von Angela Klein
Es gibt bei dem ganzen Rummel, der um das Bauhaus gemacht wird, wenig Literatur, die sich kritisch damit befasst: mit seinen inneren Widersprüchen; dem, was es zusammengehalten und was es auseinandergetrieben hat; mit seiner Verortung zwischen dem Aufbruch in eine neue, noch zu gestaltende Welt und dem ästhetischen Ausdruck des entwickelten Industriekapitalismus.
Das Lesebuch, das Bernd Hüttner und Georg Leidenberger mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgelegt haben, bildet eine Ausnahme. Es trägt Aufsätze über die Vorläufer und Wegbereiter des Bauhauses zusammen; untersucht das Selbstverständnis des Bauhauses als experimentellen Versuch, die Rolle und Stellung des Künstlers in der verallgemeinerten Marktwirtschaft neu zu definieren. Es lässt die schon damals geäußerte linke Kritik am Bauhaus zu Wort kommen und widmet gesonderte Beiträge einzelnen Künstlern, die sich als links verstanden oder unter linkem Einfluss gestanden hatten – so Kandinsky unter dem Einfluss der Oktoberrevolution oder Lászlo Moholy-Nagy, oder auch bekannte Unbekannte wie Max Gebhard, dem «Erfinder» des Logos der Antifaschistischen Aktion, einem der erfolgreichsten Logos der Welt.
Ein besonderer Leckerbissen sind die Beiträge, die sich mit dem Wirken von Bauhäuslern in verschiedenen Ländern Lateinamerikas befassen, was sonst selten hervorgehoben wird, meist steht das Wirken von Gropius und dem Ehepaar Albers in den USA im Vordergrund. Diese Beiträge betonen auch noch einmal, was ein Hauptanliegen des Lesebuchs ist: Es will deutlich machen, dass das Bauhaus weder ein Stil noch eine bestimmte Konzeption künstlerischer Arbeit war, sondern ein methodisch angelegter Versuch, aus den Trümmern der Vorkriegsordnung etwas radikal Neues zu schaffen, das die ganze verlogene Beweihräucherung einer angeblichen gesellschaftlichen Harmonie und eines sog. «Schönen», in dem sie sich auszudrücken hatte, beiseite fegte und der Kunst wieder Boden unter den Füßen gab, indem es sie an die Bedürfnisse der Menschen band.
Ein Ort «produktiver Uneinigkeit»*
Das Erfolgsrezept des Bauhauses bestand gerade darin, dass es keine neue «Lehre» anbot, auch nicht einfach einen Raum für unzusammenhängende Experimente, sondern eine Plattform für die Erarbeitung eines neuen Verständnisses vom Platz des Künstlers in der Gesellschaft und seinem Verhältnis zu Handwerk und Technik. Die Fragestellung war eine gemeinsame – welche Antworten sich daraus ergeben würden, war offen, und es wurden auch die unterschiedlichsten Wege eingeschlagen, von der Esoterik über die reine Farbenlehre bis zum sozialen Wohnungsbau und dem industriellen Design.
Diesen offenen Charakter hätte das Bauhaus nicht lange behalten können; hätten die Nazis ihm nicht den Geldhahn abgedreht und das Bauhaus in den Sack der «entarteten Kunst» gesteckt, hätte es sich wahrscheinlich zu einer unpolitischen «Hochschule für Gestaltung» zurückentwickelt, die den Werbezwecken der Industrie zuarbeitet, wie sich das in seiner letzten Periode unter Mies van der Rohe (1930–32) schon angedeutet hat. Auf dem Weg dahin aber gab es zahlreiche Kontroversen über den einzuschlagenden Weg, und das waren – auch unter dem Druck der Anfeindungen und Kritiken – politische Kontroversen, die von ihrer Aktualität nichts eingebüßt haben (man denke nur an den Wohnungsbau!).
Auch von diesen Kontroversen handelt das Lesebuch, allerdings leider nur ausschnitthaft. Erfreulich ist, dass dabei auch die Positionierung der kommunistischen Arbeiterbewegung referiert wird, wenngleich ziemlich schematisch, da bleibt noch viel aufzuarbeiten und einem kritischen Publikum zugänglich zu machen. Immerhin wird deutlich, dass die kommunistische Kritik dem Bauhaus nicht ablehnend gegenüberstand, aber seine Tendenz kritisiert hat, sich von der Industrie in Dienst nehmen zu lassen und somit an den Bedürfnissen der breiten Massen vorbei zu bauen und zu gestalten. Die Kritik richtete sich auch gegen den Siedlungsbau, die sozialdemokratische Ausprägung der Bauhausideen, weil er keinen Platz für kollektive Wohnformen jenseits der Kleinfamilie bot und die Mieten darin trotz allem für viele Arbeiterhaushalte immer noch zu hoch waren.
