von Stephan Krull
Ende Juni 2019 fand der x-te «Autogipfel» im Kanzleramt statt. Thematische Schwerpunkte des informellen Austauschs waren «künftige technologische Herausforderungen für die Automobilindustrie in Deutschland, deren Wettbewerbsfähigkeit sowie die Auswirkungen des Wandels auf Arbeitswelt und Beschäftigung im Automobilsektor» (so das Bundeskanzleramt). An dem Gespräch nahmen die Kanzlerin, mehrere Minister, die Spitzen von Union und SPD sowie Vertreter der Automobilbranche und der Gewerkschaft teil; Umweltverbände und Verkehrsinitiativen sucht man bei dieser «Konzertierten Aktion Mobilität» vergeblich.
Die Autokonzerne haben die Bundesregierung mit dem schleppenden Ausbau der Elektromobilität ordentlich düpiert: Das Ziel, im Jahr 2020 die erste Million E-Autos auf der Straße zu haben, wird grandios verfehlt. Das ist der Hintergrund für die Forderung der Konzerne nach Milliardensubventionen für den Ausbau von Ladeinfrastruktur, für die Subventionierung von Strom für die Batteriezellenfertigung und den Abbau von «Hemmnissen im Bau-, Wohneigentums- und Mietrecht», einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes sowie höhere Preise (CO2-Steuer) für Diesel und Benzin als Abzocke der Autofahrer, vor allem der Pendler, zwecks Durchsetzung von Elektroautos.
Damit sind die Dimensionen der Mobilitätswende angesprochen, wie sie sich aus der Sicht der Sicherung der Profite der Autokonzerne darstellt. «7 bis 10,5 Millionen E-Mobile stellen BMW, Daimler und VW bis 2030 in Aussicht: wenn der Staat massiv in Ladesäulen investiert und Kaufprämien für Elektroautos auslobt» (Handelsblatt, 24.6.2019).
Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sekundierte: «Es muss endlich entschieden werden, wie wir bei wichtigen Themen wie dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder bei der Batteriezellfertigung in Deutschland vorankommen. Das Zielbild ist: Jedes E-Auto kann künftig in wenigen Minuten an jeder Tankstelle aufgeladen werden. Das erfordert Investitionen in die Stromnetze» – nicht bedenkend, dass die Autoindustrie Milliardenprofite dabei realisiert und dass die erforderliche Menge an Strom überhaupt nicht zur Verfügung steht. VW-Chef Diess hat konsequenterweise die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken gefordert.
Greenwashing
Mit einer Verkehrswende und der dringenden sozial-ökologischen Transformation zur Erreichung der Klimaziele hat das Theater von Bundesregierung und Autokonzernen nichts zu tun – letzteren geht es nur um weitere Milliardensubventionen und der Bundesregierung um die Vortäuschung von Klimapolitik: Es soll der Motor gewechselt werden, aber nicht das System.
Es bliebe bei Millionen privaten Pkw und SUVs, die Straßen und Städte verstopfen, es bliebe bei der Dominanz der Autoindustrie und bei der Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen wegen der unterlassenen Mobilitätswende. Der Personalabbau bei den Stammbelegschaften hat längst begonnen, die Leiharbeiter wurden als erste vor die Tür gesetzt. Beim «Autogipfel» wurde nicht über Tempolimit gesprochen, es sei «gegen jeden Menschenverstand», wie der Minister für Automobilismus verkündete, der gerade Millionen mit der Maut in den Sand gesetzt hat. Ebensowenig wurde über bessere Bedingungen für Schienen,- Fuß- und Radverkehr gesprochen. Es geht dieser Regierung mitnichten um Mobilität, sondern ausschließlich um optimale Bedingungen für die Profite der Autoindustrie, heute eben mit Greenwashing.
