Auto, Umwelt, Verkehr – Produktionskonversion revisited
von Tom Adler*
Im April 2019, im Vorfeld der Mobilisierungen gegen die IAA als Hochamt des ignoranten «Weiter so!» der Autoindustriellen und ihrer Lobby, organisierte die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Frankfurt die Tagung «Car Crash».
Vor dem Hintergrund der Konfrontation von Klima-Bewegung und Teilen von Ver.di/IG BCE in NRW war ein Ziel der RLS, «…zur Entwicklung von Diskussionssträngen beizutragen, die in Zukunft die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Konfrontation zwischen IG Metall und entstehender autokritischer Bewegung reduzieren könnten.» Unter anderem gab es auf dieser Tagung einen Workshop zur Konversion.
Mit der Klimaschutzbewegung ist die autokritische Bewegung wieder da und hat mediale Aufmerksamkeit erkämpft – nach langen Jahren eines Nischen- und Schattendaseins neben den Bewegungen gegen Atom und Kohle. Noch im Herbst 2017 hatte die RLS festgestellt: «Es ist auffällig: Während sich gegen die destruktiven Technologien wie Atom- und Kohlekraft hierzulande dynamische soziale Bewegungen entwickelten, ist die (fossilistische) Automobilität von diesen Entwicklungen verschont geblieben; die kulturelle Bedeutung des Autos ist kaum zu überschätzen, ist es doch das zentrale Symbol kapitalistischen Fortschritts geworden.»
Die Unternehmer
Zweifellos, die Herrn im Haus dieses «zentralen» Symbols waren immer wieder fähig zu taktisch flexiblem Zurück- und Ausweichen, wenn ihre Konzerne von Bewegungen angegriffen wurden. In den letzten 40 Jahren sahen sie sich mehrmals gezwungen, unter der anbrandenden Kritik und dem Druck von Umweltbewegungen die unmittelbar bevorstehende ultimative Wende zum sauberen Individualverkehr, ja, zum emissionsfreien Autos zu verkünden. Genügte gegen die Autokritik vor dem Hintergrund des Waldsterbens Anfang der 80er noch die Katalysatortechnik als «umweltfreundliche» Antwort, mussten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre von Daimler schon eine serienreife Brennstoffzellen-A-Klasse und kleinere, spritsparende «Stadt»-Autos angekündigt werden. Das Mobilitätsmodell an sich war aber noch kein Terrain, das die Autoindustrie verteidigen musste.
Das sollte sich jedoch schnell ändern. Schon Mitte der 80er Jahre stand der Pkw-Individualverkehr als Verursacher von Flächenfraß, Gesundheitszerstörung, Schadstoffemission und unwirtlichen Städten im Zentrum der Kritik von Umweltbewegungen.
Die Vorstandsetagen verstanden gut, dass diese Kritik ans Eingemachte gehen könnte, wenn Umweltbewegung und Arbeiterbewegung den Weg zueinander fänden – was nicht passiert ist, wie wir wissen. Daimler-Konzernchef Werner Breitschwerdt jedenfalls warnte «seine» Arbeiter und Angestellten 1986: «Die heute so oft gestellte Frage, ob das Auto Zukunft hat, kann damit im Kern als Frage der Zukunft unsrer Technik überhaupt und damit letztlich auch als Frage nach der Zukunft unsrer Kultur insgesamt verstanden werden.»
Im Betrieb
Der Aufschwung der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung in den 70er Jahren hatte große Attraktivität für und Einfluss auf undogmatische Linke in Betrieben und Gewerkschaften. Die großen Zukunftsfragen fanden ihren Niederschlag im Pausengespräch am Arbeitsplatz. Und auch in der gewerkschaftlichen Debatte, denn die Zahl linker Aktivisten und ihrer Netzwerke in den Gewerkschaften war relevant. Eine Periode gesellschaftlicher Gärung um und nach 1968 – die Lehrlingsbewegung, wilde Streiks und große gewerkschaftlicher Kämpfe – hatten den Boden dafür bereitet und Bereitschaft zu Diskussionen auch in den Autobelegschaften in Gang gesetzt. Die Frage «Wo soll sich das alles hin entwickeln?» war kein exklusives Thema für Expertenzirkel mehr.
