Gespräch mit Peter Erlanson
Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen, die zeitgleich zur Europawahl war, hat die LINKE mit 11,3 Prozent einen Achtungserfolg errungen. Da es wegen des schlechten Abschneidens der CDU für Schwarz-Grün nicht reichte, streben die Grünen nun eine Neuauflage von Rot-Grün unter Einschluss der LINKEN an. Peter Erlanson erklärt, warum er dagegen ist.
Du warst bis zuletzt sozialpolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN in der Bürgerschaft, hast jetzt aber nicht mehr kandidiert. Hat das politische Gründe?
Ja, natürlich. Es hat sich sehr schnell herausgestellt, dass die Partei zu großen Teilen, die Fraktion zu 100 Prozent, klar auf dem Kurs waren, wir wollen mitregieren, es gibt eine Möglichkeit für Rot-Rot-Grün. Da ich bekanntlich sehr kritisch gegenüber Regierungsbeteiligungen bin und man in der zukünftigen Fraktion von dieser Sorte niemanden haben wollte, wurde ich auch nicht mehr aufgestellt. Kein linker Kandidat, der gegen diese Regierungsbildung ist, ist bei der Aufstellung der Liste durchgekommen. Deshalb habe ich gesagt, ich trete jetzt nicht mehr an, und habe eine Erklärung dazu abgegeben.
Nun hat aber die Linke trotz eines Realokurses bei der Bürgerschaftswahl 1,8 Prozent zugelegt. Worauf führst du das zurück?
Es hat sich schon bei den Bundestagswahlen 2017 abgezeichnet, dass wir zweistellig würden, jetzt war die Frage nur, schaffen wir 12 Prozent; es sind 11,3 Prozent geworden. Dieser Aufstieg liegt natürlich an der Politik, die wir als linke Fraktion im Parlament getrieben haben: Wir haben uns immer darauf konzentriert, die Widersprüche im Handeln von Rot-Grün aufzudecken und am Ende gesagt, dem müsst ihr doch zustimmen können. Im letzten halben, Dreivierteljahr haben SPD und Grüne uns hin und wieder auch zugestimmt.
Ich war jetzt 12 Jahre in der Bürgerschaft, mindestens acht Jahre davon haben sie einem Antrag automatisch nicht zugestimmt, weil er von uns kam. Das letzte halbe Jahr hat sich das ein bisschen geändert, damit haben wir unbestritten eine Außenwirkung bekommen, weil wir an ganz vielen Stellen den Finger in die Wunde gelegt haben: Da und da müsst ihr was tun, das ist euer eigener Anspruch, das ist euer Programm, warum tut ihr nix? Es kann doch nicht sein, dass der und der soziale Träger wegen 5000 Euro im Monat und einer Viertelstelle dicht machen muss. Häufig mussten sie dicht machen, das haben die Leute mitbekommen.
Viele soziale Träger haben schon länger gemerkt, dass sie vom Senat nicht mehr viel erwarten können, aber sie waren immer noch der Meinung, wenn wir mit dem Filz ein bisschen rummauscheln, kommen wir durch. Im Laufe der Zeit hat sich das aber geändert, sie kommen immer weniger durch. Das hat damit zu tun, dass wir in Bremen eine ausgesprochen prekäre finanzielle Situation haben. Die ist natürlich das Ergebnis von Fehlern der Vergangenheit, einem mangelhaften Länderfinanzausgleich, bei dem Bremen immer benachteiligt war, idiotischen Großprojekten usw. Aber das Ganze wird durch die Schuldenbremse verstärkt.
Wir haben die Schuldenbremse am eigenen Leib erfahren, was in anderen Bundesländern noch nicht so ist, weil sie dort erst ab 2020 greift. In Bremen aber hat die SPD sie sogar in die Landesverfassung geschrieben.
