Übernahm eine kuriose Sekte den Staat?
Polityka
Zwei Journalisten der Polityka gehen der Frage nach wie es dazu kommen konnte, dass eine dekadente Partei, die den Eindruck einer kuriosen Sekte vermittelt und mit einem Vorsitzenden, der von vorgestern zu sein scheint, zu solch einer starken Gruppierung wurde, die nahezu alle Regeln des Staates verändert?
Als 2007 nach den Wahlen die PiS die Regierungsmacht verlor, glaubten viele, dass ihre Tage gezählt wären. Die Bürger Plattform von Donald Tusk erschien als eine Partei die genau im Trend der Zeit für ein offenes Polen in der EU liegt, wo vor allen Dingen die jungen Menschen davon profitieren konnten. Zeitgleich gab es aber auch keine Oppositionspartei, die sich mit der Bürger Plattform messen konnte. Aber dann begann die Krise und die Menschen konnten das an ihrem Geldbeutel erkennen. Tusk hielt es für wichtig die öffentlichen Finanzen beisammen zu halten und nahm sich sozialer Fragen nicht an (Gehälter, Renten und Rentenalter). Hier sah Kaczynski seine Chance. Vergessen wurden alle die durch die EU eröffneten Möglichkeiten, vergessen wurde das Fiasko der Regierungszeit der PiS. Die Bürger Plattform war so von sich und ihrer Regierungsarbeit überzeugt, dass sie die PiS nicht für voll nahm. Alle sozialen Forderungen wurden mit „das geht nicht“ abgeschmettert. Die Menschen nahmen sie als gefühllose Apparatschiks wahr. Die Bürger Plattform wähnte sich so fest im Sattel und der Überzeugung, dass ihnen die Macht zusteht und so begannen sie sich um ihre eigenen - auch finanziellen - Interessen zu kümmern.
Kaczynski ist der Überzeugung, dass sie durch ihre Mehrheit das Recht haben alle Entscheidungen durchzusetzen und alle anderen sich dem beugen müssen. Wer dem Souverän entgegensteht, muss dem untergeordnet oder ruhig gestellt werden. Alle Institutionen haben dementsprechend dem Souverän loyal zu sein und von dementsprechenden Leuten geleitet werden. Für Kaczynski gelten sie weiterhin als demokratisch, und wenn z. B. ein Staatsanwalt ein Verfahren einstellt, dann ist es grundsätzlich rechtens auch wenn er der Regierung direkt in Form des Justizministers und gleichzeitigem Generalstaatsanwalt untersteht.
Mit seinem 500+ Programm hat Kaczynski alle diejenigen auf seiner Seite, die auf das Geld angewiesen sind. Es ist kaum anzunehmen, dass sie gegen ihn stimmen werden, „Geld regiert die Welt“ könnte auch hier aus Erfahrungen angeführt werden. Wichtig war es allen Menschen das Geld direkt in die Hand zu geben und nicht in Form irgendwelcher Vergünstigungen Die Lücke ihm Etat wird später und auf ihre Kosten geschlossen, Pläne liegen in den Schubladen. Die Menschen sollen erkennen, dass die Regierung gut ist und sich ihnen zuwendet. Dafür sollen sie all die anderen „Reformen“ im Staat aus den Augen verlieren.
Wie sich Regierung Staatsanwälte hörig macht
Wyborcza, 25.8.2019
Staatsanwälte der Region Krakau haben haben im Mai einstimmig einen Appell verabschiedet, in dem sie vor Einschränkungen der Unabhängigkeit der Staatsanwälte warnen, indem Vorgesetzte Einfluss auf ihre Entscheidungen in laufenden Verfahren einnehmen. Daraufhin wurden einige Staatsanwälte in andere teils untergeordnete Behörden versetzt. Außerdem mussten sie feststellen, dass 2018 im Vergleich 200-300% mehr Verfahren nicht aufgenommen werden konnten. Ein Grund dafür ist, dass immer mehr Staatsanwälte in nächst höhere Staatsanwaltschaften delegiert werden. Für die Delegierten ist es eine Beförderung und zahlt sich auch finanziell aus. Es gab in Krakau Bereiche, bei denen 90% der Staatsanwälte delegiert waren. Delegationen gab es schon immer. Aber jetzt nimmt es andere Formen an. Zumeist werden junge unerfahrene Staatsanwälte dazu genommen, um das zu machen was vonihnen erwartet wird. Sonst gehen sie wieder zurück auf ihren alten Posten. (Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Zbigniew_Ziobro)
Oft ist es nicht möglich die Verfahren sachgerecht durchzuführen, weil sich die zu bearbeitenden Verfahren häufen. Dann kommt dazu die Abhängigkeit der Staatsanwälte von der Obrigkeit. „Delegationen“ werden nicht nur in Form von evtl. Beförderungen vollzogen, sondern auch als Strafen, wie es jetzt die Krakauer Staatsanwälte betrifft, die sich kritisch geäußert haben. Der „Rädelsführer“, der pflegebedürftige Eltern hat, wird in das 300 km entfernte Wroclaw „delegiert“.
