Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2019

Der 20.9. ist ein Wendepunkt
von Angela Klein

«Wir sind diejenigen, die den Unterschied ausmachen. Wenn niemand anderes zur Aktion schreitet, werden wir das tun» (Greta Thunberg in New York).

Der Radikalisierungsprozess der F4F ist in vollem Gang. Zwar hört man auf den Kundgebung ihre Sprecherinnen immer noch sagen: «Unternehmer und Politiker sollen endlich handeln.» Doch die bestärken die jungen Leute gerade darin, dass sie selber handeln müssen. Den Klimaplan der Bundesregierung haben F4F eine Bankrotterklärung genannt. Und wenn aus der derzeit tagenden UN-Vollversammlung keine greifbaren Ergebnisse herauskommen, wovon nicht wirklich auszugehen ist, dann sind die Schleusen offen. Dann beginnen vielfältige Suchbewegungen nach alternativen Ansätzen. In ihrer Rede in New York sagte Greta: «Wenn Sie sich entscheiden, uns zu verraten, werden wir Ihnen das nie verzeihen.»
Als ein erster Radikalisierungsschritt hin zu eigenem Handeln bieten sich die mittlerweile zahlreichen Initiativen an, die zivilen Ungehorsam organisieren. Und diese haben sich in der Vorbereitung zu den Blockadeaktionen vor der IAA wie auch zum WeCampforFuture vor dem Reichstag zu einem beeindruckenden Bündnis zusammengetan: Am Boden bleiben, ausgeCO2hlt, DeCOALonize Europe, Ende Gelände, Free the Soil, Gastivists, Gerechte1komma5 – der Klimaplan von unten, Interventionistische Linke, Sand im Getriebe. Sie bieten sich F4F als Partner in der Aktion an, denn beide wollen dasselbe.
Wenn die Gegenseite realisiert, dass ihre Umarmungstaktik nicht erfolgreich war, wird sie ihre Spaltungsmanöver verstärken. Jetzt schon werden die Fridays immer wieder vor den bösen Buben von Ende Gelände und der IL gewarnt. Besonders abschreckend soll dabei wirken, dass diese vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Der Kölner Express, ein sozialdemokratisches Boulevardblättchen, zeigte sich am Tag nach dem 20.9. über die Möglichkeit dieser Radikalisierung sehr besorgt: «Der Weg vom Klimaschutz zum Antikapitalismus ist kurz.» Wie wahr.
Aber auch die Suchbewegung selbst birgt Spaltungsgefahren in sich, weil die Kräfte dann naturgemäß in verschiedene Richtungen streben. Das kann auch die Freitagsdemonstrationen selbst gefährden, wenn einige anfangen zu meinen, die würden es nicht mehr bringen.
Dieser – möglichen –Tendenz muss dringend entgegengearbeitet werden, ebenso wie den Versuchen, die radikaleren Initiativen für zivilen Ungehorsam von den F4F abzuspalten. Nur wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung in all ihren Komponenten immer wieder auch zusammen auftritt und nicht nur jeder sein eigenes Ding macht, bewahrt sie die ungeheure Schubkraft, die sie bislang entfaltet hat und die ihr erlaubt, die Gesellschaft bis in die hintersten Winkel aufzumischen. Die Freitagsdemonstrationen sind unbezahlbar!

Die Präsenz der Gewerkschaften am 20.9. war alles in allem bescheiden. Vieles wird sich jedoch abseits vom Licht der Öffentlichkeit abgespielt haben. Manchmal ist doch was publik geworden, etwa:
– Viele Stadtverwaltungen in Deutschland haben ihren Beschäftigten für die Teilnahme an der Demo freigegeben. der Express meldete: «An den Kliniken der Stadt Köln wird heute an allen Standorten auf Fleisch verzichtet. Im Rahmen einer kurzen aktiven Mittagspause wurde symbolisch auf dem Gelände in Merheim ein Baum gepflanzt.»
– Mehr trauten sich die Beschäftigten von Amazon: Am Firmensitz in Seattle gingen hunderte Beschäftigte raus. Sie hatten in den Tagen davor durchgesetzt, dass Amazon sich verpflichtet, bis 2040 CO2-neutral zu sein und 100000 Elektrobusse einzusetzen. Die Beschäftigten haben einen «4-Punkte-Katalog» ausgearbeitet, der noch darüber hinausgeht: völliger Stopp der Kohlendioxidemission bis spätestens 2030; keine Software-Dienstleistungen mehr an Unternehmen; die fossile Energie als Geschäftsmodell haben; keine Unterstützung für Wahlkämpfe von Politikern, die den Klimawandel leugnen; keine Repression gegen Klimaflüchtlinge.
Auch bei anderen Technologiekonzerne wie Google, Microsoft, Facebook und Twitter gab es Aktionen – von Seattle und San Francisco bis New York, Toronto, Cambridge, Dublin und Bangalore. (Siehe auch #techclimatestrike.)

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