Die Schuldenbremse bedeutet im Grunde nichts anderes als das Verbot von Kreditaufnahmen für den sozialen Bereich. Wenn du das aber nicht mehr darfst, riskierst du entweder einen Verstoß dagegen oder du versuchst, dich darum herum zu lavieren. Wir hatten in Bremen die letzte Zeit keine eigene Sozialpolitik mehr. Sozialpolitik bestand darin, dass der Senat EU-Töpfe angezapft hat, aus dem er Projekte für jeweils ein Jahr gezimmert hat. Das ist eine direkte Folge der Schuldenbremse.
Was habt ihr im Wahlkampf zur Schuldenbremse gesagt?
Wir haben gesagt haben, die muss weg. Es braucht aber eine Zweidrittelmehrheit, um sie aus der Verfassung wieder rauszukriegen. Da stellen sich die Grünen schon quer: Sie haben in den jetzigen Koalitionsverhandlungen deutlich gesagt, sie wollen weder eine Initiative auf Bundesebene noch auf Bremer Ebene. Inzwischen sind die Grünen eine Partei der Besserverdienenden geworden, die sich ein grünes Mäntelchen umhängt. Und grüne Politik haben sie in Bremen in den zwölf Jahren kein Stück gemacht.
Du hast gesagt, die sozialen Träger konnten immer weniger realisieren. Hat das dazu geführt, dass sie sich der LINKEN zugewandt haben und nun Erwartungen an sie knüpfen?
Ja, natürlich. Zu Anfang durften auch die sozialen Träger mit uns nicht reden, nach vier Jahren war das schon besser, nach acht Jahren noch besser und jetzt, nach zwölf Jahren, ist es so gewesen, dass die meisten gesagt haben: Ihr habt ja recht mit dem, was ihr sagt und fordert, aber ihr könnt es nicht umsetzen.
Es gibt von der Seite also großen Erwartungen und auch einen Druck, dass die LINKE in die Koalition reingeht?
Auf jeden Fall. Es gibt jetzt nach der Wahl aber auch einen großen Teil von Menschen, die sehr sehr kritisch sind, weil sie sagen: Nach 70 Jahren ist die SPD endlich abgewählt und ihr macht jetzt den Steigbügelhalter und verhelft denen zum Weiter so.
SPD und Grüne zusammen sind (mit 32 von 69 Sitzen) immer noch die alte rot-grüne Koalition, die jetzt zwölf Jahre bestanden hat, und wir mit unseren 11,3 Prozent wollen sie jetzt zwingen, eine Kehrtwende zu machen – Schuldenbremse rückgängig, die sozialen Projekte besser finanziert usw.? Da haben Menschen mittlerweile Bedenken, sind teilweise auch erbost darüber.
Zeichnet sich ab, was bei den Koalitionsverhandlungen für die LINKE herausspringt?
Ich nehme an, es wird auf Posten hinauslaufen. Außerdem glaube ich, dass der Bürgermeister Sieling, der die Stimmung ja auch kennt, nach den Koalitionsverhandlungen nach Berlin geht, wo er herkommt und da auch Bundestagsabgeordneter ist. Dann wird die SPD einen Neuen präsentieren, nämlich Andreas Bogenschulte, der hier mal Landesvorsitzender war und Bürgermeister im Speckgürtel ist, der will jetzt gegen den bisher noch amtierenden Fraktionsvorsitzenden der SPD kandidieren. Damit kann die SPD sagen: Wir machen mit neuem Schwung einen neuen Anfang.
Die Grünen werden ein Ressort mehr kriegen, die LINKEN werden «auf Augenhöhe verhandelt» haben und mit der Schuldenbremse bleibt alles beim alten. Aus unserem Wahlprogramm sind ja schon vorher die ganzen antikapitalistischen Spitzen abgebogen worden, das Programm, das wir jetzt haben, ist SPD++.
Manchmal reicht es für die Stimmung in der Stadt ja schon, wenn es kleine Verbesserungen gibt. Du arbeitest im Gesundheitswesen. Gäbe es da Möglichkeiten für so kleine Verbesserungen?
