Schließen

Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2019

Mit der Kraft der Vernunft
von Manuel Kellner

Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen ­Rechtsradikalismus. Mit einem Nachwort von Volker Weiß. Berlin: Suhrkamp, 2019. 88 S., 10 Euro

Theodor W. Adorno sprach 1967 in Wien frei zu Studierenden über den neuen Rechtsradikalismus in Deutschland. Der NPD war damals der Sprung in mehrere Länderparlamente gelungen. Die späte Veröffentlichung des Wortlauts seiner Rede hat ein starkes Presseecho hervorgerufen. Alle Kommentare heben die auffällige Aktualität des über 50 Jahre alten Textes hervor.
Vieles in Adornos Rede stößt die Leserinnen und Leser von heute auf den Aufschwung der AfD mit ihren manipulativ-demagogischen Rattenfängerphrasen: Adornos Vermutung, dass sich in der NPD wohl die besonders «Radikalen» und «Harten» durchgesetzt hätten, evoziert die starke Position des besonders extrem rechten «Flügels» dieser Partei. Bei allen Unterschieden der Lage 1967 und 2019 sind doch die Grundmuster der rechtsextremistischen Propaganda gleich – sie knüpfen an einen in Deutschland nie ausgerotteten Bodensatz naziaffiner Gesinnung an, der eher gewachsen als eingedämmt ist. Diesen Bodensatz politisch zu bündeln und in Wahlerfolge umzumünzen ist erst der AfD gelungen. Die Zweideutigkeit der Bezüge auf Hitlers 1000jähriges (genauer gesagt 12jähriges) braunes Reich gehört damals wie heute zum rechtsextremistischen Geschäft.
Das Gleiche gilt für den Antisemitismus, der die von Nazideutschland ausgerotteten «Juden überlebt» hat: Auch der ist ja «verboten». Wenn man sie umgebracht hat, und das ist ja gar nicht erwiesen, muss das doch «einen Grund» gehabt haben. Man darf es ja nicht sagen, aber…
Hitlers Diktatur hatte zur völligen Niederlage Deutschlands geführt und den Untergang der menschlichen Zivilisation beschworen. Wer sich vom nationalistischen Standpunkt aus nicht nehmen lassen will, dass etwas Gutes daran sei, muss den Untergang wollen, auch den eigenen. Nicht umsonst war eine Parole der faschistischen Franco-Anhänger im spanischen Bürgerkrieg «Es lebe der Tod». Man muss die Rechtsextremisten immer wieder auf diese ihre selbstmörderische Bereitschaft zur totalen Vernichtung stoßen.
Adorno bezieht sich auf seine Studie von 1964, in der er darüber schreibt, wie die Existenzphilosophie vor allem eines Martin Heidegger in die Redeweise der bundesdeutschen Sonntagsredner abgesunken war. Der «Jargon der Eigentlichkeit» war die weihevolle Honoratiorensprache insbesondere der Adenauerzeit, als man zum Beispiel gerne die Wichtigkeit von «Bindungen» betonte, und seien es die der «schlagenden Verbindungen». Die Parallele zu rechtsextremen Denkmustern liegt im rein instrumentellen Verständnis der Werte, auf die man sich beruft. Gebt der Jugend doch eine «Idee»! Hauptsache es gibt etwas «Höheres», dessen genauer Inhalt ist egal. «Materialismus» wird als platter Eigennutz aufgefasst und abgelehnt zugunsten eines hohlen «Vulgäridealismus», der völlige Blindheit gegenüber den wirklich bestehenden, materiellen gesellschaftlichen Interessenkonflikten voraussetzt.
Adorno steht nicht im Ruf, zu den Armen im Geiste zu zählen. Desto angenehmer ist sein mehrfaches Eingeständnis, nicht alles zu durchschauen. Er spielt sich nicht als Besserwisser auf. Zum Beispiel heißt es im Text: «Was hinter dem Antiamerikanismus steckt, das ist schwer zu sagen», obwohl dieser an der Nazithese von den «plutokratischen Nationen» anknüpft und suggeriert, dass die Deutschen in der Welt des Ost-West-Konflikts nicht wirklich frei sind, sondern unter Vorherrschaft stehen. Adorno knüpft daran «en passant» eine wichtige Überlegung: Dass nämlich «keineswegs alle Elemente dieser Ideologie einfach unwahr sind, sondern dass auch das Wahre in den Dienst einer unwahren Ideologie dabei tritt». Es kommt also darauf an, «den Missbrauch auch der Wahrheit für die Unwahrheit aufzuspießen und sich dagegen zu wehren».
Adorno betont, dass der Aufschwung des Rechtsextremismus kein psychologisches, sondern ein politisches Phänomen ist, das mit der Konzentration des Kapitals und den Krisenerscheinungen der kapitalistischen Produktionsweise zusammenhängt. Doch zeigt er auch die Wurzeln des typisch rechtsextremistischen Antiintellektualismus auf. Es geht den Rechten nicht um Aufklärung des Unbewussten, sondern um dessen Indienstnahme. Darum ist ihnen die analytische Anstrengung ein Gräuel, die zum Beispiel die Geheimnisse der «autoritätsgebundenen Persönlichkeit» aufdeckt, an die die rechtsextreme Propaganda anknüpfen muss. Die vorgebliche Aufmüpfigkeit der Pegidaner aller Sorten maskiert deren Bereitschaft zur völligen Unterwerfung unter größenwahnsinnige Führer.
Adornos Rede endet mit dem Appell, sich nicht mit Prognosen zu begnügen: Werden die Rechtsextremisten bald an Grenzen stoßen? Das nennt Adorno «eine Art von Resignation». Es sei unsere eigene Verantwortung, wie es mit dem Rechtsextremismus weitergeht. Wir sollen nicht «Lüge gegen Lüge setzen … sondern mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten».

Teile diesen Beitrag: