Ein Rückblick und ein Ausblick
von Gus Fagan
1975: das erste Referendum
Im Oktober 1972 stimmte das britische Unterhaus, angeführt vom konservativen Premierminister Edward Heath, mit 356 zu 244 Stimmen für einen Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG); der Beitritt erfolgte im Januar 1973. Es gab dazu kein Referendum.
Die Labour Party war damals in dieser Frage gespalten. Die Parteilinke war generell gegen die EWG, und als die Partei 1972 ihre Jahreskonferenz abhielt, stimmte eine große Mehrheit der Mitglieder gegen eine Mitgliedschaft. Dieser Kurs wurde auch von den beiden damals größten Gewerkschaften, der Transportarbeiter- und der Metallarbeitergewerkschaft, unterstützt.
Bei den Parlamentswahlen im Februar 1974 versprach das Manifest der Labour Party ein Referendum über die Mitgliedschaft. Labour gewann die meisten Sitze und bildete unter Harold Wilson eine Minderheitsregierung. Im Oktober fand eine zweite Parlamentswahl statt, die Labour eine knappe Mehrheit im Unterhaus verschaffte. Im Juni 1975 fand das Referendum statt. Die Führung von Labour war in der Europafrage gespalten. Die Parteilinke war in den 70er Jahren mit starker gewerkschaftlicher Unterstützung gewachsen und so neigte sich das Kräfteverhältnis nach links und gegen Europa.
Die Ja-Kampagne wurde von Harold Wilson angeführt, obwohl Labour auf einer Konferenz mit 2–1 dagegen votiert hatte. Für ein Ja beim Referendum waren auch die Chefin der Tories, Margaret Thatcher, und eine große Mehrheit der Tory-MPs sowie die Liberalen. Die Nein-Kampagne wurde von den Kabinettsmitgliedern Tony Benn und Michael Foot (der spätere Labour-Vorsitzende) sowie der linken Parteimehrheit geführt. Auch wurde sie von der Scottish National Party (SNP), der walisischen Plaid Cymru, den Ulster Unionists und der CPGB unterstützt.
Beim Referendum waren 67 Prozent der abgegebenen Stimmen für die weitere Mitgliedschaft in der EWG. Der Ja-Anteil war sehr hoch in konservativen Regionen mit mittlerem oder höherem Einkommen, aber schwächer in ärmeren Gebieten, die traditionell Labour unterstützten.
Zu dieser Zeit wurde die Labour-Linke von Tony Benn angeführt. Benn war ein charismatischer Führer, ein brillanter Redner und ein Mann mit Ideen. Sein Hauptargument gegen die EWG war, dass sie undemokratisch sei (geleitet von nichtgewählten Funktionären), die Orthodoxie des freien Markts fördere und die Demokratie in den Mitgliedstaaten beschränke. In jener Zeit hatten die Argumente gegen die EWG sehr wenig mit Handel zu tun. Es ging um Demokratie und die Fähigkeit, demokratische parlamentarische Ziele zu verfolgen, ohne dabei von nicht rechenschaftspflichtigen und nichtgewählten Funktionären eingeschränkt zu werden, die nicht zu den repräsentativen Institutionen Großbritanniens gehörten. Benn war in großem Ausmaß ein parlamentarischer Sozialist. Die Rolle von Massenbewegungen und Arbeiteraktionen war darauf beschränkt, ein radikales Parlament zu unterstützen.
Die gewerkschaftliche Opposition gegen die EWG-Mitgliedschaft basierte auf der Gegnerschaft gegen kostspieligere Nahrungsmittel (die Nahrungsmittelimporte aus den Commonwealth-Ländern waren billiger) und auf der Furcht, billige Importe aus Europa könnten britische Arbeitsplätze gefährden, sowie auf dem Glauben, dass die Industrie sich innerhalb der EWG auf den Kontinent verlagern werde, was besonders für Schottland und Nordirland schädlich wäre.
Die Labour-Linke und die Anti-EWG-Stimmung wurden stärker. 1980 wurde der Labour-Linke Michael Foot zum Parteivorsitzenden gewählt, Tony Benn unterlag nur äußerst knapp bei der Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden 1981. Doch da war Labour schon nicht mehr an der Regierung. 1979 hatten die Tories unter Thatcher die Wahlen gewonnen. Unter dem Vorsitz von Neil Kinnock und später unter Tony Blair wurde die Parteilinke dramatisch geschwächt, es gelang aber nicht, sie vollständig zu beseitigen.