Die Nazis übrigens, auch dieser Aspekt wird behandelt, haben das Bauhaus nicht nur verfemt, die an ihm Aktiven nicht nur verfolgt. So wie eine Reihe von Bauhäuslern versucht haben, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren, so hat die Propagandamaschine des «Dritten Reichs» es verstanden, bestimmte Massenprodukte für den Alltag in seinen «Kanon» aufzunehmen und sich damit, auch bei Ausstellungen in der internationalen Öffentlichkeit, als «modern» zu präsentieren. Das Verhältnis zum Nationalsozialismus war widersprüchlich – ein Aspekt, der im gegenwärtigen Mythos vom Bauhaus keinen Platz hat.
Der Mythos
Die Bauhäusler sind verschiedene Wege gegangen, und so ist das Bauhaus auch im Nachhinein für viele Interpretationen offen und anschlussfähig geblieben. Es findet ein jeder etwas, das passt, und so verwundert es nicht, dass von der CSU bis zur LINKEN die Bewilligung von Geldern für das 100jährige Jubiläum höchst willkommen geheißen wurde.
Freilich gilt für das Bauhaus wie für alles andere: Die vorherrschende Lesart ist die Lesart der Herrschenden. Und die reduziert das Bauhaus auf einige Stereotype: Stahlrohrmöbel, Wagenfeldleuchte, weißes Flachdachhaus, schwarz-rote Elementartypografie u.a. Sie erklärt das funktionale – das der industriellen Massenproduktion angepasste – Design zum Bauhaus-Stil schlechthin und konstruiert aus dieser Reduktion den Mythos vom Bauhaus als dem «Substrat der Moderne».
Einer der letzten Artikel im Lesebuch ist dieser Rezeption gewidmet. Er versucht, das Phänomen zu erklären:
«Dass ausgerechnet die Gegenwart in ihrem eigenen, stilistisch wie geistig uneinheitlichen Auftreten mit allen Disruptionen, Ungleichzeitigkeiten und gesellschaftlichen Fragen am Bauhaus verneint, was dasselbe mit ihr doch gemeinsam hat, ist bemerkenswert … Seit geraumer Zeit mehren sich die Diagnosen, dass die Gegenwart bei aller Schnelligkeit der zivilisatorischen Entwicklung unter einem Mangel an Zukunft leide … Die für die Moderne so typische futuristische Utopie ist im Begriff, auf breiter Front zu bröckeln. Die neue Projektion einer besseren Gesellschaft ist nunmehr eine Rückprojektion: Nostalgie. Die bessere Zukunft war gestern…
Bauhaus-Nostalgie erzeugt ein weitgehend harmloses Märchen: von einem Ort, an dem man sich noch wagte aufzubrechen, wagte modern zu sein und darum zu diesen und jenen Formen kam … Man erklärt in den Bauhäuslern eine Gruppe von Suchern nachträglich zu den Gefundenhabenden. Indem man en passant entstandene Produkte, Architekturen und Ästhetiken überhöht, entsteht der Eindruck, dass mit der Wiederaufnahme bestimmter historischer Formen auch die ersehnte Aufbuchstimmung erneut einsetzen könnte.»
Bleibt die Frage, was wir heute daraus lernen können. Denn wenn es wahr ist, dass einige der Hauptgedanken des Bauhauses von der kapitalistischen Marktproduktion vereinnahmt und manchesmal pervertiert wurden, so ist auch wahr, dass es aus einem revolutionären Aufbruch heraus geboren wurde. Es hat Wege aufgezeigt, wie an Zukunftsentwürfen gearbeitet werden kann. Das Verdienst des vorliegenden Lesebuchs ist, dass es an diese Frage heranführt. Dass es sie beantwortet, kann man schlechterdings nicht erwarten. Aber es macht Lust auf eine Vertiefung des Beschäftigung mit diesem Aufbruch.
*Ein Zitat des Bauhäuslers Josef Albers.
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