von Joe DeManuelle-Hall
Die «Prime Days» am 15. und 16.Juli sind bis jetzt die größten Shoppingtage im Jahr 2019 für Amazon. Sie wurden begleitet von Protesten und Arbeitsniederlegungen in den USA und Deutschland. Die Proteste waren halb koordiniert und auf die Tage abgestimmt, an denen Amazon auf Hochtouren läuft und das Unternehmen im medialen Scheinwerferlicht steht.
In Deutschland rief Ver.di an beiden Tagen zum Streik für den Tarifvertrag auf. Laut Gewerkschaft nahmen 2000 Beschäftigte daran teil. Währenddessen trat eine kleine Gruppe in einem Versandlager bei Minneapolis in den Ausstand. Andere übergaben in einem Warenlager in Chicago der Geschäftsleitung ihre Forderungen. Beschäftigte und Unterstützende führten Kundgebungen bei zwei Warenlagern in Portland/Oregon durch.
Zur gleichen Zeit riefen Organisationen zur Verteidigung der Rechte von MigrantInnen in acht amerikanischen Städten zu Protesten gegen die Zusammenarbeit von Amazon und der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) auf. Amazon hostet die Online Datenbank, mit der Beauftragte von ICE MigrantInnen aufspüren, die sie abschieben wollen. Die Kundgebung in New York City fand vor Jeff Bezos 80 Millionen-Dollar-Penthouse statt.
Minneapolis, Chicago
Das Versandlager in Shakopee, einem Vorort von Minneapolis, ist bislang einer der Orte, der höchst konfrontative und erfolgreiche Organisierung erlebt hat. Schon zweimal marschierten Beschäftigte aus dem Betrieb, um gegen die stetig steigenden Produktivitätsziele des Managements und die Diskriminierung muslimischer ArbeiterInnen zu protestieren. Mit Unterstützung des Awood Center, einem arbeitergeführten Zentrum in Minnesotas ostafrikanischer Community, führten diese Aktionen zu den ersten Verhandlungen zwischen Amazon und einer US-amerikanischen Gewerkschaftsorganisation. Die Beschäftigten organisieren sich unter der Parole: «Wir sind Menschen, nicht Roboter», und führen auch Kampagnen gegen Repression, Gesundheits- und Sicherheitsprobleme.
Gestärkt durch das Beispiel in Minneapolis, wurden ArbeiterInnen in einem Versandlager in Chicago am 16.Juli zum Prime Day aktiv. Sie befragten KollegInnen und einigten sich auf drei Forderungen: Klimaanlagen, Gesundheitsversicherung und einen Stundenlohn von 18 Dollar während der Prime Woche. 30 Arbeiterinnen der Nachschicht trugen die Forderungen um 2.30 Uhr zum Büro des Schichtleiters. Nach einem lebhaften Hin und Her wurde ihnen ein Gespräch mit dem Standortleiter zugesagt.
«Unser Ziel heute war, ein Treffen mit der Person zu vereinbaren, in deren Hand es liegt, unsere Forderungen zu erfüllen», sagte Terry Miller (Name geändert), der an der Aktion teilnahm. «Wir wussten, dass ein Treffen das bestmögliche Ergebnis für die Aktion wäre, und das haben wir bekommen.» Nach dem Treffen gingen sie zurück zur Arbeit. Kolleginnen, die nicht mitgegangen waren, strömten zu ihnen und wollten wissen, was passiert ist. «Die Kolleginnen sahen, dass wir es geschafft haben, dass das Unternehmen uns beachtet», meint Miller, der Pakete für den Versand sortiert. «Die Leute fragten mich direkt nach der Aktion. Das erhöhte unsere Sichtbarkeit.»
Versandzentren sind der letzte Stopp in der Warenkette bei Amazon. Die Dinge kommen bereits fertig gepackt von anderen Lagern weiter vorne in der Wertschöpfungskette an. Die Arbeitenden in den Versandzentren sortieren die Pakete und laden sie in Lkw. Diese Zentren haben sich in den größeren städtischen Zentren ausgebreitet als Teil der Liefergarantie am gleichen oder nächsten Tag.
Arbeiterinnen in diesem Lager in Chicago verdienen normal 15 Dollar pro Stunde. Als Anreiz hatten die Manager für jede Überstunde 18 Dollar versprochen – aber dies galt nur für jede zusätzliche Stunde, nicht für die reguläre Arbeitszeit. Viele Beschäftigte arbeiten nicht genügend Stunden, um sich für die Gesundheitsversicherung der Firma zu qualifizieren.