1979–2015: Jahre der Dürre
1982, nach der Niederlage von Tony Benn, bildeten 21 linke Labour-Abgeordnete die Socialist Campaign Group als Alternative zur gemäßigt linken Tribune Group. In den Folgejahren blieb die Campaign Group bei ihrer Gegnerschaft zur EWG, mit der Zeit trat diese aber immer mehr in den Hintergrund ihrer Aktivitäten. Jeremy Corbyn war als junger Labour-Aktivist ein Freund Tony Benns und von ihm inspiriert. Er war an dessen Kampagne für den stellvertretenden Parteivorsitz 1981 beteiligt und seit 1983 Unterhausabgeordneter (MP). Corbyn war ein aktives Mitglied der Campaign Group und wurde später ihr Sekretär. Er arbeitete auch eng mit einer anderen starken linken Gruppe in der Partei zusammen, der von Vladimir Derer geführten Campaign for Labour Party Democracy (CLPD).
Zwischen 1983 und 2015 war Corbyn eine der Hauptsprachrohre der Labour-Linken und an Kampagnen zu Südafrika, Nordirland, Palästina und gegen Atomwaffen beteiligt. 2001 wurde er Mitglied der Leitung der Stop the War Coalition und schließlich ihr Vorsitzender. Als die Labour Party von 1997 bis 2015 die Regierung stellte, war Corbyn einer der rebellischsten linken MPs und stimmte bei zahlreichen Gelegenheiten gegen die Labour-Regierung. Als Corbyn 2015 Parteivorsitzender wurde, stellte ihn die Presse häufig als obskuren Hinterbänkler dar. In Wirklichkeit ist Corbyn jahrzehntelang eine bekannte Figur der Labour-Linken gewesen. Doch war es eine schwache Labour-Linke, die in Dutzenden Jahren durch die Angriffe seitens New Labour, die Zugeständnisse von Labour, vor allem unter Tony Blair, an den Markt, den Neoliberalismus, die Sparpolitik und den Militarismus deutlich geschwächt worden war.
2016: das zweite Referendum
In dem Jahrzehnt, das auf den Finanzkrach von 2008 folgte, inmitten wachsender Unzufriedenheit über die Austeritätspolitik, der wirtschaftlichen Stagnation und dem, was als wachsende Bedrohung durch Masseneinwanderung wahrgenommen wurde, begann eine wachsende Anzahl von Wählern der Konservativen für eine Partei zu stimmen, die bis dahin relativ randständig gewesen war, die United Kingdom Independence Party (UKIP). Diese Partei bekam nun auch Unterstützung von der weißen Arbeiterklasse in den deindustrialisierten Städten Nordenglands, die mit der Sparpolitik, den Sozialkürzungen und der Privatisierung des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) unzufrieden war. Ideologisch ähnelte sie dem rechten Flügel der Tories, aber ihre Rhetorik war, insbesondere unter ihrem 2006 gewählten Vorsitzenden Nigel Farage, populistisch und nationalistisch – ihre Hauptforderung war der Austritt aus der EU. Aber sie war auch gegen Immigration, Multikulturalismus und Sozialliberalismus.
Bei den Kommunalwahlen 2013 gewann die UKIP 163 Sitze. Bei den Europawahlen 2014 erzielte sie über 27 Prozent der Stimmen (die Tories erhielten 23 Prozent). Bei den Unterhauswahlen 2015 gewann sie 12 Prozent der Stimmen. Einige Tory-MPs standen der UKIP nahe; 2014 wechselten zwei von ihnen zur UKIP.
Obwohl es keine massiv vernehmbare Forderung nach einem Austritt aus der EU gab und obwohl viele, die für die UKIP stimmten, dies aus anderen Gründen taten (Einwanderung, genereller Protest gegen die etablierten Parteien usw.), beschloss der konservative Premierminister David Cameron, einem möglichen Verlust seiner MPs an die UKIP vorzubeugen, indem er ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft ansetzte. Er nahm an, dass die Bevölkerung für einen Verbleib in der EU stimmen würde. Das war ein Irrtum, der der Konservativen Partei eine viel größere Krise einbrachte, sie weiter nach rechts zerrte und sie schließlich vor eine Zerreißprobe stellte. Dabei verlor sie ihre Mehrheit im Parlament und einige ihrer prominentesten führenden Mitglieder.