Als Beispiel einer Karrieristen mag Renata Spiewak gelten. In der Staatsanwaltschaft seit 2015 wurde sie nach 17 Monaten an die Staatsanwaltschaft der Region Warschau delegiert. Sie führt die Ermittlungen gegen Kaczynski wegen Betruges an einem österreichischen Unternehmer. Diesbezüglich hat sie nichts unternommen. Aber gegen den Unternehmer hat sie ein Verfahren wegen Verleumdung eingeleitet, der es abgelehnt hat in Warschau vernommen zu werden. (Für Kaczynski hat dieser Unternehmer Pläne für die Errichtung von zwei Zwillingstürmen – Lech/Jaros?aw – angefertigt. Nachdem PiS nicht das Bürgermeisteramt in Warschau bekam, hat Kaczynski das Projekt verworfen und den Unternehmer nicht bezahlt)
Diese Praktiken gibt es erst seit 2017 und es gibt immer wieder Beförderungen, wenn die Verfahren im politischen Kontext der führenden Partei durchgeführt werden.
Wahlergebnisse Europawahl 2019
PiS | PO,PSL,SLD, Grüne | Wiosna | Nationalisten | Kukiz 15 | Linke Razem Unia Pracy |
45,38% | 38,47% | 6,06% | 4,55% | 3.69 | 1,24% |
Wahlergebnisse Parlamentswahlen Polen 2015
PiS | PO | Kukiz 15 | Nowoczesna | Linke Koalition | PSL |
37,58% | 24,69% | 8,81% | 7,6 % | 7,55% | 5,13 % |
Umfragen zu Wahlverhalten vom 23. August (Vergleich 13. 8.)
PiS | PO, Grüne, Intiative PL Nowoczesna | Linke SLD, Wiosna, Razem | PSL Kukiz 15 | KonförderationNationalisten |
Parteilose
|
39% -5 | 30% +3 | 11% | 6% +2 | 6% +1 | 1% |
Appell an die Wähler
„Wir nähern uns einem wichtigen Wendepunkt für unser Vaterland! Wem sein Schicksal nicht gleichgültig ist, wem es nicht gleichgültig ist, ob seine Kinder in Frieden und Freiheit leben werden, die sollten am 13. Oktober zur Wahl gehen. Diesen Appell richten wir an dem Tag, als das Parlament Tadeusz Mazowiecki mit der Regierungsbildung ohne der führenden Rolle der Partei erteilte. Nehmen wir es nicht auf unser Gewissen was passiert, wenn der PiS wieder die Möglichkeit geboten wird in den nächsten Jahren den demokratischen Staat zu vernichten. Jagen wir sie aus der Regierung! Sagt es reicht!“
Unterzeichnet von Mitgliedern der Mazowieckie-Regierung,
Warschau 24. August 2019
Szenario von Kaczynski zur Wahl
studioopinii.pl, 3.8.2019
Dazu braucht der Präses zwei Dinge: uneinige Gegner und ein Schreckgespenst. Bei den Wahlen 2015 ist Petru aus der Bürger Plattform (PO) ausgeschert und hat die neoliberale Nowoczesna gegründet. Razem schloss sich nicht der Linken Koalition und diese erreichte nicht die dafür erforderlichen 8%. So konnte PiS allein regieren. Die Umfragen zeigte damals genau diese Tendenzen. Aber irren ist menschlich. Als Schreckgespenst machte sich damals Kaczynski die Geflüchteten gefügig, die es in Polen nicht gab.
Jetzt gibt es neben der PiS drei oppositionelle Gruppierungen, die zur Wahl antreten. Sie werden vielleicht mehr in die Waagschale werfen als die Koalition zur Europawahl, aber ob sie dadurch mehr Mandate erhalten als die PiS ist fraglich. Jetzt hat die PiS auch noch ein Schreckgespenst: LGBT, Gender – Ideologie, somit die Attacken auf die Familie und die Sexualisierung der Kinder. Die Ereignisse bei den Paraden für Gleichheit, wie im Fall von Bialystok wo die friedlichen Demonstranten dem rechten und dem frommen Mob ausgeliefert waren, führte zu weiteren Protesten. Für die Machthaber und die Kirche sind daran die Opposition und ausländische Kräfte Schuld. Dieses Schreckgespenst, dass die polnische Familie und Tradition zerstören will, ist nicht nur bei den Wählern der PiS verankert. Es gibt ein Potential an Nichtwählern, die es genauso sehen. Wenn die zur Wahlurne gehen, dann könnten alle Voraussagen platzen. Und Kaczynski schürt Angst und streut Gift und Hass unter die Menschen. Wenn die Opposition dies nicht wahrnimmt, nur sich im Blick hat und nicht gegensteuert...
