von Helmut Born
Die Tarifrunden der letzten Jahre waren im Einzelhandel immer hart umkämpft. Das liegt an der Erwartungshaltung der Unternehmer, die regelmäßig bemüht sind, die Lohnkosten zu drücken, und denen Tarifsteigerungen überhaupt nicht ins Konzept passen.
Die Beschäftigten im Einzelhandel haben sich mehrmals erfolgreich gegen die Versuche des Einzelhandelsverbands gewehrt, Verschlechterungen im Manteltarifvertrag durchzusetzen. Da dauern die Tarifrunden auch schon mal ein Jahr oder länger.
Seit Jahren gibt es Bestrebungen, sowohl von Ver.di als auch vom Einzelhandelsverband, den Tarifvertrag zu «modernisieren», d.h. von einer festen Eingruppierung in Tarifgruppen weg zu einer Bewertung von Tätigkeiten zu kommen. Die Unternehmer wollen damit über den Tarifvertrag die Lohnkosten senken, während Ver.di eine Verbesserung oder zumindest keine Verschlechterung der Bezahlung erreichen will. Ebenso treten seit Jahren die Verhandlungen zu solch einem Tarifvertrag auf der Stelle und machen die unterschiedlichen Vorstellungen deutlich.
In der Zwischenzeit gehen viele Unternehmen in eine Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband «ohne Tarifbindung» (o.T.) und geben damit die Tarifbindung auf. Das gilt auch für große Unternehmen, die früher Säulen im Arbeitgeberverband waren – so zuletzt die zur Metro gehörende Real-Gruppe und das von Benko aufgekaufte Warenhausunternehmen Kaufhof.
Der andere Teil dieses Konzerns, Karstadt, ist schon seit über zehn Jahren aus der Tarifbindung ausgestiegen und hat mit Ver.di einen sog. «Sanierungstarifvertrag» abgeschlossen.
Momentan sind im Westen nur noch gut 40 Prozent der Unternehmen in der Tarifbindung, im Osten sind es sogar noch über 10 Prozent weniger. Darin zeigt sich das brutale Vorgehen großer Teile des Einzelhandelskapitals, um die Lohnkosten klein zu halten und den Beschäftigten ein Leben ohne soziale Not zu verweigern.
Das trifft nicht nur auf kleine, um ihr Überleben kämpfende Betriebe zu, sondern gilt gerade für große Ketten wie Kik, OBI, große Teile von Edeka und Rewe, aber auch für Unternehmen der Biobranche wie Alnatura, Denn’s und Bio Supermarkt.
Fordern und kriegen
Unter diesen Voraussetzungen finden nun alle zwei Jahre Tarifrunden statt, wobei Ver.di immer mit der Forderung nach einer Laufzeit von einem Jahr startet, um regelmäßig einen zweijährigen Abschluss zu unterschreiben.
In diesem Jahr forderte Ver.di eine Einkommenssteigerung von 6,5 Prozent, mindestens 163 Euro und die Wiedereinführung der Allgemein-verbindlichkeit der Tarifverträge. Die aktive Phase der Tarifrunde mit den ersten Verhandlungen begann schon vor Ende der Laufzeit des alten Tarifvertrags Ende April, schon im Mai gab es die erste «Warnstreikwelle».
Zur ersten großen Kundgebung im Düsseldorfer Hofgarten kamen über 3000 Beschäftigte, die anschließend vor der Landesgeschäftsstelle des Einzelhandelsverbands demonstrierten.
An den Feiertagswochenenden, etwa zu Pfingsten und Fronleichnam, wurden Beschäftigte in vielen Betrieben zu Streiks aufgerufen. Beschäftigte von Kaufland, Galeria Kaufhof und Karstadt, Ikea, H+M, Zara u.a. beteiligten sich an diesen Streiks. Aber die Unternehmer wollten offensichtlich wieder einen Billigabschluss und provozierten die Beschäftigten mit einem «Angebot» unter 2 Prozent.
In der vierten Verhandlungsrunde am 1.Juli kam es zu einem Ergebnis, das am 11.7. von der Großen Tarifkommission mit einer Gegenstimme angenommen wurde.
Das Ergebnis sieht folgendermaßen aus:
– Keine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge.
– Zwei Nullmonate, Erhöhung ab 1.7.
– Erhöhung der Einkommen um 3 Prozent. Für VerkäuferInnen im letzten Berufsjahr der Tarifgruppe 1 ergeben die 3 Prozent 77,50 Euro, alle anderen in höheren Tarifgruppen bekommen auch «nur» 77,50 Euro.
– Für 2020 wird es eine Erhöhung der Einkommen ab 1.Mai um 1,8 Prozent geben.
– Erhöhung der Ausbildungsvergütung 2019/20 um jeweils 50/55 Euro.
Dieses Ergebnis liegt weit unterhalb der Forderungen, mit denen Ver.di in die Tarifrunde gestartet ist, zumal wieder ein Abschluss für zwei Jahre getätigt wurde; im ersten Jahr liegt der Abschluss, wenn Nullmonate und die unterproportionale Erhöhung für die oberen Gehaltsgruppen berücksichtigt werden, weit unter 3 Prozent. Ob für das zweite Jahr wenigstens ein Teuerungsausgleich erreicht wurde, bleibt abzuwarten.
Politischen Menschen dürfte von Anfang an klar gewesen sein, dass die Allgemeinverbindlichkeit nicht allein vom Fachbereich Handel durchgesetzt werden kann, zumal dieser Punkt von den Unternehmerverbänden als nicht verhandelbar angesehen wird.
Trotzdem ist es natürlich enttäuschend, wenn die Forderung aufgestellt wird und nun schon zum zweiten Mal nichts dabei herumkommt, sondern ganz im Gegenteil, die Erosion der Tarifbindung immer weiter voran schreitet.
In gewisser Weise entspricht das Ergebnis aber dem Kräfteverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Unternehmerverband. Unter den bestehenden Bedingungen wird Ver.di dem Einzelhandelsverband keine größeren Erfolge abtrotzen können.
Voraussetzung dafür wäre, eine breite Debatte unter den Mitgliedern über eine Strategie zu führen, die die Unternehmer zu mehr Zugeständnissen zwingt, und eine breite demokratische Beteiligung bei den Abschlüssen. Eine Zentralisierung der Verhandlungen, wie von manchen gefordert, bewirkt eher das Gegenteil.
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