Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2019
Zur Erinnerung
von Kai Böhne

Die Mitgründerin der Solidarnosc wäre am 15.August 90 Jahre alt geworden.
Mit 21 Jahren begann Anna Walentynowicz, die diesen Namen erst seit ihrer Heirat 1964 trug, als Hilfsarbeiterin auf der Danziger Leninwerft. Mit 10 Jahren hatte sie beide Eltern verloren und musste sich als Magd bei einem Bauern, als Kindermädchen und in einer Margarinefabrik durchschlagen. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Schweißerlehrgangs stieg sie auf der Werft zur Elektroschweißerin auf. Für ihre gewissenhaften und zuverlässigen Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Bei den Kollegen genoss sie Anerkennung und Vertrauen. Später wurde sie von einer Sozialkommission, die sich für die Rechte der Frauen stark machte, als Kranführerin eingesetzt.
Anna Walentynowicz hatte ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und äußerte sich auch, wenn es etwas zu kritisieren gab. So verlangte sie 1968 die Bestrafung einer Person aus der Geschäftsleitung, die Gelder der Arbeiter veruntreut und beim Glücksspiel verloren hatte. Die Geschäftsleitung wollte Anna wegen ihrer Kritik entlassen. Eine Unterschriftensammlung ihrer Kollegen konnte dies verhindern, sie wurde nur in eine andere Abteilung strafversetzt.
Als es im Dezember 1970 in Danzig und weiteren Städten wegen drastischer Lebensmittelpreiserhöhungen zu Streiks und Demonstrationen kam, wurde Anna von Kollegen ins Streikkomitee gewählt. Der Staat setzte Polizei und Militär gegen die Aufständischen ein. Tausend Personen wurden dabei verletzt, über 40 Menschen verloren ihr Leben. Nach diesen Unruhen trafen sich Anna Walentynowicz und Kollegen, die damals für sie Unterschriften gesammelt hatten, in Privatwohnungen, 1978 entstand das Gründungskomitee einer Freien Küstengewerkschaft.
Erneute Preiserhöhungen für Fleisch lösten im Sommer 1980 eine große Streikbewegung aus, in deren Folge die unabhängige und selbstverwaltete Gewerkschaft Solidarnosc gegründet wurde. Intellektuelle und Teile der katholischen Kirche unterstützten die Gewerkschaft, die schnell zum Sammelbecken der polnischen Opposition wurde. Anna Walentynowicz gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Solidarnosc. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem autoritären Führungsstil des Vorsitzenden Lech Walesa zog sie sich aus der Führungsarbeit zurück.
Als die polnische Regierung im Dezember 1981 das Kriegsrecht ausrief, beteiligte sich Anna am Barrikadenbau und gewaltfreien Widerstand auf der Leninwerft. Für ihren Einsatz wurde sie sieben Monate inhaftiert. Nach ihrer Freilassung setzte sie sich weiter für die Aufhebung des Kriegsrechts und für soziale Belange ein.
Am 15.August 2019 hätte Anna Walentynowicz ihren 90.Geburtstag feiern können. Doch sie starb am 10.April 2010 bei einem Flugzeugabsturz. Zusammen mit dem damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und weiteren Persönlichkeiten aus Polens Staats- und Wirtschaftsführung war sie auf dem Weg zu einer Gedenkfeier anlässlich des 70.Jahrestags der Ermordung polnischer Offiziere durch den sowjetischen Geheimdienst im russischen Katyn. Beim Landeanflug stürzte das Flugzeug ab.
Am 24.Juni 2019 erinnerte die polnische Post mit einer Sondermarke zu 8,70 Zloty an die engagierte und furchtlose Arbeiterin.

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