Der faszinierende Plan der Arbeiter und Techniker des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace, die in den 70er Jahren den drohenden Massenentlassungen kämpferisch einen Plan zur Umstellung der Produktion auf sozial nützliche Güter entgegengestellt hatten, inspirierte linke ArbeiterInnen und Angestellte der Autoproduktion genauso wie die auf norddeutschen Werften.
Um die lange Zeit aus der gewerkschaftlichen und politischen Diskussion verdrängte Frage: «Was soll produziert werden und wer soll darüber entscheiden» entstanden betriebliche und gewerkschaftliche Arbeitskreise zur Rüstungskonversion («Statt Waffen nützliche Dinge produzieren») und Ingenieursarbeitskreise, v.a. in der IG Metall. Zu einer Veranstaltung des IG-Metall-Ingenieursarbeitskreises im Stuttgarter Gewerkschaftshaus kamen 500 Metaller, um von Bosch-Betriebsräten frühe Kritik an den geplanten, immer schwereren Autos zu hören. Sie stellten dar, wie Investitionen in den Transferstraßenbau für Elektromotoren bei Bosch nur den einen Sinn hätten: immer mehr Motoren zur unsinnigen elektrischen Verstellung von Fenster, Kofferraumdeckel, Sitzen, Spiegel etc. in künftige Autos zu stopfen – was sie immer schwerer mache – eine Kritik an den Vorboten der SUV-Produktion.
Der Vorschlag der Plakat-Gruppe
Linke Kritik im Betrieb nahm seit Anfang 80er Jahre nicht mehr nur die Arbeitsbedingungen, die Verteilungs- und Eigentumsfrage in den Blick, sondern auch die stoffliche Seite des Produkts Auto, seiner Herstellung sowie seine sozialen und ökologischen Folgen. So wurde eine «erste Ideenskizze für eine Verkehrswende» (!) von Daimler-«Plakat»-Betriebsrat Willi Hoss mit dem Titel «Alternative Verkehrskonzepte und ihre Auswirkungen auf die Automobilindustrie» vorgelegt.
Im Daimler-Werk Untertürkheim führte die Plakat-Gruppe vor einem bevorstehenden Investitionszyklus in neue Transfermaschinenstraßen eine Debatte über den Produktionsapparat und warf die Frage auf: «Was können wir eigentlich mit so einer Anlage anderes herstellen als Achsen, Kurbelgehäuse und Zylinderköpfe für Pkw?» Dem auf hohe Stückzahlsteigerungen ausgelegten Einzweck-Transfermaschinenstraßenkonzept der Werkleitung stellten wir ein Konzept flexibler Universalmaschinen in Fertigungsinseln gegenüber. Ein Konzept, das eine Konversion weg von der Autoproduktion als Option offen gehalten hätte. Zehntausende von Flugblättern wurden dazu verteilt, Diskussionen in den Werkstätten mit den KollegInnen geführt, monatelang wurde das alternative Produktionskonzept im Betrieb diskutiert, die Werkleitung musste sich auf Betriebsversammlungen damit auseinandersetzen und mit eigenen Info-Blättern dagegenhalten.
Denn das Konzept wurde an der Basis nicht abgetan als weltfremde Spinnerei, weil es die Qualifikationsinteressen der KollegInnen aufgriff und ihre existenziellen Bedürfnisse als Lohnabhängige nicht aus dem Blick ließ – eine Grundvoraussetzung auch für den heute so dringenden Neustart der Konversionsdebatte in Betrieb und Gewerkschaft im Zeichen der Klimakrise. Denn wer die KollegInnen der Autobetriebe nicht als zu gewinnende Bündnispartner sieht, sondern sie denunziert als auf Gedeih und Verderb ans Produkt Auto gekette Gegner eines sozialökologischen Umbaus, kann sie nur tief in die Arme des eigentlichen Gegners treiben – der Autolobby, der Konzernvorstände und der politischen Rechten.
Der Höhepunkt dieser Welle der Autokritik setzte noch 1989 die Autokonzerne unter massiven Legitimationsdruck. Der Spiegel titelte am 11.9.1989 mit einer scharfen Kritik an der «Gesellschaft im Autodelirium» und machte schon damals den CO2-Ausstoß des Pkw-Systems für eine drohende Klimakatastrophe (!) verantwortlich. Die zunehmende Kritik an den zerstörerischen Folgen des Pkw-basierten Transportmodells Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre ging auch am Apparat der IG Metall nicht spurlos vorbei.