Die Situation im Unterhaus stellte sich nun folgendermaßen dar: Die Tories waren in ihrer Opposition zur EU vereint und entschlossen, sie zu verlassen. Die Liberalen, die schottischen und walisischen Nationalisten sowie die Mehrheit der Labour-MPs waren für den Verbleib in der EU. Die Führung der Labour Party unter dem linken Jeremy Corbyn war dabei wie im Song von Stealers Wheel aus den 70ern «stuck in the middle».
Zwei grobe Fehler
Fehler haben in der jüngsten britischen Politik eine bedeutende Rolle gespielt. Camerons Entscheidung war ein klarer Fehler, wie er jetzt zugibt. Die Wahl von Corbyn zum Labour-Vorsitzenden war aus Sicht der Parlamentsfraktion ebenfalls ein Fehler. Als Ed Miliband im Mai 2015 nach einem Wahlsieg der Tories als Parteivorsitzender zurücktrat, begann in der Partei der übliche Prozess der Auswahl eines neuen Vorsitzenden. Die offensichtlichen Kandidaten waren bekannte Mitte-Links-Gestalten aus den Reihen der Vorderbänkler der Fraktion im Unterhaus. Corbyn beschloss zu kandidieren, aber er hatte nicht die die nötige Anzahl von Labour-MPs unter seinen Unterstützern, um in den Ring zu steigen. Deshalb sprachen sich einige Abgeordnete, obwohl sie nicht seine Anhänger waren, dennoch für seine Nominierung aus. Die Partei konnte so ihre Großzügigkeit gegenüber ihren alten linken Hinterbänklern zeigen.
Der rechte Spectator kommentierte: «Ein alter Blair-Anhänger in der Partei sagte mir, sie würden Corbyn gern auf der Kandidatenliste sehen, um der Linken eine Lehre zu erteilen.» Dies war ein Fehler. Corbyn siegte bereits in der ersten Runde. Wie konnte dies geschehen? Wie war der nicht charismatische Corbyn in der Lage zu schaffen, was seinem Mentor Tony Benn 1982 nicht gelungen war?
Einer der Gründe hat mit dem Wandel der britischen Gesellschaft seit den 70er Jahren, der Ära Benn, zu tun. Damals galt das keynesianische Modell von Labour als gescheitert und Thatchers Versprechen eines neoliberalen, vom Markt angetriebenen Aufschwungs war für die Eliten und breitere Teile der Gesellschaft, die der Unruhen und Streiks müde waren, attraktiv. Heute ist dieses neoliberale Versprechen entlarvt. Nach Jahrzehnten der Stagnation ist die Gesellschaft nicht mehr von Argumenten über die Notwendigkeit der Sparpolitik oder von der Weisheit des Marktes überzeugt. In den 70er und 80er Jahren lag der Schwerpunkt der Linken auf der gewerkschaftlich organisierten industriellen Arbeiterklasse. Heute liegt er mehr auf der Gesellschaft im allgemeinen, auf den Armen, der Jugend, auf dem weitgehend nicht gewerkschaftlich organisierten öffentlichen Sektor. Die Themen sind nicht so sehr die Löhne als vielmehr die Ablehnung der Sparpolitik, der Antirassismus, die Rechte der Minderheiten, der Klimawandel, die Bildung und ein besserer öffentlicher Dienst. In diesem politischen und gesellschaftlichen Kontext begann Jeremy Corbyn seine Kampagne.
Ein weiterer Grund sind die veränderten Parteistatuten bezüglich der Wahl des Vorsitzenden. Der frühere Mechanismus zu Wahl eines neuen Vorsitzenden bestand in einem Wahlkollegium aus MPs, Gewerkschaften und Mitgliedern. Unter dem Vorsitz von Ed Miliband wurde das Prinzip «Ein Mitglied, eine Stimme» eingeführt. Jetzt konnte die Mitgliedschaft den Vorsitzenden wählen. Die Anhänger von Blair hatten dies unterstützt, weil sie die Verbindung mit den Gewerkschaften kappen wollten und meinten, eine linke Initiative seitens der Mitgliedschaft nicht fürchten zu müssen. Das war ein Fehler, den sie bedauern sollten.
