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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2019

Beschäftigte wehren sich gegen weitere Spaltungen
von Jane Slaughter, Chris Brooks*

Fast 50000 UAW-Beschäftigte streiken gegen General Motors in den USA und gegen ein zweistufiges Einstellungssystem, das die Solidarität der Beschäftigten untergräbt. Doch die Mitglieder müssen möglicherweise an zwei Fronten kämpfen – gegen das Unternehmen und gegen ihre eigene Gewerkschaftsführung.


Es ist der größte Streik in der Privatwirtschaft seit dem letzten Zusammenprall von Gewerkschaft und Unternehmen im Jahr 2007. In 55 Fabriken und Teile-Zentren wurde die Produktion eingestellt. Der Streik könnte GM zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar Gewinn pro Tag kosten. Vor dem Streik lag die Gewinnprognose des Unternehmens für das 3.Quartal bei 3,5 Milliarden US-Dollar.
Die Streikenden hoffen auf eine Aufholjagd, denn die United Auto Workers (UAW) hatten im Jahr 2007 zweistufige Löhne vereinbart; danach folgte die Große Rezession und die Rettungsaktion, die GM 50 Milliarden Dollar Steuergelder und noch mehr Konzessionen in die Kassen spülte. Das Unternehmen hat sich seitdem erholt und in den letzten drei Jahren einen Gewinn von 35 Milliarden US-Dollar erzielt. Im vergangenen Jahr hat GM keine Einkommensteuer an den Bund gezahlt und der Vorstandsvorsitzenden Mary Barra 22 Millionen US-Dollar geschenkt.
GM fordert von seinen überarbeiteten Beschäftigten weitere Zugeständnisse. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Unternehmen die Gewerkschaft als einfachen Gegner betrachtet, insbesondere nach dem öffentlich bekannt gewordenen Korruptionsskandal, der die Führungsspitze der Gewerkschaft erschüttert hat. Es ist ein Beleg für die Macht der Arbeitenden an der Basis, dass sie trotz allem geschlossen die Arbeit niedergelegt haben. Selbst als die Gewerkschaftsführung im Vorfeld des Streiks über die Verhandlungsziele nachdachte, entschieden die Beschäftigten, wofür sie bereit waren zu kämpfen. Streikposten vor dem GM-Montagewerk in Detroit sagten am 16.?September, ihre Priorität sei die Gleichstellung von Zeitarbeitenden und Arbeitenden der zweiten Stufe.

Ausgründungen
Heute verdienen ausgelagerte Hausmeister in den Werken nur 15 US-Dollar pro Stunde. In der Vergangenheit waren sie direkte Angestellte von GM und unterlagen dem Tarifvertrag mit rund 31 US-Dollar pro Stunde. Solche Jobs waren oft Beschäftigten mit hohem Dienstalter vorbehalten, deren Körper von Jahren am Fließband abgenutzt waren. Die meisten Arbeiten, die GM als Nebenarbeiten ansieht, wie das Sequenzieren von Teilen zur Versorgung der Linie, werden heute von Zeitarbeitenden ausgeführt. Das Werk in Spring Hill, Tennessee, mit 5200 Beschäftigten ist beispielsweise durchgehend von der UAW organisiert, aber nur 3600 sind bei GM unter Vertrag. Die anderen gelten als «Zulieferpartner» und arbeiten für unabhängige Unternehmen vor Ort. Im GM Tech Center, außerhalb von Detroit arbeiten 1300 Beschäftigte bei GM und 550 bei Aramark, sie verrichten sowohl Hausmeister- als auch Handwerksarbeiten. Alle traditionellen Gewerke werden entweder in «mechanisch» oder «elektrisch» aufgelöst.