In der Auto- und Zulieferindustrie gibt es zur Zeit etwa 800000 Beschäftigte mit sinkender Tendenz; alle Hersteller haben Absatzrückgänge zu vermelden, haben Personalabbau begonnen und planen Werkschließungen – allein Ford will zehn Fabriken in Europa schließen.
Die Autoindustrie, wie wir sie kennen, befindet sich in mörderischer Konkurrenz, in der verzweifelten Suche nach Fusionsmöglichkeiten und neuen Geschäftsfeldern, jedenfalls aber im Niedergang. Aktuelle Beispiele sind die Übernahme von Opel durch PSA, die Kooperationsprojekte von Daimler und BMW, von Volkswagen und Ford und die zunächst auf Eis gelegten Pläne von Fiat/Chrysler und Renault/Nissan.
Betroffene Regionen in unserem Land sind vor allem: Stuttgart, Wolfsburg, München, Bremen, Leipzig, Zwickau, Salzgitter, Emden, Kassel, Ingolstadt, Neckarsulm, Rüsselsheim, Köln und Eisenach.
Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus
Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, braucht es einen Ausstiegs- bzw. Umstiegsplan ähnlich dem Plan für den Kohleausstieg: Zeitablauf und Kosten für den Auf- und Ausbau alternativer Industrien, Dienstleistungen und also von Arbeitsplätzen zur Umsetzung gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer Sicherheit.
Die Arbeitsplatzbilanz für die nächsten 10 Jahre könnte grob etwa so aussehen (die Veränderung der Exportquote bzw. der Auslandsproduktion ist dabei noch nicht berücksichtigt):
– durch Reduzierung von Kapazitäten/Überkapazitäten fallen rund 150000 Arbeitsplätze weg,
– durch Umstellung auf E-Mobilität fallen rund 100000 Arbeitsplätze weg,
– der «Verlust» wird durch die demografische Entwicklung (rund 200000 Arbeitsplätze in zehn Jahren) fast vollständig kompensiert (das Durchschnittsalter der Beschäftigten in der Automobilindustrie beträgt etwa 45 Jahre),
– bei einer Arbeitszeitverkürzung in der Branche auf 30 Stunden müssen ca. 100000 Menschen zusätzlich beschäftigt werden,
– neue und andere Arbeitsplätze brauchen wir dann für junge Leute, die ins Berufsleben eintreten.
Im Saldo ergibt das ein Minus von 50000 Arbeitsplätzen.
Möglich und dringend nötig sind viele neue Arbeitsplätze in Bereichen wie:
– Schienenproduktion für Fern- und Nahverkehrsbahnen: das ergibt ein Plus von 10000 Beschäftigten in den Stahlwerken (Salzgitter, Eisenhüttenstadt, Bremen, Osnabrück, Duisburg, Dillingen, Unterwellenborn);
– Schienenfahrzeugbau, Waggon- und Triebwagenproduktion sowie Ausbesserungswerke (Instandhaltung): das gibt ein Plus von 100000 Beschäftigten (Görlitz, Bautzen, Henningsdorf, Salzgitter, Kassel, Mannheim, Siegen, Stendal und Dessau);
– Nahverkehrsbetriebe und Bahnbetriebe: +30000 Beschäftigte (FahrerInnen, InstandhalterInnen, StellwerkerInnen);
– Gesundheit, Kranken- und Altenpflege: +150000 Beschäftigte;
– Bildung: +20000 Beschäftigte;
– Landespflege/Umweltschutz: ein Plus von 20000 Beschäftigten.
Zusammengenommen wären das 330000 Beschäftigte, die neu benötigt würden.
Der Schlüssel zu allem: Arbeitszeitverkürzung
Durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung (z.B. durchschnittlich 30 Stunden pro Woche) würde ein großer Teil des übrigen Arbeitsvolumens aufgefangen bzw. im Interesse der Beschäftigten und der gesamten Gesellschaft alle Arbeit (auch Care-Arbeit und ein guter Teil der bisher ehrenamtlichen Arbeit) fair verteilt; Überlastung und daraus resultierende Krankheiten und gesellschaftliche Kosten würden minimiert.