Jürgen Stamm, IGM-Hauptamtlicher der IG Metall Stuttgart, diskutierte 1985 mit den dissidenten Daimler-Betriebsräten der Plakat-Gruppe auf dem Podium im «Alptraum-Auto»-Zelt der Stuttgarter Öko-Bewegung über deren Vorschläge zum Umbau des Produktionsapparats. Die IG Metall Esslingen organisierte Wochenendschulungen für IGM-Vertrauensleute aus dem Daimler-Betrieb Mettingen. Dort diskutierten Ingenieure und Arbeiter aus Gießerei, Werkzeugbau und Achsenproduktion – ausgehend von der dringenden Verkehrswende weg vom Pkw – die Frage, was für nützliche, sozial und ökologisch vertretbare Produkte mit dem existierenden Produktionsapparat im Neckartal produziert werden könnten, und gleichzeitig über existenzsichernde Konzepte wie Arbeitsverkürzung im Umbauprozess.
Der damalige Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, stellte beim Zukunftskongress der IG Metall 1988 fest: «Seit Mitte der 70er Jahre ist immer deutlicher geworden: die Fortschreibung vorhandener Entwicklungstrends ergibt insgesamt keine annehmbare Zukunft mehr … Die Umweltfrage ist zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden. 20% der Weltbevölkerung verbrauchen rund 80% der Weltressourcen und sind für 80% der Emissionen auf dieser Erde verantwortlich.»
Die IG Metall
Mit zeitlichem Verzug folgte 1990 die auch in den Autobetrieben viel diskutierte IGM-Publikation Auto, Umwelt und Verkehr – Umsteuern, bevor es zu spät ist! Deren Analyse erkennt und benennt die drohende Klimakatastrophe: «…eine weltweite Angleichung der Pkw-Dichte an das Niveau der Industrieländer wäre beim Stand der Technik katastrophal für den Energie-, Rohstoff- und Klimahaushalt der Erde.» Sie kritisiert die «Verführung zur PS-Protzerei und Prestige-Exhibitionismus», denen sich 30 Jahre später selbst grüne Oberbürgermeister und Ministerpräsidenten willig zur Verfügung stellen.
Das waren bemerkenswerte Feststellungen für eine stark von den Betriebsräten der Auto- und Zulieferindustrie geprägten Gewerkschaft, die an den weltweiten Wachstumsstrategien ihrer jeweiligen Konzerne meist nichts zu kritisieren fanden! Auto, Umwelt und Verkehr endete mit der Schlussbemerkung: «Gleichwohl sind Automobilmanager und Verkehrspolitiker immer noch dabei, Probleme zu verharmlosen und die Strategien von gestern fortzuschreiben.»
Wir sehen rückblickend, dass die Broschüre 1990, im Jahr nach dem Mauerfall, der vorerst letzte Versuch war, in der IG Metall Konzepte zur Verkehrswende zu debattieren und zu verankern. Denn auch die große Mehrheit ihrer Betriebsräte sind auf diesem Weg der «Verharmlosung und der Fortschreibung der Strategien von gestern» mitgegangen. Mit der Erschließung fast aller Länder der Welt als Absatzmärkte war die Bedrohung von Arbeitsplätzen wegen gesättigter Metropolenmärkte und die Suche nach (Beschäftigungs-)Alternativen etwa in einer Verkehrswende nicht mehr das organische Bindeglied zur Debatte um die Schädlichkeit des Produkts. Produkt- und produktionskritische Diskussion wurden verschüttet und kassiert.
Diese ernüchternde Bilanz autokritischer Diskussion in der IG Metall schmälert deren Bedeutung nicht. Sie muss vielmehr wieder auf den Tisch geholt werden. Denn dies «organische Bindeglied» bekommt durch die Rationalisierungsstrategien der Autokonzerne neue Aktualität. Klima, Umwelt und Verkehrsfragen werden in der Periode vor uns wieder mit den sozialen Problemen zusammenfallen. Zehntausende hochqualifizierter Ingenieure, Techniker und Facharbeiter in den Autobetrieben und -regionen sind ein dafür aktivierbarer Think-Tank, wenn ihre Kreativität und Qualifikation nicht mehr wie in den letzen Jahrzehnten auf anachronistische Ziele fokussiert wird. Und «umsteuern, bevor es zu spät ist», ist ein Imperativ der Klimaschutzbewegung.
* Tom Adler hat bei Daimler in Mettingen gearbeitet und war Mitglied der Plakat-Gruppe.
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