Zeitarbeit
GM schwächt die Standards weiter, indem es sich auf sog. Zeitarbeitskräfte oder «Permatemps» stützt – das sind Beschäftigte, die die gleichen Tätigkeiten wie reguläre Arbeitende ausüben, jedoch für weitaus weniger Lohn – etwa 15 US-Dollar – und mit schlechteren Zusatzleistungen. Zeitarbeitskräfte dürfen nur drei Arbeitstage pro Jahr fehlen, diese Tage werden nicht bezahlt, sie müssen vorher eine Genehmigung dazu einholen und können gezwungen werden, sieben Tage in der Woche zu arbeiten. «In der letzten Februarwoche, in der die Gewinnbeteiligungsschecks ausgegeben werden, stehen zwei Beschäftigte nebeneinander, die das ganze Jahr über die gleiche Arbeit geleistet haben. Einer erhält 11000 US-Dollar, der andere nichts», sagt Michael Herron, Vorsitzender von UAW Local 1853 in Spring Hill. Als vor Jahren erstmals Zeitarbeit erlaubt wurde, sagten die drei großen Autohersteller (Ford, GM und Chrysler), sie würden damit nur Personalausfälle kompensieren. Aber jetzt sagt GM, dass 7 Prozent seiner Beschäftigten Permatemps sind. Laut Herron gibt es davon in Spring Hill über 200.

Keine Hilfe von der Gewerkschaft
Streikende Autoarbeiter versuchen, sich aus ihrem Loch herauszuarbeiten, aber die Gewerkschaftsführung gibt wenig Hilfestellung dafür. Sie hat vor dem Streik keine Vertragskampagne organisierte, um die Mitglieder zu stärken und Druck auf das Management auszuüben, und die Forderungen nicht bekannt gemacht. Streikpostenschilder sagen einfach «UAW on Strike». Am Fließband von Detroit-Hamtramck wurde einem Anhänger gesagt, er solle sein handgemachtes «Solidarity»-Schild nicht tragen. Nur die offiziellen Schilder waren willkommen. Nicht ein Button wurde im Werk verteilt.
Es gab keine Mitgliederumfrage, keine einfachen Vertragsaktionsteams, keine Verhandlungsbulletins, um die Mitglieder auf dem Laufenden zu halten. Kein Üben von Streikposten, keine Verweigerung von Überstunden, keine Öffentlichkeitsarbeit, keine offenen Verhandlungen – keine der Taktiken, die in vielen Gewerkschaften üblich geworden sind. Die Mitglieder wussten nur, was sie in den Medien lesen, erklärte der Sachbearbeiter Sean Crawford bei der Flint Assembly.
Angesichts der gewaltigen Gewinne von GM war die UAW in einer guten Position, um diesen Streik in eine nationale Kampagne gegen die Gier der Unternehmen zu verwandeln, so wie es die Teamsters während des Streiks von 1997 bei UPS taten, wo sie verkündeten?: «Teilzeit-Amerika wird nicht funktionieren.» In jüngerer Zeit haben die Lehrer «Schulen [gefordert], die Schüler verdienen». Leider hat die UAW bis zum Beginn des Streiks keinen Versuch unternommen, die Probleme der Autoarbeiter mit etwas in Verbindung zu bringen, das die Öffentlichkeit hinter den Streikenden versammeln könnte.
GM will, dass die Mitglieder mehr für die Krankenversicherung bezahlen, und bietet eine Anhebung der Löhne unterhalb der Inflationsrate an: 2 Prozent im ersten und dritten Jahr sowie 2 Prozent Pauschalbeträge im zweiten und vierten Jahr. Schlimmer noch, die Konzernleitung bietet keine Änderung des abscheulichen Stufensystems an. Ein Zeichen für ihre harte Haltung ist, dass sie die Krankenversicherung für die Streikenden nicht mehr bezahlt. Die Gewerkschaft muss das teilweise auffangen. In früheren Jahrzehnten bezahlten die Autohersteller Krankenversicherung auch während der Streiks.

