Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2019
Stuttgart: Schmetterling, 2019. 112 S., 10 Euro
von Gisela Notz

Frauenstreiks gestern und heute
Das 21. soll das Jahrhundert der Frauenbefreiung werden. Das ist ein Resümee des Buches Frauen*streik, das Brigitte Kiechle geschrieben hat. Es ist ein handliches Büchlein, schön zu lesen, ein Essay ohne akademische Floskeln, gut gegliedert und sparsam mit Literaturverweisen. In acht kurzen Abschnitten werden viele Facetten von Frauenstreiks, Frauenkämpfen, Protesten und Demonstrationen vorgestellt. Das Sternchen im Frauen*streik auf der Titelseite wird auf der ersten Seite erläutert, um dann völlig zu verschwinden. Daher soll zusätzlich erklärt werden, dass das Sternchen nicht nur bedeutet, dass mit Frauen alle Menschen gemeint sind, die sich als Frauen definieren oder definiert werden, sondern Frauen*streik benutzen die zahlreichen Aktivistinnen und Frauen*streikbündnisse für ihre Streikaktivitäten innerhalb und außerhalb von Betrieben und Institutionen in vielen Ländern.
In Kapitel 1 des Buches erfahren wir etwas über Frauenkämpfe und die zunehmende Rebellion der Frauen weltweit, von Universitätsbesetzungen bis hin zu Demonstrationen gegen Abtreibungsverbote. Freilich kann man auf 112 Seiten keine Gesamtschau der Proteste unterbringen. Kapitel 2 führt uns zurück ins 19.Jahrhundert zu den vielzitierten Textilarbeiterinnen von Crimmitschau in Sachsen – und dann mit einem großen Sprung hin zu den Streiks der 1970er Jahre in der BRD, da wird der Frauenstreik bei der Automobilzulieferfirma Pierburg in Neuss (BRD) beschrieben.
Schade, dass hier wie da nicht auf die entsprechenden Veröffentlichungen hingewiesen wird, wo man vieles nachlesen könnte. Das trifft auch für die weiteren Beschreibungen zu, z.B. für den nicht nur erzählten, sondern auch verfilmten Streik der Heinze-Frauen in Gelsenkirchen. So bekommt man lediglich eine kompakte Zusammenfassung von Streiks bis hin zu den Care-Arbeitsstreiks, die noch lange nicht abgeschlossen sind.
Es folgen Kapitel 3 mit der von Feministinnen seit den 1980er Jahren geübten Kritik am verengten (marxistischen) Arbeitsbegriff und Kapitel 4 mit den Frauenstreiks «neuen Typs», die Erwerbsarbeit und Haus- und Sorgearbeit zusammen bestreikt haben: 1975 in Island, 1991 in der Schweiz und 1994 in der BRD.
Im fünften Teil wird es dann wieder international: Argentinien, USA und Spanien. Im sechsten Teil gibt es Vorschläge, was «wir» von unseren rebellischen Schwestern lernen sollten, um eine feministische Revolte zielführend durchzuführen, z.B. «den privaten mit dem öffentlichen Bereich zu verbinden und den Wahnsinn des Frauenalltags nicht nur zu unterbrechen, sondern nachhaltig umzukrempeln» und sich «jeder Instrumentalisierung der Bewegung durch Parteien entgegenzustellen». Siebtens geht es um die Aktualität des politischen Streiks aus feministischer Sicht, um neue soziale Bündnisse und transnationale Kampffelder und um «feministische Klassenpolitik».
Das letzte Kapitel befasst sich schließlich mit der Notwendigkeit der Weltveränderung durch einen Frauenstreik. Dazu brauchen «wir», so Brigitte Kiechle, «in der BRD einen feministischen Neuanfang entsprechend der in der Frauenstreikbewegung entwickelten Grundsätze». «Die Frauenbewegung» besteht allerdings längst nicht mehr aus «entpolitisierten, aufstiegsorientierten und staatsfixierten Frauen». Daran gab es immer Kritik. Dass aus Brigitte Kiechles Ausführungen nicht deutlich wird, was ihre eigene Meinung ist, und was sie von anderen Feministinnen übernommen hat, ist sicher der essayistischen Methode geschuldet, erschwert jedoch die kritische Auseinandersetzung vor allem mit den zahlreichen Appellen an (junge?) Frauen.
Die weltweite feministische Bewegung hat sowohl in ihren Theorien als auch in ihren Aktionsformen die «Bescheidenheit» längst aufgeben. Längst gibt es transparente und solidarische Organisations- und Vernetzungsstrukturen wie Frauen*streik-Bündnisse, Pro-Choice-Bündnisse, Bündnisse für sexuelle Selbstbestimmung, feministische Antifas und Bündnisse zum 8.März – weltweit. Der moderne (Queer-)Feminismus ist bunt und vielfältig. Das eherne Gesetz der Zweigeschlechtlichkeit gilt nicht mehr. Junge Frauen entwickeln andere Kampagnen und haben andere phantasievolle Aktionsformen, als ihre Mütter und Großmütter, die daraus lernen können. Manche beteiligen sich auch und bringen ihre Ideen ein. Die neu entstandene Fridays-for-Future-Bewegung, an der viele Frauen beteiligt sind, ist ein gutes Beispiel.
Angesichts des nicht mehr zu übersehenden Rechtsrucks, der alle Gesellschaftsbereiche durchzieht, werden freilich weitere Banden und Bündnisse notwendig. Für diejenigen, die notwendiges Hintergrundmaterial brauchen, um sich anzuschließen, ist der Frauen*streik-Essay hilfreich.

*Gisela Notz ist Historikerin, Sozialwissenschaftlerin und Autorin und selber Aktivistin in einigen Bündnissen.

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