PiS plant nach der Wahl Erhöhung der Sozialbeiträge
Wyborcza, 8.8.2019
Die Pläne liegen noch in den Schubladen, schließlich möchte die PiS die Wahlen gewinnen. Aber sie muss auch ins Staatssäckel wieder Geld herein holen, um all die Wahlversprechen zu finanzieren.
Bisher war es üblich bei zwei Arbeitsverhältnissen nur einen Lohn mit Sozialkosten zu belasten, dann sollen alle Bezüge belastet werden. Dies bedeutet zwar, dass die Beschäftigten später auch eine höhere Rente erhalten. Aber es steigt auch die Arbeitskosten der Unternehmen, Beobachter fürchten eine Grauzone auf dem Arbeitsmarkt. Auch sollen in Zukunft selbstständig Beschäftigte und arbeitende Studenten Beiträge zahlen. Dabei ist es gerade was die Studenten anbelangt ein gewisser Absurd sind doch grade Jugendliche bis zum 26 Lebensjahr von Steuern befreit worden.
Nun soll das Limit für die Einzahlung in die Rentenkassen aufgehoben werden. Es lag bei etwa 8.000PLN monatlich. Dies diente dazu in Zukunft die Rentenkassen nicht über das Limit zu überlasten. Jetzt würde der Trick der PiS zusätzlich 5,1 Milliarden jährlich bringen und die Auszahlung der Zukunft überlassen.
Die „Offenen Renten Fonds“, die seinerzeit geschaffen wurde, um eine zweite Säule für die Rente zu schaffen, die dann durch Prozente mehr bringen sollte, führte dazu, dass das Geld durch Niedrigzinsen und Kosten für diese privaten Anbieter immer weniger wurden. Jetzt werden sie 2020 schrittweise aufgelöst und der Staat will 15% davon kassieren, wenn die Nutznießer sie auf individuelle Konten umwidmen, aber dies wird erst im Januar bekannt gegeben. Des weiteren sollen Arbeitgeber und bei Kapitalgesellschaften in eine Zusatzrente zusammen mit dem Arbeitgeber 2-4% einzahlen. Der Termin für die Unterschrift mit den Arbeitgebern wurde vom 10. Oktober auf den 12. November verschoben. Erst nach den Wahlen werden die Arbeitnehmer merken, dass sie weniger in der Lohntüte haben.
Der Staat braucht durch die vielen Wahlgeschenke viel Geld: 500+ für jedes Kind 41,2 Milliarden, dazu kommt der Verzicht auf Lohnsteuer bei den 26 jährigen, die 13. Rente…
So gut und schön auch diese Veränderungen in mancher Hinsicht, wie z. B. Eine zweite Säule für die Rente, sein werden, aber das Geld wird jetzt ausgegeben und in 10...20 Jahren muss dann die Regierung sehen woher sie das Geld nimmt.
Herumgezerre vor den Wahlen
Polityka, 13.8.2019
Für alle drei Lager, die sich zur Wahl stellen ist der nominelle und symbolische Gegner die PiS. Sie werden kaum etwas an der Stimmverteilung im Vergleich zur EU Wahl verändern. Wie die Wahlen ausgehen werden, wagt keiner vorauszusagen. Allerdings haben sich die Bündnisse etwas geändert. Die SLD, die zunächst mit der neoliberalen PO im Bündnis war, ist jetzt in einem linken Bündnis. Unter ihren Bedingungen hat sie die anderen aufgenommen. Die Postkommunisten haben die führende Rolle in diesem Bündnis und stellen die ersten Listenplätze und somit haben sie die stärkste Macht. Das einzige was die drei Parteien SLD, Wiosna und Razem verbindet ist der Antiklerikalismus bzw. Antikatholizismus. Zumindest kann dies Stimmen bringen, denn 4% der aktiven Wähler hasst die Kirche und 8% mögen die Kirche überhaupt nicht. Also könnte ein zweistelliges Ergebnis herauskommen. Eine andere Gemeinsamkeit haben die drei Parteien nicht, also müssen sie dies zu Felde führen. Die PiS ist gar nicht der Gegner der Linken, denn ihre potentiellen Wähler haben nichts mit diesen Parteien gemeinsam, dies betrifft auch die PSL – Wähler. Ganz anders ist es bei dem Bündnis der Bürger Plattform. Ihre Anhänger sind vorwiegend in Städten über 100.000 Einwohnern zu finden und dort ist die Abkehr von der Kirche bezeichnend. Die Bürger Plattform hat eine evolutionäre Reform hinter sich gebracht. Zunächst begann sie als eine mitterechts Partei mit mittelinken Anteilen. In den Jahren 2007 bis 2019 haben sich diese Verhältnisse umgekehrt. Der konservative Teil der PO ist bedeutungslos geworden. Dafür stehen jetzt diejenigen in der ersten Reihe, wie der Bürgermeister von Warschau, die offen die Bewegung LGBT unterstützen. Auch wie es bei der konservativen Bauernpartei PSL zusammen mit den Nationalisten und gegen das Etablissement gerichteten Kukiz – Leuten laufen wird ist noch unklar. Auch hier wird es Wählerbewegungen geben. Es könnte passieren, dass die PSL der PiS gerade in den Städten Wähler abnimmt. Aber dafür müsste sie etwas tun und das könnte zum Zünglein an der Waage werden.
