Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt die Grenzen des Rechtswegs
von Peter Nowak
Große Enttäuschung gab es am 16.Oktober bei Ovidiu Mindrila und Bogan Droma. Gerade hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ihre Klage gegen den Investor der Mall of Berlin abgewiesen. Sie wollten vor Gericht durchsetzen, dass der Bauherr als letztes Glied in der Kette haftet, wenn die von ihm beauftragten Subunternehmen zahlungsunfähig sind und Insolvenz anmelden, wie es bei der Mall of Berlin geschehen ist.
Droma und Mindrila haben den Kampf um ihre Löhne fünf Jahre lange führt, sich an Demonstrationen und Kundgebungen beteiligt und dann mit Unterstützung der FAU den Rechtsweg beschritten. Die fünf anderen Bauarbeiter haben den ihnen zustehenden Lohn ebenfalls nicht erhalten, hatten aber nicht die Zeit und die Kraft für den langwierigen Prozess.
Droma und Mindrila waren mit einer kleinen Gruppe von UnterstützerInnen zur Urteilsverkündigung nach Erfurt gefahren. Den beiden Klägern ging es nicht nur um den entgangenen Lohn. «Es geht mir um Gerechtigkeit, dass die Firmenbesitzer verstehen, dass sie Leute nicht so verarschen können», erklärte Mindrila zu seiner Motivation, den Kampf um den entgangenen Lohn nun schon fast fünf Jahre lang zu führen. Ein Erfolg in Erfurt hätte auch über den unmittelbaren Fall hinaus Bedeutung gehabt.
Umso enttäuschter waren Mindrila und Droma, als sie erfuhren, dass das Bundesarbeitsgericht ihre Klage zurückgewiesen und sich damit den Urteilen der Vorinstanzen angeschlossen hat. Damit hat das Gericht deutlich gemacht, dass es nicht bereit ist, ein Geschäftsmodell zu sanktionieren, dass auf Überausbeutung und Lohnraub beruht. Die Juristin Monika Fijarczyk, die im gewerkschaftsnahen Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA) tätig ist, kritisierte die Entscheidung in einem Interview mit der Taz:
«Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sehen wir kritisch, insbesondere in Bezug auf seine praktischen Folgen. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung sehen vor, dass Bauherren generell von der Haftung für nicht gezahlte Löhne ausgenommen sind. Durch die Einschränkung der Generalunternehmerhaftung wird der Arbeitnehmerschutz geschwächt.»
Die Juristin weiß aus ihrer täglichen Praxis, dass diese Art der Lohnvermeidung nach dem Modell der Mall of Berlin im Baugewerbe ein Geschäftsmodell ist: «Wir kennen mehrere Großprojekte in Berlin mit ähnlichen Handlungsstrukturen, auch die Firmennamen wiederholen sich. Die Arbeitnehmer können ihre Forderungen gegen niemanden richten, weil der direkte Auftraggeber verschwunden ist oder insolvent. Die einzige Firma, die zu identifizieren ist, ist der Bauherr. Man muss klar sehen, dass die Baufirmen auch deshalb insolvent werden, weil die Aufträge von vornherein unwirtschaftlich geplant sind. Die Ausbeutung der Arbeiter ist im voraus eingeplant.»
Das Besondere am Fall der Mall of Berlin ist nicht die Überausbeutung und der Lohnraub. Das Besondere ist der Widerstand der Bauarbeiter. «Da das Gericht mit seiner Entscheidung den juristischen Weg verschlossen hat, sehe ich jetzt nur in dem verstärkten gesellschaftlichen Kampf von Gewerkschaften und politischen Gruppen einen Weg. Hier könnte auch Druck auf die Politik ausgeübt werden, endlich auf gesetzlichem Wege diesem Lohnraub einen Riegel vorzuschieben», kommentierte der Berliner Rechtsanwalt Klaus Stähle, der die Kläger juristisch vertrat, die Entscheidung in Erfurt.
Tatsächlich war der gesellschaftliche Druck zu Beginn des Konflikts groß. Fast monatlich gab es in Berlin Demonstrationen vor der Mall of Berlin. Doch je länger sich die Auseinandersetzung hinzog, desto mehr verlagerte er sich auf die Gerichte und der Druck auf der Straße ging zurück. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat einmal mehr gezeigt, dass Gerichte kein Ersatz für soziale Kämpfe sind, der Kampf auf der Straße sich hingegen auch in juristische Entscheidungen einschreibt. Wenn der Richter in der Urteilsbegründung erklärte, das Gericht habe keine Veranlassung gesehen, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, dann heißt das auch, der gesellschaftliche Druck war nicht stark genug, dass das Gericht sich zu einem Eingriff veranlasst gesehen hätte, weil der Rechtsfriede in Gefahr geraten war.
Der Kampf der rumänischen Bauarbeiter der Mall of Berlin war ein Beispiel, wie migrantische ArbeiterInnen für ihre Rechte kämpfen. Sie haben in Berlin ihre Arbeitskraft verkauft, wurden in Berlin um ihren Lohn betrogen und kämpfen in Berlin für ihre Rechte. Sie haben das Bild von MigrantInnen als hilfsbedürftigen Opfern, die Rettung benötigen, konterkariert, ebenso wie die rechtspopulistischen Erzählungen von osteuropäischen MigrantInnen, die in die deutschen Sozialsysteme einwandern. Der fünfjährige gemeinsame Kampf von Lohnabhängigen aus verschiedenen Ländern ist der eigentliche Erfolg der Auseinandersetzung.
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