von Manuel Kellner
Schon in den Monaten vor dem Kapp-Putsch (siehe SoZ 6/2019) herrschte eine Art Krieg zwischen der ethnisch bunt zusammengewürfelten Arbeiterschaft des Ruhrgebiets und den Herren der Gruben und Schlote.
Die Beschäftigten wollten mehr als nur einen Hungerlohn und die Verkürzung ihrer mörderischen Schichten, besonders im Bergbau. Die Gruben- und Schlotbarone bedienten sich ausgiebig aller staatsoffiziellen bewaffneten Banden, derer sie habhaft werden konnten, und nahmen den Beschäftigten alles eventuell Errungene im Handumdrehen wieder weg, etwa mit drastischen Preiserhöhungen, wenn sie Lohnerhöhungen zugestehen mussten.
Zu dieser Gefechtslage gehörte die Tatsache, dass die mehrheitssozialdemokratisch geführten offiziellen Gewerkschaften – von der SPD-Führung selbst ganz zu schweigen – glatt für die Gegenseite arbeiteten und die eigene Basis bei Verhandlungen mit den Unternehmern nach Strich und Faden betrogen. Es war daher kein Wunder, dass große Teile der Arbeiterschaft – im übrigen eher zu überwältigend starken lokalen Ausbrüchen fähig als zu überörtlich koordiniertem Handeln – in bedeutendem Maße der teils als «linksradikal» verschrienen, teils wirklich linksradikalen Opposition von USPD, KPD, FAUD oder auch der KAPD zuneigte und in Teilen eigene, «unionistische» (anarcho-syndikalistische) Verbände aufbaute. Ihr Bedürfnis nach wehrhaftem Selbstschutz wuchs im Takt der zunehmenden Frechheit und Brutalität der neuen Sicherheitspolizei (SiPo) und der in Freikorps organisierten Bürgersöhnchen, demobilisierten ehemaligen Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten.
Die Abwehr des Kapp-Putschs
In größerem Stil erfolgte die Bewaffnung der Arbeiterschaft zur Abwehr des Kapp-Putschs, die im Ruhrgebiet im März 1920 besonders spektakulär sowohl gegen die irregulären Truppen der Konterrevolution wie auch gegen die den Putsch unterstützenden Reichswehrtruppen gelang.
Der Begriff der «Roten Ruhrarmee» ist ein wenig irreführend. Ein Teil der bewaffneten Arbeiterschaft waren örtliche Arbeiterwehren, denen von den jeweiligen Vollzugsräten und Aktionsausschüssen vielerorts die Wahrung der öffentlichen Sicherheit übertragen worden war. Ein anderer Teil war in Bewegung, verfolgte SiPo- und Reichswehrtruppen von Ort zu Ort und besiegte sie schließlich. Dieser Teil wurde damals in der Regel «Rote Garde» genannt. In der Literatur wird die Zahl dieser Rotgardisten im Ruhrgebiert auf 50.000 bis 100.000 zumeist in sehr improvisierter Weise Bewaffnete geschätzt.
Sie wurden im April 1920 durch die von Generalleutnant Oskar von Watter befehligten Freikorps und Reichswehreinheiten blutig besiegt. Aber da war der Kapp-Putsch doch schon seit Wochen niedergeschlagen worden? Ja, aber bedeutende Teile der Arbeiterschaft, auch in Mitteldeutschland und in Berlin, erkannten, dass die von der SPD geführte «Weimarer Koalition» (mit DDP und Zentrum) die Putschistenführer nicht bestrafte, die Stellung der Armee und ihrer Stäbe stärkte, die Formierung rechtsextremer Bürgerwehren duldete, die Errungenschaften der Novemberrevolution untergrub und alles dafür tat, die Macht der Räte weiter auszuhöhlen. Versprechungen wie die der Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und des Bergbaus waren nur noch Fetzen Papier. Lohnerhöhungen, wirkliche Arbeitszeitverkürzung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen – alles das war noch zu erkämpfen.
Die Regierung in Berlin tat alles – soweit es irgend ging, hinter den Kulissen –, um von den alliierten Siegermächten (angefangen mit Frankreich) die Erlaubnis zu erhalten, dass die Reichswehr ins Ruhrgebiet vorrücken konnte, um dort «Ordnung zu schaffen», den «Bolschewisten und Anarchisten» das Handwerk zu legen und die Kohleförderung zu sichern (die immerhin nötig sei, alleine schon um den alliierten Reparationsforderungen nachkommen zu können). Gegenüber der Arbeiterschaft heuchelte diese Regierung – einschließlich der Führer von SPD und ADGB – Verhandlungsbereitschaft; wichtige Teile der Bewegung im Ruhrgebiet hatten Bedingungen dafür formuliert. Sie unkte darüber hinaus von der Regierungstreue und angeblichen schwarz-rot-goldenen Demokratiefreundlichkeit der Militärs, während die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet und auch in Berlin und anderswo die Absetzung von Watters und der putschistenfreundlichen Kommandeure der Armee verlangte.
Niederlage und Terror
Die Quellen deuten daraufhin, dass die Berliner Arbeiterschaft bereit war, zur Verteidigung des kämpfenden Proletariats im Ruhrgebiet in den Generalstreik zu treten. Auf zahlreichen Versammlungen gewählter Räte und in den Betrieben wurde das gefordert. Die Führungen linker Parteien wie der USPD und leider auch führende, in die gemeinsamen Verhandlungen involvierte KPD-Mitglieder wie Wilhelm Pieck ließen sich jedoch in den entscheidenden Tagen und Stunden von einer zweideutigen Regierungserklärung einlullen. Revolutionäre Betriebsräte und andere linke Kräfte, auch derselben KPD, kamen gegen die säumige Haltung der linken Parteiführungen nicht an. Tatsache ist, dass die Aufständischen im Ruhrgebiet ohne Hilfe aus Berlin und anderen Regionen blieben.
Lebensnahe Schilderungen des zügel- und straflosen weißen Terrors nach der Niederlage der Arbeiterschaft rauben Leserinnen und Lesern den Atem. Gefangene Frauen – «rote Flintenweiber», auch wenn sie nur Näherinnen waren – wurden ohne jede weitere Zeremonie auf der Stelle erschossen. Vergewaltigungen gab es dabei kaum, die Charakterpanzer der rechtsextremistischen Konterrevolutionäre schlossen nähere Berührungen hier aus. Die Männer der Revolution hatten zumindest das Privileg einer standrechtlichen Prozessfarce, bevor sie erschossen wurden.
Der Verfasser des Standardwerks zum Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, Erhard Lucas*, nicht zufrieden mit den rituellen Schimpfwörtern gegen die Weißgardisten, die in der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung zum Ersatz einer rationalen Analyse dieser Vorgänge gerieten, war selber ratlos und beriet sich mit seinem Freund Klaus Theweleit. Das von Lucas zusammengetragene Material diente Theweleit dann als empirische Grundlage für seine berühmt gewordenen Männerphantasien.
*Erhard Lucas: Märzrevolution 1920. Bd.1–3. Frankfurt a. M.: Verlag Roter Stern, 1973–1978. Alle drei Bände sind vergriffen und nur noch antiquarisch zu haben.
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