Aus der Tiefe holt die Plattform ihre Reserven
Przeglad, 19.8.2019
An erster Stelle der Liste der Plattform in Krakau wird Pawel Kowal stehen, von ihm wird gesagt, dass er schöne Reden hält und intelligent ist. Wäre er aber zudem auch schlau gewesen, wäre wohl seine politische Karriere anders verlaufen. So war er von 2005 bis 2007 Mitglied in der PiS Regierung, dort war er Vertreter der Außenministerin Anna Fotyga. Sie wurde damals als die schlechteste Besetzung in diesem Amt angesehen – damals wusste noch niemand von dem weitaus ungeeigneterem Waszykowski. Hat denn Kowal nichts gemerkt? Hat er nicht an dem Bau der IV. Republik des Kaczynski mitgemacht? Jetzt soll dieser Kowal im liberalen Krakau das Gesicht der Bürger Koalition sein, wie sich die Plattform nennen wird.
Jugendliche legen Glauben ab, verlassen die Kirche
Gazeta Wyborcza, 10.8.2019
Die Untersuchungen beziehen sich auf 16- bis 18jährige SchülerInnen
Aus einer Tabelle ist zu ersehen, dass das Tempo 2010 zulegt. Was passierte damals? Offensichtlich die Katastrophe von Smolensk und der sich daraus entwickelnde Kult manche sprechen auch von der „Smolensker Religion“.Dies führte zu einer Radikalisierung der Sprache bei der PiS und die Religion machte sich im gesellschaftlichen Leben breit. Dies allerdings hat bei den jungen Leuten, die in diese Politiker kein Vertrauen haben und in ihnen nur Karrieristen sehen, die auf eigene Vorteiler bedacht sind, auch die Geistlichkeit kompromittiert. Die aggressive Form des Smolensker Kultes war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.
In dieser Zeit nahm aber das Internet mit all seinen Möglichkeiten immer mehr Raum ein, 2010 waren 90% der 15-19 Jährigen mit dem Internet verbunden. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Religion im öffentlichen Leben, auf der anderen Seite verlassen immer mehr junge Leute die Kirche. Die Kirche sieht die entschwindende Kraft und macht das was Mächtige in ähnlichen Situationen machen – sie gehen in die totale Offensive. Die Offenlegung ihrer Verbrechen bzw. deren Vertuschung nehmen sie nicht in Demut auf, sondern schließen die Reihen und schlagen um sich, reden von einer Kirchenverfolgung und erinnern an die fünfziger Jahre, als der Primas im Gefängnis saß. Welch ein Absurd!
Im politischen Leben spielen die jungen Leute keine Rolle, sie sind erstmalig in Polen in der Minderheit, sie leben unter dem Diktat der Alten. Sie sehen auch keine Chancen etwas zu ändern, sie sind in der Mehrheit Individualisten, nur 32% sehen es als praktikabel an mit anderen zusammen zu arbeiten. Die Abkehr der Jungen von der Kirche spielt sich in aller Ruhe ab. Wenn sie aber in 20-30 Jahren an die Regierung kommen werden, werden sie das Angesicht dieser Erde (warum der Erde?)total verändern.
Daniel Olbrychski, ein bekannter Schauspieler: „Alles war wir erreicht haben, kann mit einem Federstrich durch jeden Minister dieser dummen und schändlichen Partei vernichtet werden.“
Jedraszewski, Erzbischof von Krakau, hat mit seiner Aussage über eine Pest, der die Regenbogenfahne voran geht, auch innerhalb der Kirche Wellen des Protestes ausgelöst. Sogar Petitionen zu seiner Absetzung waren im Umlauf. Die kirchlichen Vorgesetzten haben schnell reagiert und ihre Untergebenen ruhig gestellt:Versetzung, Verbannung, Klosterzelle, Redeverbot...
Datum der Erstellung: 2.9.2019