Das Warenlager kann extrem heiß werden, da die Wände und Dächer aus Metall sind. Amazon gab bekannt, es würden Klimaanlagen eingebaut, nachdem es im Jahr 2012 mehrere Unfällen und Untersuchungen gegeben hatte. Aber sie wurden nie installiert.
Minnesota
Im Lager in Minnesota gingen die Beschäftigten am 15.Juli raus, um an einer Kundgebung ihrer Community teilzunehmen. Sie berichteten, Management und Polizei hätten beobachtet und notiert, wer raus ging, was abschreckend wirkte. Die Organizer hatten gehofft, dass 100 Beschäftigte rauskommen. Am Ende waren es weit weniger. Dennoch klappten die Streikposten, es wurde getanzt und demonstriert, bis Regen und Blitz der Aktion ein Ende setzten.
Einige technische Angestellte von Amazon in Seattle kamen ebenfalls. Sie sind Teil einer Gruppe, die sich «Amazon Beschäftigte für Klimagerechtigkeit» nennt. Die Gruppe hatte einen Offenen Brief geschrieben mit der Unterschrift von 8000 Beschäftigten, um das Unternehmen dazu zu bringen, auf erneuerbare Energie umzustellen und mit der technologischen Unterstützung der Öl- und Gasextraktion aufzuhören. Außerdem war mindestens ein Mitglied der Teamsters Local 1224, der Gewerkschaft für Piloten bei Atlas Air, anwesend; die Fluggesellschaft hat Verträge zum Transport von Amazongütern. Local 1224 war in den Tarifverhandlungen mit Atlas Air stecken geblieben und zielte öffentlich auf Amazon. Im Mai organisierte die Gewerkschaft eine Kundgebung beim Treffen der Aktionäre.
Ein Fokus des Ausstands in Minnesota lag auf der hohen Rate von Verletzungen, angetrieben durch den steigenden Produktivitätsdruck. Amazon hat eine Gesundheitsklinik direkt am Standort. AmCare-Beschäftigte sagen, die Klinik ist nicht ausgestattet für die Bedürfnisse an einem Arbeitsplatz, bei dem es ständig Gesundheits- und Sicherheitsprobleme gibt. «Selbst wenn ich einen Doktor rufe, schicken sie keinen», sagte Shakopee-Arbeiter Mohamed Hassan. «Es gibt dort keine Ärzte. Nicht einmal eine Krankenpflegerin. Es sind dort nur Amazon-Beschäftigte.» «Bei uns fürchten sich die Leute, zu AmCare zu gehen» sagte Kimberly Hatfield-Ybarra, eine Beschäftigte in Dallas, die auf eigene Faust zur Unterstützung nach Minneapolis flog. «Das ist dein erster Schritt nach draußen.»
Die steigenden Produktivitätsraten zwingen die Beschäftigten, zwischen ihrer Gesundheit und dem Erreichen der Zahlen zu wählen. Viele kündigen unter dem Druck oder werden gefeuert. «Wenn du nicht schnell genug bist, wie kommst du zur Toilette?», sagte Sahro Sharif, ein Picker im Lager von Shakopee. «Die Älteren können die Zahlen nicht schaffen – sie haben Angst ihre Station zu verlassen.»
Der erste Tropfen
Beschäftigte am Standort von Chicago gewannen vor kurzem mit einer Aktion den Zugang zu Wasser. «Es gab nur zwei, drei Wasserstationen im gesamten Warenhaus, die immer dreckig und leer waren», sagte Miller. Die Arbeiter reichten eine Petition herum, die 140 Unterschriften erhielt, das ist etwa ein Viertel der Belegschaft. Diese überbrachten sie beim Schichttreffen. Die Aktion führte zu schnellen Ergebnissen. Die Manager balgten sich darum, Wasser zu kaufen und jedem in der Schicht eins zu geben. Innerhalb von Wochen wurden gefilterte Wassersysteme installiert und Flaschen an alle verteilt.
Nach diesem Sieg schrieben die Organizer eine Erklärung, in der sie darlegten, was sie getan hatten und wie sie Erfolg bekommen hatten. Sie verbreiteten sie unter den KollegInnen. «Wir bekamen viel positives Feedback», sagte Miller. «Die Leute begannen vorzuschlagen, auch andere Themen anzugehen.» Die Organizer in Chicago waren von den Ausständen in Shakopee inspiriert worden und sie hoffen, weitere Beschäftigte bei Amazon zu inspirieren. «Ich würde es lieben, davon zu hören, was andere unternehmen,» sagte Miller. «Wir zeigen, was wir schaffen können, und dass Leute es anpacken sollten, statt nichts zu tun.»
Der Artikel erschien mit Beiträgen von Dave Kamper auf labornotes.org. (Übersetzung vb.)
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