Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Amerika 1. Oktober 2019

Die unwürdige Rolle der deutschen Botschaft in Nicaragua
von Matthias Schindler

Als jemand, der in den 80er Jahren von Anbeginn an die Solidarität mit Nicaragua und die Bewegung zur Schaffung von Städtepartnerschaften aktiv mit aufgebaut hat, ist es für mich unerträglich, wie die deutsche Diplomatie das aktuelle Regime Ortega unterstützt und dabei auch noch unsere historische Solidaritätsarbeit für sich in Anspruch nimmt.

Die bisherige deutsche Botschafterin, Ute König, bot eine höchst peinliche Abschiedsrede – wegen ihres fürchterlichen «Spanisch» genauso wie wegen ihrer demonstrativen Äquidistanz zwischen den Opfern und den Tätern der orteguistischen Repressionsmaschine. Wenige Tage vorher hatte sie sogar die Verleihung des Ordens «José de Marcoleta en el Grado de Gran Cruz» durch das diktatorische Regime akzeptiert und sich dafür auch noch artig beim Präsidentenpaar Ortega/Murillo bedankt. Einen entsprechenden Abschied von der demokratischen Bewegung gab es nicht. Damit stellte sich die Botschafterin öffentlich und deutlich sichtbar auf die Seite der Diktatur.
Auf der Homepage der deutschen Botschaft verbreitet der neue Botschafter Christoph Bundscherer eine Message, in der er sich auf die Nicaragua-Solidarität und auf die Städtepartnerschaften beruft, die in den 80er Jahren entstanden sind.
Unsere Solidarität galt zu jener Zeit einem demokratischen Befreiungsprozess, der zwar mit Mängeln – die wir heute besser wahrnehmen, als wir es damals getan haben – behaftet war, der aber auch eine Aufbruchstimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung hervorgerufen hat. Unsere Solidarität hatte eine klare Orientierung: Unterstützung eines selbstbestimmten Weges des nicaraguanischen Volkes.
Das heutige Regime Ortega hat nichts mit den Zielen und der Realität der sandinistischen Revolution der 80er Jahre zu tun. Ortega persönlich kontrolliert heute alle Institutionen des Staates und der Gesellschaft Nicaraguas. Er und sein engster Zirkel haben sich zu einer neuen mächtigen Kapitalgruppe formiert. Wer ihn nicht unterstützt, wird gnadenlos verfolgt, unterdrückt, gefoltert und ermordet. Seine Paramilitärs stehen Gewehr bei Fuß, um ihr Handwerk in seinen Diensten jederzeit wieder verstärkt aufzunehmen. Täglich erhalten wir neue Meldungen über den staatlichen Terror gegen die Bevölkerung Nicaraguas.
Die Städtepartnerschaften wurden in den 80er Jahren – entgegen dem Willen der damaligen CDU/CSU/FDP-Bundesregierung! – als politisches Signal gegen die Interventionspolitik der USA gegen Nicaragua aufgebaut. Um es nicht bei reinen Worten zu belassen und um auf kommunaler Ebene überhaupt in dieser Richtung handeln zu können, wurden sie um eine materielle Komponente zum Aufbau des Landes bereichert.
Wenn zu jener Zeit Verhältnisse geherrscht hätten, wie sie heute in Nicaragua bestehen, dann hätte es weder eine starke Solidaritätsbewegung gegeben, noch wären jemals Städtepartnerschaften aufgebaut worden!
Die Städtepartnerschaften hatten damals eine starke politische Komponente, und sie haben es heute immer noch. Sie werden von der Diktatur Ortega dazu missbraucht, um «Normalität» und «Business-as-usual» vorzugaukeln und um auf diesem Weg das Regime und dessen nach wie vor täglich stattfindende Repressionsmaßnahmen zu legitimieren. So wie unsere Solidarität und die Städtepartnerschaften damals einen selbstbestimmten Weg des nicaraguanischen Volkes unterstützen sollten, so müssen unsere heutigen Solidaritätsaktivitäten dazu dienen, die Opfer vor der Repression zu schützen und die demokratische Basisbewegung zu unterstützen.
Auf diplomatischer Ebene wären klare und öffentliche Ansagen gegen die Unterdrückungspolitik Ortegas das angemessene Mittel der Wahl. Dies ist die einzige Sprache, die Ortega versteht. Die Bundesregierung geht diesen Weg offensichtlich nicht, angeblich, um ihre potenzielle Mittlerrolle in einem eventuellen späteren Dialog nicht zu gefährden. Ortega lacht sich derweil ins Fäustchen. Deutschland macht genau das, was er braucht, um sich an der Macht zu halten. In der Hoffnung, ihre weltpolitische Rolle möglicherweise zu stärken, lässt die Bundesregierung die demokratische Bewegung Nicaraguas am langen Arm verhungern.
Das ist im Moment kaum zu ändern.
Aber bitte nicht in meinem Namen!!!
Lasst bei euren absurden diplomatischen Manövern die Solidaritätsbewegung aus dem Spiel!!!

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.