Korruption in den eigenen Reihen
Kompliziert wird der Streik durch den Korruptionsskandal, der die oberste Ebene der Gewerkschaft erreicht hat. Die Häuser von Präsident Gary Jones und Ex-Präsident Dennis Williams wurden am 28.August vom FBI durchsucht. Vance Pearson, der für Jones arbeitete, bevor dieser Präsident wurde, wurde angeklagt, Gewerkschaftsgelder für seinen persönlichen Luxus verwendet zu haben, und es wird allgemein angenommen, dass Jones und Williams die nächsten sein werden, die gerichtlich belangt werden.
Pearson, der im Vorstand der UAW geblieben ist und an Verhandlungen teilgenommen hat, obwohl sein Vertrag abgelaufen war, ist der sechste UAW-Gewerkschaftssekretär, der wegen Bestechung angeklagt bzw. verurteilt wurde. Ein anderer war Vizepräsident, ein dritter der oberste Berater in der GM-Abteilung der Gewerkschaft. Crawford sagte zu Beginn des Streiks: «Ja, die UAW ist korrupt. Es ist unglaublich widerlich. Aber es geht nicht um sie. Es geht um uns. Wir können und werden in unserem Haus sauber machen. Aber wir haben jetzt einen unmittelbareren Kampf vor uns.»
Mitch Fox, jetzt bei Romulus Engine in der Nähe von Detroit, seinem dritten GM-Werk nach zahlreichen Stilllegungen und Entlassungen, ist der Ansicht, dass der schlechte Ruf der Hauptamtlichen sogar ein Motiv für den Streik sein könnte: Vielleicht versuchen sie angesichts der ganzen Situation Respekt zurückzugewinnen, hoffentlich ist das der Plan.»

Das Recht mit Nein zu stimmen
Wenn es nach früheren Tarifverträgen geht, dürfte der Vertrag, den Jones aushandelt, schwach ausfallen. Wenn der Streik eher dazu gedacht ist, die eigenen Mitglieder zu zermürben als GM, akzeptiert die Gewerkschaftsführung möglicherweise einen Deal mit einem hohen Bonus und vielen Stufen. In diesem Fall haben GM-Streikende nur ein Mittel zur Verfügung: Sie können mit Nein stimmen. Sie können das tun, was Chrysler-Mitarbeiter im Jahr 2015 getan haben: Diese haben einen Vertrag abgelehnt, der das zweistufige Einstellungsystem verankerte.
Einfache Chryslerbeschäftigte, die keine gewerkschaftliche Unterstützung hatten, stellten damals Flugblätter und T-Shirts her, gründeten Facebookgruppen, um sich über ihre Taktik auszutauschen, und versammelten sich außerhalb der Informationstreffen. Sie taten, was niemand in der UAW für möglich gehalten hatte, und lehnten das Angebot des damaligen UAW-Vorsitzenden Dennis Williams mit 2:1 ab. Damit überwanden sie seine trotzige Erklärung, «das Ende der zwei Stufen [sei] Schwachsinn!» und holten einen Teilsieg. Das Angebot wurde nachgebessert. In einem Vierjahresvertrag wurde das langsame Hineinwachsen in die volle Entlohnung für Beschäftigte der zweiten Stufe im Laufe von acht Jahren festgeschrieben (allerdings immer noch ohne Rente und eine gleichwertige Krankenversicherung). Bald nach dem Chryslervotum, vielleicht ermutigt durch das Nein bei Chrysler, lehnten GM-Facharbeiter ihren Vertrag ebenfalls mit fast 60 Prozent ab und setzten einige Verbesserungen durch).
Was die Autohersteller mit einer Hand gaben, nahmen sie jedoch mit der anderen weg: Eine weniger beachtete Bestimmung im Vertrag erhöhte auch den Einsatz von Zeitarbeitskräften.
«Ich stimme keinem Vertragsvorschlag zu, der nicht jedem GM/UAW-Mitglied einen Weg zur Gleichstellung eröffnet», sagt Crawford. «Das ist ein heiliger Grundsatz. Das heißt Zusammenhalt. Diese Gelegenheit könnte nicht wiederkommen.»

* Erschienen auf labornotes.org am 18.9.2019, hier gekürzt.

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