von Manfred Dietenberger
Grün ist gegenwärtig nicht nur «in», sondern regierungsfähig. Das verwundert nicht. Seit Mitte der 70er Jahre brennt sich hierzulande das Thema Umweltzerstöhrung ins Bewusstsein immer größer werdenden Teile der Bevölkerung.
Als «Brandbeschleuniger» wirkten früher z.B. Robbensterben, Ozonloch, Treibhauseffekt, Rheinvergiftung, Tschernobyl usw. Schon 1985 zählten 55 Prozent der Bundesbürger Umweltschutz zu den wichtigsten Aufgaben der Politik; der landete damit, gleich hinter der Arbeitslosigkeit, auf Platz 2. Für 89 Prozent der Jugendlichen war es die wichtigste Aufgabe. Auch die Gewerkschaften gerieten da immer stärker unter Druck. Denn die (globale) Umweltkrise ist ein Ergebnis der kapitalistischen, sprich: ausschließlich profitorientierten Wirtschaftsweise, mit der sich die Gewerkschaftsführungen schon lange gemein gemacht haben (abgesehen von ihrer Kritik an den ärgsten sozialen Kollateralschäden).
Dennoch ging ihnen, insbesondere der IG Metall, die Umweltfrage nicht völlig am Arsch vorbei. Die IG Metall versuchte ihr mit sog. «Zukunftskonferenzen» beizukommen. Die erst fand 1988 statt. Auf dieser Konferenz wurde erarbeitet, dass infolge der globalen Umweltkrise ein generelles Umdenken notwendig wird. Daher müsse die Frage nach der Art und Weise des Produktionssystems neu gestellt werden. Ziel der Gesellschaftspolitik sei demzufolge ein sozialer und umweltverträglicher Strukturwandel, mit dem gesellschaftliche und ökologische Interessen in Einklang gebracht werden.
Als Ursache der ökologischen Krise wurden sowohl das konsumvermittelte Verhalten aller als auch das Profitprinzip benannt. Die Ausbeutung der Natur und die Ausbeutung der Menschen wurden dort als «zwei Seiten der gleichen Medaille» gesehen. Eine Politik, die von dem Primat der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen – auch vor kurzfristigen Arbeitsplatzinteressen – ausgeht, unterziehe daher nicht nur die stoffliche Produktion, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeit einer kritischen Reflexion. Eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Entscheidungen über das «Was» und «Wie» der Produktion werde notwendig.
Die Verankerung einer solchen Politik bei den Beschäftigten werde zu einer zentralen gewerkschaftspolitischen Aufgabe. Um diese Vorstellungen zu realisieren, beabsichtige man die Schaffung eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses von Wissenschaftlern, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden für einen ökologischen und sozialen Umbau.
Was es schon mal gab
Damit übernahm die IG Metall in Sachen Umweltpolitik die inhaltliche Führung innerhalb der DGB-Gewerkschaften. Zum Teil durchaus auch mit praktischen Folgen. So machte die IG Metall z.B. in den zu der Zeit krisengefährdeten Branchen – wie der Werft- und Rüstungsindustrie – eine Reihe von Vorschlägen für eine ökologisch orientierte Konversion der Produktion.
Für die damals prosperierenden Branchen wie z.B. die Automobilindustrie wurde allerdings die Öko-Seite kaum thematisiert. In der Folgezeit spielte die Umweltverträglichkeit der Produktion aber auch auf DGB-Kongressen eine immer größere Rolle. Die IG Metall startete auch eine große, erfolgreiche Initiative zur «Humanisierung der Arbeit».
Dennoch blieb bislang die lebensgefährliche, Mensch und Umwelt ruinierende profitorientierte Produktionsweise im Kern unangegriffen. Die Gewerkschaften agierten und agieren immer noch überwiegend reaktiv und systemkonform auf die ökologische Krise und nahmen und nehmen auf die Richtung der Produktionsentwicklung nur insofern Einfluss, wie es für den Erhalt der Reproduktionserfordernisse des Gesamtkapitals notwendig war bzw. ist.