Die Notwendigkeit der Qualifizierung, Umprofilierung und Weiterbildung ist offensichtlich, das braucht Zeit und Ressourcen: eine Lokführerausbildung dauert etwa ein Jahr, die von StraßenbahnfahrerInnen etwa ein halbes Jahr, eine vorherige Berufsausbildung vorausgesetzt. Das gleiche trifft auf Ingenieurinnen zu, die vom Automobilwerk in den Schienenfahrzeugbau wechseln oder auf Produktionsarbeiter, die Altenpfleger oder Erzieher werden. Materiell sind die sozialen Berufe massiv aufzuwerten.
Zeitliche Schritte müssen gegangen werden – vom gesellschaftlich getragenen Konsens über die Reduzierung des Autobaus und die Schrumpfung der Autokonzerne hin zum Schienenfahrzeugbau, von der Gesetzgebung über die Qualifizierung bis hin zur Einsatzplanung. In einem Zeitraum von zehn Jahren sollte das zu machen sein: Projekt Arbeit und Mobilität 2030!
Was den Konsens betrifft, so gibt es – nur als Beispiel – eine Mehrheit in der Bevölkerung für Geschwindigkeitsbegrenzungen auch auf Autobahnen. Nur die Autolobby und die regierenden Politiker verhindern die Durchsetzung dieses vernünftigen Mehrheitswillens der Bevölkerung; der Minister für Automobilismus spricht gar davon, Forderungen zur Geschwindigkeitsbegrenzungen seien «gegen jeden Menschenverstand» – so, als wären wir von lauter Idioten an unseren Grenzen umzingelt.
Regionale Mobilitätsräte
Bei den vorgenannten Überlegungen handelt es sich um eine Makrosicht. Die Mikrosicht muss durch regionale Mobilitätsräte erfolgen, in denen Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Politik und Industrie zusammenwirken. In einigen Bundesländern wurden bereits «Strategiedialoge» zur Zukunft der Autoindustrie etabliert – aber immer nur ähnlich der «Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität», also mit Gewerkschaften am Katzentisch von Industrie und Politik – ohne Bürgerbeteiligung, ohne die Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen. Das muss ausgebaut und ausgeweitet werden.
Es ist zweifellos möglich, diesen Umbau zu stemmen. Die Umstellung von Friedensproduktion auf Kriegsproduktion und retour ist ein Beleg dafür, aber auch viele kleinere ethnologische Veränderungen in den zurückliegenden Jahrzehnten. So wurden, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der Umstellung von der Handlackierung auf Roboter in den Lackierereien der Automobilfabriken LackiererInnen zu Online- und Offline-AnlagenführerInnen ausgebildet. Wäre es nach den Unternehmensleitungen gegangen, wären statt der LackiererInnen Ingenieure eingestellt worden, die die Roboter programmieren und steuern. Aber es hat sich gezeigt, dass Berufserfahrung und handwerkliches Geschick viel wichtiger sind für gute Arbeit als formale Qualifikation ohne praktische Kenntnisse.
Es geht also bei der sozialökologischen Transformation um einen demokratischen, sozialen und ökologischen Umbau von Mobilität, um eine Transformation der Produkte und der Produktionsverhältnisse, um einen Ausstieg aus der renditegetriebenen Konkurrenz. Es geht um die Reduzierung von Mobilitätszwängen, um Stadt- und Raumplanung, um den Abbau bzw. die Umleitung von Subventionen in den öffentlichen Personennahverkehr sowie in den Fuß- und Radverkehr – und um eine Arbeitszeitverkürzung für alle.
Quelle: www.rosalux.de/fileadmin/rls_ uploads/pdfs/Online-Publikation/5-18_Online-Publ_Auto.pdf; weitere Texte zum Thema siehe stephankrull.info.
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