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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2019
Es ist nicht nur der Motor, es ist das Auto selbst
von Angela Klein

Die Autoindustrie ist nicht nur eine der Schlüsselindustrien des globalen Kapitalismus, sondern auch die Schlüsselindustrie des deutschen Kapitalismus: Ob beim Exportvolumen oder bei den Arbeitsplätzen, Deutschland ist Autoland wie kein anderes auf der Welt.
Die Probleme, die so eine Autogesellschaft produziert, sind mittlerweile hinlänglich bekannt: Verkehrstote, Ressourcenhunger, Luftverschmutzung, Korruption, Betrug, Mobilitätsinfarkt, Klimazerstörung…
Der Verkehrssektor generiert 20 Prozent der deutschen Treibhausgase, und ist damit drittgrößter Verursacher von Emissionen, Tendenz steigend. Laut Umweltbundesamt entfallen davon 95 Prozent auf den Straßenverkehr. Dies nicht zuletzt, weil sich die deutsche Autoindustrie immer größere, schwerere und teurere Wagen produziert – damit macht sie am meisten Gewinn. Deutschland ist vor allem deshalb «Exportweltmeister», weil es Luxusschlitten in die gesamte Welt verbreitet und überall das Klima verpestet.
Diese Autoindustrie befindet gerade in einem radikalen Umbruch: Der Betrugsskandal um die Abgaswerte des Diesel hat die Glaubwürdigkeit der einstigen Ikone «deutsches Auto» massiv erschüttert, dabei liefert er nur den Beweis, dass es einen «sauberen Diesel» ebensowenig gibt wie «sauberes Benzin» oder anderen Treibstoff. Gleichzeitig steigt der globale Konkurrenzdruck. Das Rückgrat des deutschen Exportkapitalismus gerät durch diese Zangenbewegung ins Wanken. Damit ist allerdings auch verbunden, dass unsere Arbeits- und Lebensweise in Frage gestellt ist.
Derartig unter Druck geraten, versucht die Autoindustrie den Befreiungsschlag: Umschwenken auf Elektroantrieb, Druck auf die Bundesregierung, dass sie die Infrastruktur dafür bezahlt, zugleich Abwälzung der Kosten der Verkehrswende auf die abhängig Beschäftigten: Noch bevor eine Rezession in diesem Bereich überhaupt angekommen ist, sind schon Massenentlassungen angekündigt – wegen des angekündigten Umstiegs auf Elektromobilität trifft das vor allem die zahlreichen Zulieferbetriebe im In- und Ausland.
Gleichzeitig rollt auf die Verbraucher eine Welle von Steuererhöhungen zu: Nicht allein die CO2-Steuer, die in Deutschland – man kann darauf wetten – sicher nicht 1:1 zurückerstattet werden wird wie im Nachbarland Schweiz, auch die Pkw-Maut ist jetzt wieder in der Diskussion, und zwar für alle; ebenso eine Mehrwertsteuererhöhung für Fleisch…
Wenn rebellische Jugendliche mit ihrer Forderung nach beschleunigtem Ausstieg aus der Kohle und der Erfüllung der Klimaziele aus dem Pariser Abkommen soviel Anklang in der Bevölkerung finden, nun, dann sollen sie dafür bezahlen – so das zynische Kalkül.
Dabei ist die Behauptung, der mobile Individualverkehr könne CO2-frei rollen, ein großer Betrug (siehe dazu nebenstehenden Artikel). Das Gegenteil ist wahr: Elektroautomobilität ist – wenn das bisherige Modell des motorisierten Individualverkehrs nicht in Frage gestellt wird – der letzte Notnagel der Autoindustrie, ihr Überleben zu sichern.

Eine grundlegende Wende ist nötig
Die bisherige Diskussion über die notwenige Verkehrswende konzentriert sich – ebenso wie die über die Energiewende – allein auf die Antriebsart. damit aber werden Mensch und Umwelt verlieren. Denn die Automobilindustrie verbindet damit das Ziel, den Autoausstoß massiv zu erhöhen.
Die derzeit geäußerten Versprechen oder Aussichten auf einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs – soweit sie tatsächlich durchgesetzt werden – ändern an diesem Tatbestand grundsätzlich nichts. Es ist nicht geholfen, wenn zu den vielen Autos in den Innenstädten nun auch noch mehr Busse, Fahrräder, E-Autos und Elektroroller hinzukommen. Der erste Schritt muss darin bestehen, die Autos aus der Innenstadt zu entfernen, den Güterverkehr von der Straße zu holen und das Fliegen wieder so teuer zu machen, wie es in Wirklichkeit auch ist.
Es ist auch falsch, Verkehrswende und Energiewende in einen Gegensatz zu bringen – als sei der eine Kampf wichtiger als der andere. Tatsache ist, dass eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient, einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien erfordert, sich darin aber nicht erschöpft.
Eine Konzentraton der Argumentation allein auf die Antriebsart droht, die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung für den Ausstieg aus Kohle und Atom wieder zu kippen, wenn der Umstieg auf die Elektromobilität nicht eine spürbare Entlastung von Mensch und Umwelt bringt.
Es ist also keineswegs linker Radikalismus, wenn wir die Auffassung vertreten, dass unser gesamtes Mobilitätsmodell in Frage gestellt werden muss. Das bedeutet einen Einschnitt in unsere Lebensweise, aber auch massive Einschnitte in das Geschäftsmodell der Auto- und Energiekonzerne. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den natürlichen Ressourcen und das Ziel einer lebenswerten Welt für alle vertragen sich einfach nicht mit einer Produktionsweise, die auf den privaten Profit aus ist.
Ohne die abhängig Beschäftigten, also die Mehrheit der Bevölkerung, ist dieser Kampf nicht zu gewinnen. Ihnen gegenüber ist es besonders wichtig aufzuzeigen, dass eine Verkehrswende aus dem Hause VW ihre Arbeitsplätze massiv bedroht, während eine sozial-ökologische Verkehrswende, wie sie auch viele Umweltverbände vertreten, auch ein Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze wäre.
Eben dies einmal genauer mit den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz zu besprechen, ist Sinn und Zweck des allgemeinen Klimastreiks, der am 20.9. auf Initiative von Fridays for Future stattfinden soll. Die Initiative ist goldrichtig und sollte auf Wiederholung gestellt werden.
Denn da bohren wir ein ganz dickes Brett. Die bisherige Reaktion der Gewerkschaften ist noch sehr unzureichend: Viele rufen ihre Mitglieder auf, sich zu beteiligen, das bleibt aber ihrer individuellen Entscheidung und Verantwortung überlassen. Einige appellieren sogar an die Unternehmer, dass sie ihren Beschäftigten dafür freigeben. Das könnte sich sogar zutragen – mindestens von der GLS-Bank weiß man, dass sie ihre Beschäftigten dazu aufruft.
Mit Friede, Freude, Eierkuchen wird sich die notwendige Energie- und Verkehrswende jedoch nicht durchsetzen lassen. Wenn man sie ernst meint, führt sie unvermeidlich zum Konflikt mit den Konzernen, siehe RWE!, und mit der Bundesregierung. Einen politischen Streik können sich die Gewerkschaften noch nicht vorstellen. Aber auch unterhalb dieser Ebene ist vieles möglich, was den Mitgliedern aufzeigen würde, wo die Konfliktlinien verlaufen und worum es wirklich geht.

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