Schließlich war der wahrscheinlich bedeutendste Faktor Corbyn selbst. Hier war nun eine nicht charismatische, ehrliche und aufrichtige Person, die Klartext sprach, ohne den üblichen Jargon und die üblichen Ausflüchte der anderen Kandidaten. Was er bot war radikal anders, aber für die breite Öffentlichkeit war es glaubwürdig. Er machte die Partei wieder attraktiv, nicht nur für einige der älteren Generation, die in der Zeit von Tony Benn aktiv gewesen waren, sondern vor allem für Menschen, die sich als links betrachteten, aber der Partei von Kinnock oder Blair nichts abgewinnen konnten. Sie identifizierten sich mit Corbyn, vertrauten ihm und traten der Partei zu tausenden bei, um seine Wahl zu sichern. Die Mitgliedschaft von Labour stieg von Mai 2015 bis Juli 2016 von 190000 auf 515000. Im September 2015 wurde Corbyn mit einem erdrutschartigen Sieg zum Vorsitzenden der Labour Party gewählt.
Labour und die EU unter Corbyn
Corbyn wurde Parteivorsitzender zu einer Zeit, als für das britische Wahlvolk die EU-Mitgliedschaft die entscheidende Frage war. Das Referendum war für den Juni 2016 angesetzt. Die große Mehrheit der Labor-MPs war für den Verbleib in der EU. Auch die meisten der seit Mai 2015 neuen Mitglieder waren dafür. Corbyn unterstützte daher das «Remain» im Referendum, aber seine Reden und Stellungnahmen während der Kampagne waren auch gegenüber manchen Aspekten der EU kritisch. Auch die Liberalen und die nationalistischen Parteien unterstützten das Remain. Unterstützung für die «Leave»-Kampagne kam hauptsächlich von seiten der Tories. Das Referendum am 23.Juni 2016 ergab einen Sieg des «Leave» von etwa 52 Prozent gegenüber 48 Prozent.
Wenige Tage später traten die Labour-MPs zusammen und sprachen Corbyn mit 172 zu 40 Stimmen ihr Misstrauen aus. Sie waren in allen Fragen gegen Corbyn, aber ihr Vorwurf lautete, er habe die EU im Referendum nur lauwarm unterstützt. Absetzen konnten sie Corbyn nicht, denn er war ja von der Mitgliedschaft gewählt.
David Cameron trat als Premierminister zurück und Theresa May wurde an seiner Stelle gewählt. Um die Tory-Mehrheit im Parlament zu erhöhen, setzte sie für Juni 2017 neue Unterhauswahlen an. Das Ergebnis war eine Katastrophe für die Konservativen. Labour gewann mit Corbyn 40 Prozent der Stimmen – ein Zuwachs von 10 Prozentpunkten – und 32 zusätzliche Sitze. Die Tories erreichten 42 Prozent und verloren 13 Sitze sowie ihre Mehrheit im Unterhaus. Wenngleich Labour die Wahl nicht gewann, war das Ergebnis doch ein gewaltiger Erfolg für die Corbyn-Führung. Sie hatte die Unterstützung für Labour im Land dramatisch gestärkt, unter einem Vorsitzenden, den die Presse und die meisten MPs als unwählbar bezeichnet hatten.
Theresa May handelte nun die Bedingungen aus, unter denen Großbritannien die EU verlssen sollte, und brachte das Abkommen vor das Parlament, wo es dreimal scheiterte. Labour, die Liberalen und die nationalistischen Parteien stimmten gegen den Deal. Labour wollte, dass der Deal mehr Rechte für die Lohnabhängigen enthält, mehr Schutz für die Umwelt, und eine engere Verbindung zum Binnenmarkt, um britische Arbeitsplätze zu schützen. Die Liberalen und die Nationalisten stimmten dagegen, weil sie unter allen Umständen gegen den Austritt aus der EU sind. Aber auch ein bedeutender Teil der Tory-MPs stimmte gegen den Deal, weil sie dachten, dass er zuviele Konzessionen an die EU machte, besonders in der Frage der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. Laut dem Deal wären Nordirland oder ganz Großbritannien in einer Zollunion mit der EU geblieben, bis eine adäquate Lösung in der Frage der irischen Grenze gefunden worden wäre. Dies ist der berühmte «Backstop», die Garantie, dass die im Karfreitagsabkommen getroffenen Regelungen, die die jahrzehntelange Gewalt in Irland beendet haben, nicht durch eine neue Grenze zwischen beiden Teilen Irlands in Frage gestellt würden.