Nein, das kriegst du mit kleinen Schritten nicht mehr hin. Das Desaster ist so groß, da gehen nur große Schritte oder verkaufen; ich befürchte, es wird die zweite Variante. Wir haben vier kommunale Kliniken, die unter einem Dach zu einer Ober-GmbH zusammengefasst sind mit zusammen 7800 Beschäftigten, in der Mehrzahl Frauen. Damit behandeln wir 60 Prozent der anstehenden Fällen.
Wir hatten nun einen finanziellen Einschnitt, weil wir massiv in einen Teilneubau investieren mussten. Da Bremen kein Geld hat, um das zu finanzieren, haben die Kliniken Kredite aufgenommen. Der Bau sollte ursprünglich 230 Millionen kosten, inzwischen sind wir bei 454 Millionen. Alles über Kreditfinanzierung. Und das heißt: Um die Kredite zurückzuzahlen, musst du sparen, und du sparst am Personal.
So wurde über die letzten Jahrzehnte sukzessive Personal abgebaut, jetzt müssen deshalb wir reihenweise Stationen schließen. Wir haben Patienten, aber wir können sie nicht behandeln.
In dem Krankenhaus, an dem ich arbeite, bräuchten wir 180 Mio. Euro Investitionsmittel; die Psychiatrie muss renoviert werden, das kostet noch mal gut 100 Mio., und wahrscheinlich brauchen wie nochmal 200 Mio. Euro, um die restlichen Kredite für den Teilneubau abzulösen.
Vor alledem ist aber die Schuldenbremse vor. Die Berliner Genossen haben versucht, auch unter Bedingungen der Schuldenbremse den Schulneubau zu organisieren, indem sie die Grundstücke der Schulen in eine GmbH gepackt haben, die zu 100 Prozent eine Tochter der Stadt Berlin ist, aber eben eine Institution privaten Rechts, die auch Kredite auf diese Grundstücke aufnehmen darf. Mit denen baut sie die Schulen, die sie dringend braucht, weil der Senat keine Kredite mehr aufnehmen darf. Bei uns scheint das aber nicht zu funktionieren, weil die Schuldenbremse überdies in der Bremer Verfassung steht.
Was kann man da überhaupt noch tun?
Wir brauchen die Millionärssteuer, eine Vermögensteuer, in Bremen haben wir die höchste Millionärsdichte. Da muss man Geld abgreifen, das Geld ist da, es ist nur falsch verteilt und falsch verdient sowieso auch. Aber unsere Linken haben das irgendwie vergessen.
Auf Landesebene kann man die gar nicht erheben.
Du kannst dafür Politik machen, dass es wieder passiert.
Ganz praktisch heißt es aber, auf Landesebene machst du nicht viel, außer viel Wind im Bundesrat und natürlich auch im Bundestag. Das ist auch wichtig, klar. Aber für dein Krankenhaus in Bremen springt damit noch nix raus.
Daran hängt es aber. Es muss sich im Bund was ändern. Und Bremen muss seinen Haushalt so stricken, dass es die Schuldenbremse einfach nicht einhält. Dann soll sich die Gegenseite mal was einfallen lassen. Schließlich kommen auch andere Bundesländer in eine solche Lage, selbst im reichen Bayern grummelt es.
Bei uns könnten sich die Sozialdemokraten heute in den Hintern beißen, dass sie die Schuldenbremse auch noch in die Bremer Verfassung geschrieben haben, das bereuen sie ehrlich, wenn keine Kameras und Mikrofone dabei sind.
Könntest du dir in Bremen ein Volksbegehren für die Abschaffung der Schuldenbremse vorstellen?
Es mag Zeiten geben, wo das möglich ist. Hessen hat es ja mal versucht und ist damit auf den Bauch gefallen. Weil das ein total abstraktes Thema ist. Aber wenn die Menschen merken, dass sie für einfachste Belande kein Geld mehr aufnehmen können, dann dämmert es vielleicht dem einen oder anderen und ein solches Volksbegehren hätte eine Chance.
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