützen, sind in Wirklichkeit von der Gier nach Reichtum und persönlicher Macht derart ergriffen, dass ihnen jede Witterung für die Gefahr, die in einem derart gestellten Gespräch mit einer Oligarchennichte, deren «Identität» nicht mal überprüft wird, abhanden gekommen ist.
Das Video hat einmal mehr gezeigt, wie eng die Verbindung zwischen der Herrschaft der Konzerne und dem Machtanspruch der Rechtsextremen ist. Oder anders gesagt: Das «österreichische Modell» einer Allianz zwischen den vermeintlichen Christdemokraten von der ÖVP und den xenophob bis rassistischen Spitzen der FPÖ beruht auf einem relativ leicht zu durchschauenden Zweckbündnis. Es besteht, vereinfacht gesagt, darin, dass die Reichen die Armen brauchen, um ihren Reichtum zu bewahren, und die Armen die Reichen brauchen, um an die Macht zu kommen.
Letzteres zeigte sich in besagtem Video, das von Größenwahn nur so strotzt, besonders deutlich. Da geht es um die Entfernung von unliebsamen Journalisten aus den Medien, aber auch darum, Asylwerbern einen Hungerlohn von 1,50 Euro pro Stunde zu zahlen, mit dem Ziel, «die Migrationsquote auf Null zu stellen», wie Innenminister Kickl noch am Tag vor seiner Absetzung formulierte.
Für linke AktivistInnen waren auch die Sprüche von der angeblichen «Umvolkung» Österreichs durch Aussiedlung nichtdeutscher Volksgruppen – Sprüche, die an eine längst überwunden geglaubte Vergangenheit erinnerten – nichts Neues. Über ein Jahr lang hatten tausende jeden Donnerstag gegen die schwarz-blaue Regierungskoalition demonstriert. Das Video hat gezeigt, was sie immer gesagt und wogegen sie sich gewandt haben – doch jetzt wirkte es wie ein riesiger Parabolspiegel, der das ganze Land für 24 Stunden in eine Schockstarre versetzte. Und wieder gingen tausende auf den Wiener Ballhausplatz und forderten Neuwahlen – so lange, bis der Welt jüngster Regierungschef vor die Fernsehkameras trat und öffentlich erklärte, diese unheilige Allianz mit der FPÖ sei aufgelöst. «Genug ist genug!», sagte Sebastian Kurz, entließ den Innenminister und kündigte Neuwahlen für Anfang September an.
Sicherlich tat Kurz das nicht den linken Demonstranten zuliebe, unter denen sich auch einige führende Sozialdemokraten befanden. Er handelte vielmehr aus dem öffentlich geäußerten Kalkül, dass er im Herbst mit einem großen Stimmengewinn für sich und seine Partei rechne. Die Situation ist nicht unähnlich der im Jahr 2003, als Wolfgang Schüssel, der damalige Bundeskanzler und heutige Mentor von Kurz, die schwarz-blaue Koalition wegen Zwistigkeiten innerhalb der FPÖ auflöste. Damals punktete Schüssel mit einem fulminanten Wahlergebnis von 42 Prozent, setzte danach aber die Zusammenarbeit mit den Blauen fort.
Wenn Kurz von der einfachen Mehrheit nur eine Zahl im einstelligen Bereich trennt, könnte diesmal eine Koalition mit der Jungunternehmerpartei NEOS klappen; ist das nicht der Fall, dann wird für Kurz guter Rat extrem teuer.

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