Theresa Mays parlamentarisches Scheitern bei der Durchsetzung ihres Deals führte zu ihrem Rücktritt. Mitglieder der Konservativen Partei wählten daraufhin den rechten, Anti-EU-MP Boris Johnson zum Parteivorsitzenden und Premierminister. Er versprach, Großbritannien «um jeden Preis» bis zum 31.Oktober aus der EU zu führen. Seitdem hat er eine aggressive Kampagne gegen die den Verbleib in der EU unterstützenden Parteien geführt. Er hat sogar versucht, das Parlament dichtzumachen, was vom Obersten Gerichtshof für illegal erklärt wurde.
Vor diesem Hintergrund hat die Labour-Führung für einen schwierigen, aber sinnvollen Kurs entschieden: Die Konservativen wollen «um jeden Preis» austreten. Die Liberalen und Nationalisten wollen unzweideutig drinbleiben. Labour beschloss, beide Seiten der Wählerschaft zusammenzubringen, mit dem Angebot von Neuwahlen, nach denen eine Labour-Regierung einen günstigeren Deal mit der EU aushandeln würde, der die irische Grenzfrage durch den Verbleib in einer Zollunion löst und die britischen Lohnabhängigen sowie die Industrie durch eine enge Bindung an den EU-Binnenmarkt schützt. Eine Labour-Regierung würde dann ein Referendum über diesen Deal anbieten, bei dem die Wähler entscheiden können, ob sie ihn unterstützen oder lieber in der EU bleiben.
Tatsächlich hatte die Labour-Führung in den letzten Monaten aufgrund der extrem schwierigen internen Situation in der Partei kaum eine andere Wahl, als etwas anzubieten, dass beide Seiten ansprechen kann. Aber der allgemein von Labour seit dem Referendum eingeschlagene Weg war in bedeutender Hinsicht ein Fehlschlag. Die Labour-Führung unter Corbyn hat den Brexit akzeptiert; sie will nur einen anderen Brexit als die Tories – einen mit Arbeiterrechten, mehr Zugang zum Binnenmarkt zur Förderung britischer Jobs, Respektierung des Karfreitagabkommens usw. Aber niemand in der Labour-Führung hat ein positives linkes Argument vorgebracht, warum Großbritannien unter einer Labour-Regierung in der Lage sein soll, eine bessere, weniger konzernfreundliche Gesellschaft mit mehr sozialistischer Politik zu schaffen, wenn das Land sich außerhalb der neoliberalen, undemokratischen EU befindet. Die Konservativen wollen eine nationalistische, souveräne Nation, die wieder groß sein will. Die Liberalen wollen in der EU bleiben, weil sie die EU-Politik des freien Marktes unterstützen. Corbyn, der aus der historischen euroskeptischen Tradition seiner Partei kommt, ist damit gescheitert der Brexit-Debatte seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Den Tories und den Liberalen wurde erlaubt, die Debatte zu formen. Nicht dass die Labour-Führung die Haltung eines harten Brexit hätte einnehmen sollen, aber sie hätte für ihre Position ein positives linkes Argument finden müssen. Stattdessen steckt die Parteiführung in der Defensive und erscheint unsicher.
Auf dem jüngsten Parteitag hat Labour beschlossen, dass eine künftige Labour-Regierung einen neuen Deal aushandeln und drei Monate später ein Referendum darüber ansetzen werde, in dem die Wählerinnen und Wähler zwischen diesem Deal und dem Verbleib in der EU entscheiden können. Die Partei werde dann in einer Sonderkonferenz darüber entscheiden, welche Position sie in der Referendumskampagne beziehen werde. Es scheint, die von der Corbyn-Führung bevorzugte Linie werde die der Neutralität sein.
* Gus Fagan lehrte Politik an der London Metropolitan University und war bis 2004 Herausgeber von Labour Focus on Eastern Europe.
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