Die IG BCE, 1971 aus einer eher linken Gewerkschaft gegründet, ist inzwischen längst zu einer politisch (noch) relevanten Lobbyorganisation mutiert. Sie verteidigte die Chemiekonzerne gegen die aufkommende Ökobewegung. Statt klassenkämpferische Interessenvertretung der Beschäftigten praktiziert sie – in Politologendeutsch – «branchenspezifischen Korporatismus». IG BCE und Chemie-Unternehmer haben sich nicht selten verbündet, um in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik für ihre speziellen Standortinteressen zu werben. Wenn es sein muss, wird sogar gemeinsam demonstriert.
Ende Juni 1991 bekannte sich Hermann Rappe, der damaligeVorsitzende der Industriegewerkschaft Chemie, auf dem Gewerkschaftstag in seiner Rede zur «ökologisch-sozialen Marktwirtschaft», die als einzige in der Lage sei, die Zukunftsprobleme zu lösen. Alle «politideologischen Akrobatenakte zur Erfindung sogenannter alternativer Wirtschaftsordnungen» seien dazu nicht imstande. So wie die Marktwirtschaft um den Faktor «sozial» ergänzt worden sei, müsse jetzt der «Natur» im Wirtschaftsprozess ein neues Gewicht gegeben werden. Gleichzeitig wetterte Rappe gegen den von grünen «Turnschuh-Aposteln» propagierten «Ausstieg aus der Industriegesellschaft», der den «Einstieg in das gesellschaftspolitische Chaos irrealer Utopien» bedeuten würde.
Rappe ist längst Geschichte, aber es ist zu befürchten, dass nicht nur die IG BCE, sondern auch die anderen DGB-Gewerkschaften auf die lebenswichtigen Herausforderungen der Gegenwart mit fast gleichlautendem Vokabular reagieren. Siehe ihre Haltung zum Atom- und Kohleausstieg und das offene Buhlen des DGB um die Gunst der Grünen.
Die Mitglieder sind gefragt
Doch es wäre fatal, wenn es dabei bliebe und die Gewerkschaften, also die legitime Vertretung der Produzenten aller gesellschaftlich erzeugten Waren und Dienstleitungen, mit verschränkten Armen tatenlos zusehen würden, während ihrer Kinder und Enkel auf Straßen und Plätzen um ihre Zukunft kämpfen. Vom ehemaligen Gewerkschaftstheoretiker Victor Agartz stammt der Spruch: «Wenn die Führung versagt, geht die Verantwortung auf die Mitglieder über.» Das könnte heute heißen, dann müssen eben die Mitglieder (und die noch nicht Mitglieder) selber auf allen gesellschaftlichen Ebenen aktiv werden, um ihre über den Lohnkampf hinausgehenden Interessen selbstorganisiert durchzukämpfen. Geschieht dies massenhaft führt dies zur Repolitisierung und Demokratisierung der Gewerkschaften selbst.
Seit Karl Marx ist bekannt: «Große Industrie und industriell betriebene große Agrikultur wirken zusammen. Wenn sie sich ursprünglich dadurch scheiden, dass die erste mehr die Arbeitskraft des Menschen, letztere mehr direkt die Naturkraft des Bodens verwüstet und ruiniert, so reichen sich später im Fortgang beide die Hand, indem das industrielle System auf dem Land auch die Arbeiter entkräftet, und Industrie und Handel ihrerseits der Agrikultur die Mittel zur Erschöpfung des Bodens verschaffen.» (Das Kapital.)
So beeindruckend und medienwirksam etwa die Fridays-for-Future-Bewegung oder Flashmob-Demos und Blockadeaktionen anderer Gegenbewegungen auch sind, die großen politischen Kämpfe wurden am Ende immer in und aus den Betrieben heraus erkämpft. Diese Erkenntnis macht den Schulterschluss der Arbeiter-Klima- und Umweltbewegung und – nicht zu vergessen – auch mit der Friedensbewegung überlebensnotwendig.
Den Gewerkschaften kommt dabei heute die besondere Verantwortung zu, den politischen Kampf gegen die Leben fressenden Destruktivkräfte des Kapitalismus aufzunehmen und gemeinsam mit der Klimabewegung als ihrer natürlichen Verbündeten die Voraussetzung für gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, in denen die Ausbeutung von Menschen und Natur revolutionär überwunden wird. Denn: «Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals … Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern.» (Karl Marx, Lohn, Preis und Profit.)
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